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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Seine Pflanzen- und Fleischkost. Seine Jagden.
größere Streifzüge und kommt nachts kühn selbst bis an die Dörfer oder einzelnen Ställe heran, um
sich dort mit noch größerer Bequemlichkeit seine Beute zu rauben. Manche Bären machen sich sogar
ihr tägliches Geschäft daraus, dem Vieh nachzustellen, und einzelne Alpenbären wählen sich mit allem
Geschick einen Ort zum Hinterhalt, von welchem aus sie die ganze Weide überblicken und den gün-
stigsten Zeitpunkt wahrnehmen können, auf sie herunterzustürzen. Hat sich ein Herdenthier von den
übrigen getrennt, so wird es gewöhnlich die Beute des lauernden Bären, welcher plötzlich hervor-
kommt und das Thier, es mag so behend sein, als es will, solange umherjagt, bis es entweder ermüdet
ihm sich hingiebt oder aus Verzweiflung in den Abgrund springt. Auch an die Ställe kommt er heran
und versucht es sogar, deren Thüren zu erbrechen.

"Einst bemerkten die Sennen," erzählt Tschudi, "die in einer etwas abgelegenen Hütte einer
der rauhesten Alpen des Rhäticons eine kleine Herde von Ziegen wohl zu versorgen gewohnt waren,
daß am Morgen ungewöhnlich große Losung in der Nähe der Hütte lag, das fette Gras um dieselbe
grob abgeweidet, die Thür beschädigt und zerkratzt war. Die Ziegen kamen schen heraus, doch fehlte
keine. Die Hirten kannten die Losung des fremden Nachtgastes nicht, vermutheten aber einen Wolf
oder Luchs in der Nähe und durchsuchten die nächste Umgebung und auch einen tieferliegenden
Fichten- und Zirbelkieferwald, ohne etwas Verdächtiges zu finden. Jndessen beschlossen sie, dem
Wilde aufzupassen, und da sie selbst ohne Feuergewehr waren, stieg einer in das nächste Thaldorf
und brachte eine alte Muskete mit, die dann gehörig und andächtig geladen wurde."

"Den Tag über bemerkten sie an den Ziegen ein ungewohntes Zusammenhalten und einen sicht-
lichen Widerwillen gegen größere Entfernung von der tiefer weidenden Kuhherde. Nur mit Mühe
konnten die Thiere abends in ihre Stallung gebracht werden. Zwei von den Sennen sollten in
Flintenschußweite von derselben hinter einem Felsen wachen und allenfalls ihre Gefährten in der
Alpenhütte wecken. Jndeß verging die Nacht unter vergeblichem Passen und ebenso die folgende. Jn
der dritten Nacht, wo wieder zwei Wachen auf der Lauer standen oder saßen, wollte sich abermals
nichts Verdächtiges zeigen, und die Sennen schliefen ein. Da weckte sie ein Geräusch bei der Ziegen-
hütte. Sie sahen einen Bären an der Thür drücken und kratzen, dann wieder um dieselbe herum-
schnopern und eine Oeffnung erspähen. Die Ziegen mußten wach und unruhig geworden sein; denn
die Schellenziegen ließen sich hören. Den jagdungewohnten Sennen war es unheimlich zu Muthe
geworden, und einer von ihnen schlich zur Alpenhütte, um die Gefährten zu wecken, während der
andere trostlos seine Muskete in Kriegszustand zu setzen suchte. Jndessen erschien der Bär wieder
vor der Thür suchte dieselbe aus dem Schloß zu stemmen und drückte sie endlich glücklich ein. Die
Ziegen stürzten schen und meckernd heraus und kletterten auf die nächsten Felsen. Bald darauf, nach-
dem er eine der Letzteren erlegt, kam er wieder zum Vorschein und begann das Euter derselben gierig
vor der Hütte zu verzehren. Da kamen die anderen Sennen mit Scheiten, Melkstühlen und anderer
Landsturmbewaffnung, jedoch mit der größten Vorsicht. Einer von ihnen, welcher in früheren Jahren
oft mit auf der Gemsjagd gewesen war, nahm dem Wachtposten die Muskete ab, ging auf den Bären
zu und zerschmetterte ihm mit einem starken Streifschuß die rechte Rippenseite. Die übrigen kamen
nun auch näher und schlugen das wüthend um sich hauende Thier todt."

