Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Raubthiere. Bären. -- Gemeiner Bär.
sich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herschütteln ließen sie wiederum los, und das Kampfspiel
begann von neuem.

Es wird nun von dem gedachten illyrischen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, sobald
sie Junge geworfen, ein dem Menschen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre
Sprößlinge selten verlasse, und dieselben auf das zärtlichste pflege und ernähre, die ersten acht bis
neun Wochen ausschließlich mit der kräftigen Muttermilch, später mit todtem Wildpret, welches sie
den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate sollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die
Bärin selbst soll während der ersten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkost
genießen. Jm Uebrigen erzählt unser Beobachter viel von den munteren und lustigen Sprüngen der
jungen Bärlein.

Noch läßt sich nicht feststellen, wie viel von diesen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen
werden darf, wahrscheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der
ersten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht
worden sind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforscher Pietruvsky, beobachtete an
seinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den ersten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen
diese gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durst sie quälte. Erst nach 14 Tagen
trank sie etwas Milch, welche ihr jedoch sehr nahe gestellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen
um die kleinen Bären, deckte sie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen so eine sehr warme Wiege.
Drei Wochen nach der Geburt richtete sie sich öfters auf, und von nun an ging sie auch einige Schritte
von den Jungen weg. Diese blieben vier Wochen lang blind und begannen erst nach Verlauf von
zwei Monaten langsam umherzugehen. Jm April spielten sie auf dem Hofe, im Mai hatten sie die
Größe eines jungen Pudels erreicht und sprangen hurtig umher.

Mit diesen Beobachtungen steht die von mir schon angedeutete eigene im geraden Gegensatze.
Auch unsere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr
im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und sie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine
der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung gestorben, das andere war ein kräftiges und
munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein silbergrauer, sehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen
waren dicht geschlossen, das Gebahren deutete auf größte Hilflosigkeit; die Stimme bestand in einem
kläglichen, jedoch kräftigen Gewinsel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte
sehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um so größere Sehnsucht
nach ihrem Bären. Sobald dieser der Thür ihrer Zelle sich nahte, verließ sie ihr Junges augenblicklich
und schnüffelte und schnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sprossen behandelte sie mit beispiellosem
Ungeschick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie schleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleisch umher,
ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht selten und behandelte ihn, mit einem
Worte, so niederträchtig, daß er schon am dritten Tage starb. Dies geschah einzig und allein aus
überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn sie wurde, als beide Thiere wieder zusammengebracht
werden konnten, augenblicklich ruhig, während sie früher im höchsten Grade unruhig gewesen war.

Junge, etwa fünf bis sechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie
sind in der That höchst ergötzliche und wahrhaft komische Thiere. Jhre Beweglichkeit ist sehr groß, ihre
Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und so ist es erklärlich, daß sie fortwährend die lächerlichsten und
drolligsten Streiche ausführen. Das echt kindische Wesen der jungen Bären zeigt sich in jeder Handlung.
Sie sind spiellustig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen
sich wie muthige Buben, springen ins Wasser, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver-
schiedene Possen. Jhren Wärtern beweisen sie gar keine besondere Zärtlichkeit, sie sind vielmehr gegen
Jedermann gleich freundlich und unterscheiden nicht zwischen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen
Etwas zu fressen giebt, ist ihnen der rechte Mann; wer sie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind
angesehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie sind reizbar wie Kinder; ihre Liebe ist augenblicklich
gewonnen, ebenso rasch aber auch verscherzt. Grob und ungeschickt, vergeßlich, unachtsam, täppisch,

Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
ſich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herſchütteln ließen ſie wiederum los, und das Kampfſpiel
begann von neuem.

Es wird nun von dem gedachten illyriſchen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, ſobald
ſie Junge geworfen, ein dem Menſchen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre
Sprößlinge ſelten verlaſſe, und dieſelben auf das zärtlichſte pflege und ernähre, die erſten acht bis
neun Wochen ausſchließlich mit der kräftigen Muttermilch, ſpäter mit todtem Wildpret, welches ſie
den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate ſollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die
Bärin ſelbſt ſoll während der erſten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkoſt
genießen. Jm Uebrigen erzählt unſer Beobachter viel von den munteren und luſtigen Sprüngen der
jungen Bärlein.

Noch läßt ſich nicht feſtſtellen, wie viel von dieſen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen
werden darf, wahrſcheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der
erſten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht
worden ſind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforſcher Pietruvsky, beobachtete an
ſeinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den erſten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen
dieſe gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durſt ſie quälte. Erſt nach 14 Tagen
trank ſie etwas Milch, welche ihr jedoch ſehr nahe geſtellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen
um die kleinen Bären, deckte ſie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen ſo eine ſehr warme Wiege.
Drei Wochen nach der Geburt richtete ſie ſich öfters auf, und von nun an ging ſie auch einige Schritte
von den Jungen weg. Dieſe blieben vier Wochen lang blind und begannen erſt nach Verlauf von
zwei Monaten langſam umherzugehen. Jm April ſpielten ſie auf dem Hofe, im Mai hatten ſie die
Größe eines jungen Pudels erreicht und ſprangen hurtig umher.

