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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
indem sie sich auf irgend welche Weise mit einander unterhalten. Bei dem großen Haufen theilt sich
der Tag in Fressen und Schlafen, Schlafen und Fressen. Die Brunstzeit verändert dieses Betragen
immer. Sie ist bei den meisten Säugethieren an einen bestimmten Jahresabschnitt gebunden und
fällt entweder in das Frühjahr oder in den Herbst oder auch selbst in den Winter, je nachdem das
Thier längere oder kürzere Zeit trächtig geht. Die Satz- oder Wurfzeit der Säugethiere nämlich ist
regelmäßig der Frühling, welcher für das Junge oder für die säugende Alte reichlichere Nahrung bie-
tet; und der Satzzeit entspricht nun die Brunstzeit. Während derselben zeigt sich das Säugethier oft
in ganz anderer Weise, als außerdem: die männlichen Thiere, welche sich sonst nicht um die Weibchen
bekümmern, finden sich bei diesen ein und zeigen nun bald eine große Erregung ihres Geistes und
Leibes. Mit den zunehmenden Gefühlen der Liebe wächst die Eifersucht und der Haß gegen etwaige
Nebenbuhler; heftige Kämpfe zwischen diesen werden ausgefochten, und Kampflustige zu denselben
durch lautes Schreien eingeladen: selbst in der Seele des furchtsamsten Säugethieres zeigt sich der
Muth und die Kampfeslust. Der als Sinnbild der Feigheit dastehende Hase kämpft mit seinem
Nebenbuhler verhältnißmäßig ebenso wacker, als der Löwe, wenn er auch seinen Liebesgegner nur
tüchtig mit den Vorderpfoten ohrfeigt; der furchtsame Hirsch wird kühn und selbst dem Menschen ge-
fährlich; die Stiere zeigen eine namenlose Wuth; die Raubthiere aber scheinen gegen alle fremden
Geschöpfe milder gesinnt zu werden, als sie es früher sind: die Liebe nimmt sie vorherrschend in An-
spruch. Jn der verschiedenartigsten Weise machen die Männchen ihren Weibchen den Hof. Die
Affen werden sehr zudringlich und erlauben kein Sprödethun; die Hunde dagegen bleiben liebens-
würdig, selbst wenn sich die Hündin noch so ärgerlich über die Liebeserklärungen stellt; die Löwen
brüllen, daß die Erde zu erzittern scheint; die Katzen rufen mit unglaublicher Sanftheit sehnsuchts-
voll nach dem Gegenstand ihrer Schwärmerei, sind aber so reizbar gegen die Nebenbuhler, daß die
zarten Töne sehr bald in ein höchst wüthendes Fauchen übergehn; die männlichen Maulwürfe sperren
ihr Weibchen augenblicklich in einen ihrer unterirdischen Gänge ein, so bald es sich zu spröde zeigt, und
lassen ihm hier Zeit, sich zu besinnen; die Wiederkäuer führen gleichsam zur Ehre des weiblichen
Theiles große Kämpfe auf, müssen aber sehen, wie ihnen der Siegespreis oft von Feiglingen, welche
den Zweikampf klug benutzen, entrissen wird u. s. w. Auch die Weibchen sind sehr aufgeregt, behalten
jedoch die ihnen eigene Sprödigkeit trotzdem bei und beißen, schlagen, stoßen, oder wehren sich sonst-
wie gegen die sich nähernden Männchen, deren Zärtlichkeit sie sich später aber doch gefallen lassen.
Die Begattung erfolgt bei Vielen in der häßlichsten und für uns widerstrebendsten Weise: sobald sie
vorüber ist, tritt große Gleichgültigkeit zwischen beiden Geschlechtern ein, und die meisten Männchen
bekümmern sich nun gar nicht mehr um die Weibchen, denen sie kurz vorher so glühende Liebeser-
klärungen machten. Jn geschlossener, länger als ein Jahr währender Ehe leben wahrscheinlich nur
einige Wiederkäuer, namentlich mehrere kleine Antilopenarten, und vielleicht auch noch einzelne Wale:
alle übrigen sind der Vielweiberei zugethan.