Es giebt noch mehrere Berichte von ähnlichen Besuchen der Bären in Viehställen, und nament-
lich in Skandinavien sollen sie diese Art von Raubzügen gar nicht selten ausführen. Dort brechen
sie aber weniger die Thüren auf, sondern decken vielmehr die Dächer ab, welche blos aus leichtem
Laub, Spaltholz und Rinde zu bestehen pflegen. Da es in Wermeland, überhaupt an vielen
Orten Skandinaviens, Gebrauch ist, die Betten der Viehmägde unter das Dach zu setzen, so ist es
manchmal geschehen, daß Freund Petz unwissentlich oder unwillentlich zur Kilt gegangen ist. Das
Entsetzen der lieblichen Viehdirnen mag man sich selbst ausmalen: plötzlich dicht über dem Bett solch
einen zottigen Liebhaber zu erblicken, ist für ein Frauengemüth zu viel; -- würde doch selbst ein
Mann von derartigem Besuche nicht eben erfreut sein. Der Hilferuf der Weiber bringt Freund Petz
jedoch bald zum Weichen; wenigstens ist Dies an zwei Orten im Sprengel von Rada geschehen.

Seine Pflanzen- und Fleiſchkoſt. Seine Jagden.
größere Streifzüge und kommt nachts kühn ſelbſt bis an die Dörfer oder einzelnen Ställe heran, um
ſich dort mit noch größerer Bequemlichkeit ſeine Beute zu rauben. Manche Bären machen ſich ſogar
ihr tägliches Geſchäft daraus, dem Vieh nachzuſtellen, und einzelne Alpenbären wählen ſich mit allem
Geſchick einen Ort zum Hinterhalt, von welchem aus ſie die ganze Weide überblicken und den gün-
ſtigſten Zeitpunkt wahrnehmen können, auf ſie herunterzuſtürzen. Hat ſich ein Herdenthier von den
übrigen getrennt, ſo wird es gewöhnlich die Beute des lauernden Bären, welcher plötzlich hervor-
kommt und das Thier, es mag ſo behend ſein, als es will, ſolange umherjagt, bis es entweder ermüdet
ihm ſich hingiebt oder aus Verzweiflung in den Abgrund ſpringt. Auch an die Ställe kommt er heran
und verſucht es ſogar, deren Thüren zu erbrechen.

„Einſt bemerkten die Sennen,‟ erzählt Tſchudi, „die in einer etwas abgelegenen Hütte einer
der rauheſten Alpen des Rhäticons eine kleine Herde von Ziegen wohl zu verſorgen gewohnt waren,
daß am Morgen ungewöhnlich große Loſung in der Nähe der Hütte lag, das fette Gras um dieſelbe
grob abgeweidet, die Thür beſchädigt und zerkratzt war. Die Ziegen kamen ſchen heraus, doch fehlte
keine. Die Hirten kannten die Loſung des fremden Nachtgaſtes nicht, vermutheten aber einen Wolf
oder Luchs in der Nähe und durchſuchten die nächſte Umgebung und auch einen tieferliegenden
Fichten- und Zirbelkieferwald, ohne etwas Verdächtiges zu finden. Jndeſſen beſchloſſen ſie, dem
Wilde aufzupaſſen, und da ſie ſelbſt ohne Feuergewehr waren, ſtieg einer in das nächſte Thaldorf
und brachte eine alte Muskete mit, die dann gehörig und andächtig geladen wurde.‟