Mit dieſen Beobachtungen ſteht die von mir ſchon angedeutete eigene im geraden Gegenſatze.
Auch unſere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr
im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und ſie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine
der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung geſtorben, das andere war ein kräftiges und
munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen
waren dicht geſchloſſen, das Gebahren deutete auf größte Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem
kläglichen, jedoch kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte
ſehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht
nach ihrem Bären. Sobald dieſer der Thür ihrer Zelle ſich nahte, verließ ſie ihr Junges augenblicklich
und ſchnüffelte und ſchnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem
Ungeſchick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleiſch umher,
ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht ſelten und behandelte ihn, mit einem
Worte, ſo niederträchtig, daß er ſchon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus
überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn ſie wurde, als beide Thiere wieder zuſammengebracht
werden konnten, augenblicklich ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war.

Junge, etwa fünf bis ſechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie
ſind in der That höchſt ergötzliche und wahrhaft komiſche Thiere. Jhre Beweglichkeit iſt ſehr groß, ihre
Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und ſo iſt es erklärlich, daß ſie fortwährend die lächerlichſten und
drolligſten Streiche ausführen. Das echt kindiſche Weſen der jungen Bären zeigt ſich in jeder Handlung.
Sie ſind ſpielluſtig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen
ſich wie muthige Buben, ſpringen ins Waſſer, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver-
ſchiedene Poſſen. Jhren Wärtern beweiſen ſie gar keine beſondere Zärtlichkeit, ſie ſind vielmehr gegen
Jedermann gleich freundlich und unterſcheiden nicht zwiſchen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen
Etwas zu freſſen giebt, iſt ihnen der rechte Mann; wer ſie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind
angeſehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenblicklich
gewonnen, ebenſo raſch aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchickt, vergeßlich, unachtſam, täppiſch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0662" n="586"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Bären. &#x2014; <hi rendition="#g">Gemeiner Bär.</hi></fw><lb/>
&#x017F;ich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Her&#x017F;chütteln ließen &#x017F;ie wiederum los, und das Kampf&#x017F;piel<lb/>
begann von neuem.</p><lb/>
          <p>Es wird nun von dem gedachten illyri&#x017F;chen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, &#x017F;obald<lb/>
&#x017F;ie Junge geworfen, ein dem Men&#x017F;chen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre<lb/>
Sprößlinge &#x017F;elten verla&#x017F;&#x017F;e, und die&#x017F;elben auf das zärtlich&#x017F;te pflege und ernähre, die er&#x017F;ten acht bis<lb/>
neun Wochen aus&#x017F;chließlich mit der kräftigen Muttermilch, &#x017F;päter mit todtem Wildpret, welches &#x017F;ie<lb/>
den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate &#x017F;ollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die<lb/>
Bärin &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;oll während der er&#x017F;ten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenko&#x017F;t<lb/>
genießen. Jm Uebrigen erzählt un&#x017F;er Beobachter viel von den munteren und lu&#x017F;tigen Sprüngen der<lb/>
jungen Bärlein.</p><lb/>
          <p>Noch läßt &#x017F;ich nicht fe&#x017F;t&#x017F;tellen, wie viel von die&#x017F;en Angaben auf Treue und Glauben hingenommen<lb/>
werden darf, wahr&#x017F;cheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der<lb/>
er&#x017F;ten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht<lb/>
worden &#x017F;ind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturfor&#x017F;cher <hi rendition="#g">Pietruvsky,</hi> beobachtete an<lb/>
&#x017F;einen gefangenen Bären, daß die Mutter in den er&#x017F;ten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen<lb/>
die&#x017F;e gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Dur&#x017F;t &#x017F;ie quälte. Er&#x017F;t nach 14 Tagen<lb/>