Jn der Regel genügt eine einmalige Begattung der brünstigen Säugethiere zur Befruchtung
aller Keimbläschen oder Eier, welche für ein und dieselbe Geburt zur Entwickelung gelangen, obgleich
deren Zahl in sehr erheblichen Grenzen schwanken kann. Mehr als vierundzwanzig Junge wirft kein
Säugethier auf einmal; schon ihrer vierzehn oder sechszehn werden selten zugleich geboren. Alle großen
Säuger gebären weniger und seltener Junge, als kleinere, bei denen die Frucht schon innerhalb drei
Wochen nach der Begattung ausgetragen und das geborene Junge in derselben Frist auch erzogen
werden kann. Bei Denen, welche länger als sechs Monate trächtig gehen, kommt regel-
mäßig nur ein Junges zur Welt.

Die Geburt selbst geht fast immer rasch und leicht vorüber, ohne daß irgend ein mitleidiges
anderes Thier dabei behilflich wäre. Ein glaubwürdiger Mann hat mir allerdings erzählt, daß er
eine solche Hilfe bei den Hauskatzen beobachtet und gesehen habe, wie eine ältere Katze die Nabel-
schnur der Kinder einer jüngeren Mutter abbiß; doch steht dieser Fall bis jetzt noch zu vereinzelt da,
als daß wir von ihm folgernd etwas allgemein Giltiges sagen könnten. Sogleich nach der Geburt
leckt die Mutter ihre Kleinen sorgfältig rein und wärmt sie mit ihrem eigenen Leibe. Einige Nager
bauen vorher ein Nest und füttern dieses mit ihren abgerupften Haaren aus, um eine sanfte Wiege für
ihre Jungen zu haben; die große Mehrzahl aber wirft dieselben auf die bloße Erde oder doch nur in

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
indem ſie ſich auf irgend welche Weiſe mit einander unterhalten. Bei dem großen Haufen theilt ſich
der Tag in Freſſen und Schlafen, Schlafen und Freſſen. Die Brunſtzeit verändert dieſes Betragen
immer. Sie iſt bei den meiſten Säugethieren an einen beſtimmten Jahresabſchnitt gebunden und
fällt entweder in das Frühjahr oder in den Herbſt oder auch ſelbſt in den Winter, je nachdem das
Thier längere oder kürzere Zeit trächtig geht. Die Satz- oder Wurfzeit der Säugethiere nämlich iſt
regelmäßig der Frühling, welcher für das Junge oder für die ſäugende Alte reichlichere Nahrung bie-
tet; und der Satzzeit entſpricht nun die Brunſtzeit. Während derſelben zeigt ſich das Säugethier oft
in ganz anderer Weiſe, als außerdem: die männlichen Thiere, welche ſich ſonſt nicht um die Weibchen
bekümmern, finden ſich bei dieſen ein und zeigen nun bald eine große Erregung ihres Geiſtes und
Leibes. Mit den zunehmenden Gefühlen der Liebe wächſt die Eiferſucht und der Haß gegen etwaige
Nebenbuhler; heftige Kämpfe zwiſchen dieſen werden ausgefochten, und Kampfluſtige zu denſelben
durch lautes Schreien eingeladen: ſelbſt in der Seele des furchtſamſten Säugethieres zeigt ſich der
Muth und die Kampfesluſt. Der als Sinnbild der Feigheit daſtehende Haſe kämpft mit ſeinem
Nebenbuhler verhältnißmäßig ebenſo wacker, als der Löwe, wenn er auch ſeinen Liebesgegner nur
tüchtig mit den Vorderpfoten ohrfeigt; der furchtſame Hirſch wird kühn und ſelbſt dem Menſchen ge-
fährlich; die Stiere zeigen eine namenloſe Wuth; die Raubthiere aber ſcheinen gegen alle fremden
Geſchöpfe milder geſinnt zu werden, als ſie es früher ſind: die Liebe nimmt ſie vorherrſchend in An-
ſpruch. Jn der verſchiedenartigſten Weiſe machen die Männchen ihren Weibchen den Hof. Die
Affen werden ſehr zudringlich und erlauben kein Sprödethun; die Hunde dagegen bleiben liebens-
würdig, ſelbſt wenn ſich die Hündin noch ſo ärgerlich über die Liebeserklärungen ſtellt; die Löwen
brüllen, daß die Erde zu erzittern ſcheint; die Katzen rufen mit unglaublicher Sanftheit ſehnſuchts-
voll nach dem Gegenſtand ihrer Schwärmerei, ſind aber ſo reizbar gegen die Nebenbuhler, daß die
zarten Töne ſehr bald in ein höchſt wüthendes Fauchen übergehn; die männlichen Maulwürfe ſperren
ihr Weibchen augenblicklich in einen ihrer unterirdiſchen Gänge ein, ſo bald es ſich zu ſpröde zeigt, und
laſſen ihm hier Zeit, ſich zu beſinnen; die Wiederkäuer führen gleichſam zur Ehre des weiblichen
Theiles große Kämpfe auf, müſſen aber ſehen, wie ihnen der Siegespreis oft von Feiglingen, welche
den Zweikampf klug benutzen, entriſſen wird u. ſ. w. Auch die Weibchen ſind ſehr aufgeregt, behalten
jedoch die ihnen eigene Sprödigkeit trotzdem bei und beißen, ſchlagen, ſtoßen, oder wehren ſich ſonſt-
wie gegen die ſich nähernden Männchen, deren Zärtlichkeit ſie ſich ſpäter aber doch gefallen laſſen.
Die Begattung erfolgt bei Vielen in der häßlichſten und für uns widerſtrebendſten Weiſe: ſobald ſie
vorüber iſt, tritt große Gleichgültigkeit zwiſchen beiden Geſchlechtern ein, und die meiſten Männchen
bekümmern ſich nun gar nicht mehr um die Weibchen, denen ſie kurz vorher ſo glühende Liebeser-
klärungen machten. Jn geſchloſſener, länger als ein Jahr währender Ehe leben wahrſcheinlich nur
einige Wiederkäuer, namentlich mehrere kleine Antilopenarten, und vielleicht auch noch einzelne Wale:
alle übrigen ſind der Vielweiberei zugethan.