„Den Tag über bemerkten ſie an den Ziegen ein ungewohntes Zuſammenhalten und einen ſicht-
lichen Widerwillen gegen größere Entfernung von der tiefer weidenden Kuhherde. Nur mit Mühe
konnten die Thiere abends in ihre Stallung gebracht werden. Zwei von den Sennen ſollten in
Flintenſchußweite von derſelben hinter einem Felſen wachen und allenfalls ihre Gefährten in der
Alpenhütte wecken. Jndeß verging die Nacht unter vergeblichem Paſſen und ebenſo die folgende. Jn
der dritten Nacht, wo wieder zwei Wachen auf der Lauer ſtanden oder ſaßen, wollte ſich abermals
nichts Verdächtiges zeigen, und die Sennen ſchliefen ein. Da weckte ſie ein Geräuſch bei der Ziegen-
hütte. Sie ſahen einen Bären an der Thür drücken und kratzen, dann wieder um dieſelbe herum-
ſchnopern und eine Oeffnung erſpähen. Die Ziegen mußten wach und unruhig geworden ſein; denn
die Schellenziegen ließen ſich hören. Den jagdungewohnten Sennen war es unheimlich zu Muthe
geworden, und einer von ihnen ſchlich zur Alpenhütte, um die Gefährten zu wecken, während der
andere troſtlos ſeine Muskete in Kriegszuſtand zu ſetzen ſuchte. Jndeſſen erſchien der Bär wieder
vor der Thür ſuchte dieſelbe aus dem Schloß zu ſtemmen und drückte ſie endlich glücklich ein. Die
Ziegen ſtürzten ſchen und meckernd heraus und kletterten auf die nächſten Felſen. Bald darauf, nach-
dem er eine der Letzteren erlegt, kam er wieder zum Vorſchein und begann das Euter derſelben gierig
vor der Hütte zu verzehren. Da kamen die anderen Sennen mit Scheiten, Melkſtühlen und anderer
Landſturmbewaffnung, jedoch mit der größten Vorſicht. Einer von ihnen, welcher in früheren Jahren
oft mit auf der Gemsjagd geweſen war, nahm dem Wachtpoſten die Muskete ab, ging auf den Bären
zu und zerſchmetterte ihm mit einem ſtarken Streifſchuß die rechte Rippenſeite. Die übrigen kamen
nun auch näher und ſchlugen das wüthend um ſich hauende Thier todt.‟

Es giebt noch mehrere Berichte von ähnlichen Beſuchen der Bären in Viehſtällen, und nament-
lich in Skandinavien ſollen ſie dieſe Art von Raubzügen gar nicht ſelten ausführen. Dort brechen
ſie aber weniger die Thüren auf, ſondern decken vielmehr die Dächer ab, welche blos aus leichtem
Laub, Spaltholz und Rinde zu beſtehen pflegen. Da es in Wermeland, überhaupt an vielen
Orten Skandinaviens, Gebrauch iſt, die Betten der Viehmägde unter das Dach zu ſetzen, ſo iſt es
manchmal geſchehen, daß Freund Petz unwiſſentlich oder unwillentlich zur Kilt gegangen iſt. Das
Entſetzen der lieblichen Viehdirnen mag man ſich ſelbſt ausmalen: plötzlich dicht über dem Bett ſolch
einen zottigen Liebhaber zu erblicken, iſt für ein Frauengemüth zu viel; — würde doch ſelbſt ein
Mann von derartigem Beſuche nicht eben erfreut ſein. Der Hilferuf der Weiber bringt Freund Petz
jedoch bald zum Weichen; wenigſtens iſt Dies an zwei Orten im Sprengel von Rada geſchehen.