trank &#x017F;ie etwas Milch, welche ihr jedoch &#x017F;ehr nahe ge&#x017F;tellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen<lb/>
um die kleinen Bären, deckte &#x017F;ie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen &#x017F;o eine &#x017F;ehr warme Wiege.<lb/>
Drei Wochen nach der Geburt richtete &#x017F;ie &#x017F;ich öfters auf, und von nun an ging &#x017F;ie auch einige Schritte<lb/>
von den Jungen weg. Die&#x017F;e blieben vier Wochen lang blind und begannen er&#x017F;t nach Verlauf von<lb/>
zwei Monaten lang&#x017F;am umherzugehen. Jm April &#x017F;pielten &#x017F;ie auf dem Hofe, im Mai hatten &#x017F;ie die<lb/>
Größe eines jungen Pudels erreicht und &#x017F;prangen hurtig umher.</p><lb/>
          <p>Mit die&#x017F;en Beobachtungen &#x017F;teht die von mir &#x017F;chon angedeutete eigene im geraden Gegen&#x017F;atze.<lb/>
Auch un&#x017F;ere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr<lb/>
im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und &#x017F;ie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine<lb/>
der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung ge&#x017F;torben, das andere war ein kräftiges und<lb/>
munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein &#x017F;ilbergrauer, &#x017F;ehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen<lb/>
waren dicht ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, das Gebahren deutete auf größte Hilflo&#x017F;igkeit; die Stimme be&#x017F;tand in einem<lb/>
kläglichen, jedoch kräftigen Gewin&#x017F;el. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte<lb/>
&#x017F;ehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um &#x017F;o größere Sehn&#x017F;ucht<lb/>
nach ihrem Bären. Sobald die&#x017F;er der Thür ihrer Zelle &#x017F;ich nahte, verließ &#x017F;ie ihr Junges augenblicklich<lb/>
und &#x017F;chnüffelte und &#x017F;chnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Spro&#x017F;&#x017F;en behandelte &#x017F;ie mit bei&#x017F;piello&#x017F;em<lb/>
Unge&#x017F;chick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie &#x017F;chleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Flei&#x017F;ch umher,<lb/>
ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht &#x017F;elten und behandelte ihn, mit einem<lb/>
Worte, &#x017F;o niederträchtig, daß er &#x017F;chon am dritten Tage &#x017F;tarb. Dies ge&#x017F;chah einzig und allein aus<lb/>
überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn &#x017F;ie wurde, als beide Thiere wieder zu&#x017F;ammengebracht<lb/>
werden konnten, augenblicklich ruhig, während &#x017F;ie früher im höch&#x017F;ten Grade unruhig gewe&#x017F;en war.</p><lb/>
          <p>Junge, etwa fünf bis &#x017F;echs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie<lb/>
&#x017F;ind in der That höch&#x017F;t ergötzliche und wahrhaft komi&#x017F;che Thiere. Jhre Beweglichkeit i&#x017F;t &#x017F;ehr groß, ihre<lb/>
Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und &#x017F;o i&#x017F;t es erklärlich, daß &#x017F;ie fortwährend die lächerlich&#x017F;ten und<lb/>
drollig&#x017F;ten Streiche ausführen. Das echt kindi&#x017F;che We&#x017F;en der jungen Bären zeigt &#x017F;ich in jeder Handlung.<lb/>
Sie &#x017F;ind &#x017F;piellu&#x017F;tig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen<lb/>
&#x017F;ich wie muthige Buben, &#x017F;pringen ins Wa&#x017F;&#x017F;er, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver-<lb/>
&#x017F;chiedene Po&#x017F;&#x017F;en. Jhren Wärtern bewei&#x017F;en &#x017F;ie gar keine be&#x017F;ondere Zärtlichkeit, &#x017F;ie &#x017F;ind vielmehr gegen<lb/>
Jedermann gleich freundlich und unter&#x017F;cheiden nicht zwi&#x017F;chen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen<lb/>
Etwas zu fre&#x017F;&#x017F;en giebt, i&#x017F;t ihnen der rechte Mann; wer &#x017F;ie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind<lb/>
ange&#x017F;ehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie &#x017F;ind reizbar wie Kinder; ihre Liebe i&#x017F;t augenblicklich<lb/>