Jn der Regel genügt eine einmalige Begattung der brünſtigen Säugethiere zur Befruchtung
aller Keimbläschen oder Eier, welche für ein und dieſelbe Geburt zur Entwickelung gelangen, obgleich
deren Zahl in ſehr erheblichen Grenzen ſchwanken kann. Mehr als vierundzwanzig Junge wirft kein
Säugethier auf einmal; ſchon ihrer vierzehn oder ſechszehn werden ſelten zugleich geboren. Alle großen
Säuger gebären weniger und ſeltener Junge, als kleinere, bei denen die Frucht ſchon innerhalb drei
Wochen nach der Begattung ausgetragen und das geborene Junge in derſelben Friſt auch erzogen
werden kann. Bei Denen, welche länger als ſechs Monate trächtig gehen, kommt regel-
mäßig nur ein Junges zur Welt.

Die Geburt ſelbſt geht faſt immer raſch und leicht vorüber, ohne daß irgend ein mitleidiges
anderes Thier dabei behilflich wäre. Ein glaubwürdiger Mann hat mir allerdings erzählt, daß er
eine ſolche Hilfe bei den Hauskatzen beobachtet und geſehen habe, wie eine ältere Katze die Nabel-
ſchnur der Kinder einer jüngeren Mutter abbiß; doch ſteht dieſer Fall bis jetzt noch zu vereinzelt da,
als daß wir von ihm folgernd etwas allgemein Giltiges ſagen könnten. Sogleich nach der Geburt
leckt die Mutter ihre Kleinen ſorgfältig rein und wärmt ſie mit ihrem eigenen Leibe. Einige Nager
bauen vorher ein Neſt und füttern dieſes mit ihren abgerupften Haaren aus, um eine ſanfte Wiege für
ihre Jungen zu haben; die große Mehrzahl aber wirft dieſelben auf die bloße Erde oder doch nur in

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXXVI[XXXVI]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/46>, abgerufen am 24.11.2024.