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[581/0657] Seine Pflanzen- und Fleiſchkoſt. Seine Jagden. größere Streifzüge und kommt nachts kühn ſelbſt bis an die Dörfer oder einzelnen Ställe heran, um ſich dort mit noch größerer Bequemlichkeit ſeine Beute zu rauben. Manche Bären machen ſich ſogar ihr tägliches Geſchäft daraus, dem Vieh nachzuſtellen, und einzelne Alpenbären wählen ſich mit allem Geſchick einen Ort zum Hinterhalt, von welchem aus ſie die ganze Weide überblicken und den gün- ſtigſten Zeitpunkt wahrnehmen können, auf ſie herunterzuſtürzen. Hat ſich ein Herdenthier von den übrigen getrennt, ſo wird es gewöhnlich die Beute des lauernden Bären, welcher plötzlich hervor- kommt und das Thier, es mag ſo behend ſein, als es will, ſolange umherjagt, bis es entweder ermüdet ihm ſich hingiebt oder aus Verzweiflung in den Abgrund ſpringt. Auch an die Ställe kommt er heran und verſucht es ſogar, deren Thüren zu erbrechen. „Einſt bemerkten die Sennen,‟ erzählt Tſchudi, „die in einer etwas abgelegenen Hütte einer der rauheſten Alpen des Rhäticons eine kleine Herde von Ziegen wohl zu verſorgen gewohnt waren, daß am Morgen ungewöhnlich große Loſung in der Nähe der Hütte lag, das fette Gras um dieſelbe grob abgeweidet, die Thür beſchädigt und zerkratzt war. Die Ziegen kamen ſchen heraus, doch fehlte keine. Die Hirten kannten die Loſung des fremden Nachtgaſtes nicht, vermutheten aber einen Wolf oder Luchs in der Nähe und durchſuchten die nächſte Umgebung und auch einen tieferliegenden Fichten- und Zirbelkieferwald, ohne etwas Verdächtiges zu finden. Jndeſſen beſchloſſen ſie, dem Wilde aufzupaſſen, und da ſie ſelbſt ohne Feuergewehr waren, ſtieg einer in das nächſte Thaldorf und brachte eine alte Muskete mit, die dann gehörig und andächtig geladen wurde.‟ „Den Tag über bemerkten ſie an den Ziegen ein ungewohntes Zuſammenhalten und einen ſicht- lichen Widerwillen gegen größere Entfernung von der tiefer weidenden Kuhherde. Nur mit Mühe konnten die Thiere abends in ihre Stallung gebracht werden. Zwei von den Sennen ſollten in Flintenſchußweite von derſelben hinter einem Felſen wachen und allenfalls ihre Gefährten in der Alpenhütte wecken. Jndeß verging die Nacht unter vergeblichem Paſſen und ebenſo die folgende. Jn der dritten Nacht, wo wieder zwei Wachen auf der Lauer ſtanden oder ſaßen, wollte ſich abermals nichts Verdächtiges zeigen, und die Sennen ſchliefen ein. Da weckte ſie ein Geräuſch bei der Ziegen- hütte. Sie ſahen einen Bären an der Thür drücken und kratzen, dann wieder um dieſelbe herum- ſchnopern und eine Oeffnung erſpähen. Die Ziegen mußten wach und unruhig geworden ſein; denn die Schellenziegen ließen ſich hören. Den jagdungewohnten Sennen war es unheimlich zu Muthe geworden, und einer von ihnen ſchlich zur Alpenhütte, um die Gefährten zu wecken, während der andere troſtlos ſeine Muskete in Kriegszuſtand zu ſetzen ſuchte. Jndeſſen erſchien der Bär wieder vor der Thür ſuchte dieſelbe aus dem Schloß zu ſtemmen und drückte ſie endlich glücklich ein. Die Ziegen ſtürzten ſchen und meckernd heraus und kletterten auf die nächſten Felſen. Bald darauf, nach- dem er eine der Letzteren erlegt, kam er wieder zum Vorſchein und begann das Euter derſelben gierig vor der Hütte zu verzehren. Da kamen die anderen Sennen mit Scheiten, Melkſtühlen und anderer Landſturmbewaffnung, jedoch mit der größten Vorſicht. Einer von ihnen, welcher in früheren Jahren oft mit auf der Gemsjagd geweſen war, nahm dem Wachtpoſten die Muskete ab, ging auf den Bären zu und zerſchmetterte ihm mit einem ſtarken Streifſchuß die rechte Rippenſeite. Die übrigen kamen nun auch näher und ſchlugen das wüthend um ſich hauende Thier todt.‟ Es giebt noch mehrere Berichte von ähnlichen Beſuchen der Bären in Viehſtällen, und nament- lich in Skandinavien ſollen ſie dieſe Art von Raubzügen gar nicht ſelten ausführen. Dort brechen ſie aber weniger die Thüren auf, ſondern decken vielmehr die Dächer ab, welche blos aus leichtem Laub, Spaltholz und Rinde zu beſtehen pflegen. Da es in Wermeland, überhaupt an vielen Orten Skandinaviens, Gebrauch iſt, die Betten der Viehmägde unter das Dach zu ſetzen, ſo iſt es manchmal geſchehen, daß Freund Petz unwiſſentlich oder unwillentlich zur Kilt gegangen iſt. Das Entſetzen der lieblichen Viehdirnen mag man ſich ſelbſt ausmalen: plötzlich dicht über dem Bett ſolch einen zottigen Liebhaber zu erblicken, iſt für ein Frauengemüth zu viel; — würde doch ſelbſt ein Mann von derartigem Beſuche nicht eben erfreut ſein. Der Hilferuf der Weiber bringt Freund Petz jedoch bald zum Weichen; wenigſtens iſt Dies an zwei Orten im Sprengel von Rada geſchehen.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/657>, abgerufen am 22.11.2024.