gewonnen, eben&#x017F;o ra&#x017F;ch aber auch ver&#x017F;cherzt. Grob und unge&#x017F;chickt, vergeßlich, unacht&#x017F;am, täppi&#x017F;ch,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[586/0662] Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär. ſich jedoch zu beißen. Nach einigem Hin- und Herſchütteln ließen ſie wiederum los, und das Kampfſpiel begann von neuem. Es wird nun von dem gedachten illyriſchen Waidmann erzählt, daß die freilebende Bärin, ſobald ſie Junge geworfen, ein dem Menſchen und jedem andern Feinde furchtbares Thier werde, ihre Sprößlinge ſelten verlaſſe, und dieſelben auf das zärtlichſte pflege und ernähre, die erſten acht bis neun Wochen ausſchließlich mit der kräftigen Muttermilch, ſpäter mit todtem Wildpret, welches ſie den Jungen vorreiße. Jm dritten Monate ſollen die Jungen mit zur Jagd hinausgehen. Die Bärin ſelbſt ſoll während der erſten Wochen nach ihrer Niederkunft einzig und allein Pflanzenkoſt genießen. Jm Uebrigen erzählt unſer Beobachter viel von den munteren und luſtigen Sprüngen der jungen Bärlein. Noch läßt ſich nicht feſtſtellen, wie viel von dieſen Angaben auf Treue und Glauben hingenommen werden darf, wahrſcheinlich aber werden wir recht thun, wenn wir uns auch bei Betrachtungen der erſten Jugendzeit des Bären wieder an die Beobachtungen halten, welche im Gefangenleben gemacht worden ſind. Ein Freund meines Vaters, der tüchtige Naturforſcher Pietruvsky, beobachtete an ſeinen gefangenen Bären, daß die Mutter in den erſten zwei Wochen nach der Geburt ihrer Jungen dieſe gar nicht verließ, nicht einmal, wenn der Hunger oder Durſt ſie quälte. Erſt nach 14 Tagen trank ſie etwas Milch, welche ihr jedoch ſehr nahe geſtellt werden mußte. Sie legte ihre vier Tatzen um die kleinen Bären, deckte ſie auch mit der Schnauze zu und bildete ihnen ſo eine ſehr warme Wiege. Drei Wochen nach der Geburt richtete ſie ſich öfters auf, und von nun an ging ſie auch einige Schritte von den Jungen weg. Dieſe blieben vier Wochen lang blind und begannen erſt nach Verlauf von zwei Monaten langſam umherzugehen. Jm April ſpielten ſie auf dem Hofe, im Mai hatten ſie die Größe eines jungen Pudels erreicht und ſprangen hurtig umher. Mit dieſen Beobachtungen ſteht die von mir ſchon angedeutete eigene im geraden Gegenſatze. Auch unſere Bärin warf in der vorletzten Woche des Januar ihre zwei Jungen. Wir bereiteten ihr im Jnnern des Zwingers ein weiches Strohlager und ſie nahm Dies dankbar entgegen. Das eine der Jungen war kurz nach der Geburt an Nabelverblutung geſtorben, das andere war ein kräftiges und munteres kleines Thier von neun Zoll Länge. Ein ſilbergrauer, ſehr kurzer Pelz bekleidete es, die Augen waren dicht geſchloſſen, das Gebahren deutete auf größte Hilfloſigkeit; die Stimme beſtand in einem kläglichen, jedoch kräftigen Gewinſel. Die Bärin, welche von ihrem Eheherrn getrennt wurde, legte ſehr wenig Zärtlichkeit gegen ihre Jungen an den Tag, zeigte dagegen eine um ſo größere Sehnſucht nach ihrem Bären. Sobald dieſer der Thür ihrer Zelle ſich nahte, verließ ſie ihr Junges augenblicklich und ſchnüffelte und ſchnaufte den Herrn Gemahl an. Jhren Sproſſen behandelte ſie mit beiſpielloſem Ungeſchick, ja mit förmlicher Rohheit. Sie ſchleppte ihn in der Schnauze wie ein Stück Fleiſch umher, ließ ihn achtlos ohne weiteres zu Boden fallen, trat ihn nicht ſelten und behandelte ihn, mit einem Worte, ſo niederträchtig, daß er ſchon am dritten Tage ſtarb. Dies geſchah einzig und allein aus überwiegender Hinneigung nach dem Bären; denn ſie wurde, als beide Thiere wieder zuſammengebracht werden konnten, augenblicklich ruhig, während ſie früher im höchſten Grade unruhig geweſen war. Junge, etwa fünf bis ſechs Monate alte Bären habe ich ebenfalls längere Zeit beobachtet. Sie ſind in der That höchſt ergötzliche und wahrhaft komiſche Thiere. Jhre Beweglichkeit iſt ſehr groß, ihre Tölpelhaftigkeit aber nicht geringer, und ſo iſt es erklärlich, daß ſie fortwährend die lächerlichſten und drolligſten Streiche ausführen. Das echt kindiſche Weſen der jungen Bären zeigt ſich in jeder Handlung. Sie ſind ſpielluſtig im hohen Grade, klettern aus reinem Uebermuth oft an den Bäumen empor, balgen ſich wie muthige Buben, ſpringen ins Waſſer, rennen übermüthig umher und treiben hunderterlei ver- ſchiedene Poſſen. Jhren Wärtern beweiſen ſie gar keine beſondere Zärtlichkeit, ſie ſind vielmehr gegen Jedermann gleich freundlich und unterſcheiden nicht zwiſchen dem Einen oder dem Andern. Wer ihnen Etwas zu freſſen giebt, iſt ihnen der rechte Mann; wer ſie irgendwie erzürnt, wird von ihnen als Feind angeſehen und wo möglich feindlich behandelt. Sie ſind reizbar wie Kinder; ihre Liebe iſt augenblicklich gewonnen, ebenſo raſch aber auch verſcherzt. Grob und ungeſchickt, vergeßlich, unachtſam, täppiſch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/662
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/662>, abgerufen am 22.11.2024.