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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Das Lebensbild des Pudels, von Scheitlin.

"Der Pudel ist der geachtetste (aber nicht der gefürchtetste) und auch beliebteste Hund, weil er
der gutmüthigste ist. Kindern ist er ganz besonders lieb, weil er sich auf jede Weise necken und auf
sich reiten, sich zupfen und zerren läßt, ohne zu knurren, zu beißen und ungeduldig zu werden. So
gefräßig er ist, so kann man ihm doch das Fressen oft aus seinem Rachen wieder hervorholen, was
sehr wenige Hunde zulassen. Den, welcher ihn einmal geschoren, kennt er für sein ganzes Leben und
schaut ihn darum an, wo er ihn trifft. Kommt er nach Jahresfrist wieder ins Haus, um ihn zu
scheren, so rennt er augenblicklich weg und verbirgt sich: er will nicht geschoren sein. Aber seinen
Mann kennend, läßt er sich willig aus dem Winkel und Dunkel hervorziehen und fügt sich ohne
Widerspruch in die Nothwendigkeit. Wird er von einem tollen Hund gebissen und kommt der Henker
ihn zu holen, so weiß er augenblicklich, was ihm droht. Er verbirgt sich, sein Auge wird sogleich
trübe und erschrocken, doch wehrt er sich nicht. Den Todesstich oder Schlag empfängt er, wie die
Pferde, mit ruhigem Herzen. Wird er krank und einem Arzt übergeben, so unterzieht er sich der
Kur sehr gutwillig, und wie der Orang merkt er schnell, was ihm dienlich sei. Kein Thier erkennt
so schnell die Meisterschaft des Menschen, daß es ihm gehorchen solle und müsse, und daß der Ge-
horsam das Beste für ihn sei."

"Sehr artig ist zu sehen, wie er seinen Herrn sucht. Er läuft mit gesenktem Kopfe die Straße
lang, steht still, besinnt sich, kehrt wieder um, bleibt an der andern Ecke der Straße wieder still stehen,
denkt mehr, als er schaut, beschreibt Diagonalen, um schneller irgendwo zu sein etc. Artig zu sehen
ist auch, wenn er ausgehen will und nicht soll, seinen Herrn überlisten will, wie er ihn zu über-
schleichen sucht, thut, als wenn er nicht fort wolle, wenn man ihn nicht anschaut, plötzlich den Reiß-
aus nimmt oder mit füchsischer, überhündischer List an der Wand ein Bein aufhebt, als ob er pissen
müsse, damit man ihn hinausjage, und wenn man ihn hinausjagt, augenblicklich, ohne zu pissen, zum
Schlachthause oder zu einer von seinen Buhlen läuft; wenn man ihm aber nicht glaubt, endlich alle
Hoffnung entwischen zu können aufgiebt, mit vollkommener Entsagung sich unter den Tisch legt und
das Piffen läßt und vergißt. Er hat vollkommen wie ein Mensch gelogen."

"Es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn viele Beobachter dem Pudel menschliche Verstands-
geschicklichkeit zuschreiben. Und wirklich ist kein Mensch in Beobachtungsumständen geschickter, keiner
äußert seine Ungeduld, wenn man ihn nicht berücksichtigt, besser, als der Pudel. Er prüft vorher
sorgfältig, ehe er entscheidet, und er will sich nicht täuschen und auch nicht ausgelacht werden."

"Mit Prügeln kann man dem Pudel Nichts lehren; er ist nur ängstlich, verwirrt, thut immer
weniger, ganz wie ein Kind, das weinend lernen muß. Doch listig thut er auch bisweilen ganz
dumm. Mit Gutem kann man ihn sogar ans Widrige gewöhnen und Dinge essen oder trinken lehren,
welche er sonst verschmäht. Manche Pudel werden und sind so recht eigentliche Kaffeefraubasen und
ziehen das Getränk unbedingt allen anderen vor."

"Sonderbar ist es, daß der Pudel, je gutmüthiger und verständiger er ist, um so minder ein
guter Hauswächter ist, desto minder auf den Menschen abgerichtet werden kann. Er liebt und schätzt
alle Menschen; will man ihn gegen einen Menschen reizen, so schaut er nur seinen Herrn und dessen
Gegner an, als ob er denke, es könne seinem Herrn nicht möglich sein, ihn auf einen seines Gleichen
zu hetzen. Man könnte seinen Herrn morden, ohne daß er sich für ihn wehrte. Gegen seinen Herrn
ist er stets unterwürfig im höchsten Grade, er fürchtet nicht nur die Schläge, sondern schon den
Unwillen, das Wort, den drohend verweisenden Finger."

"Pferde und Hunde scheinen unter allen Thieren am ersten erschreckt werden zu können, der
Pudel kann sogar erstaunen, d. h. es kann seine Beurtheilungskraft plötzlich stillgestellt werden. Ein
Pudel verfolgte einen Raben auf einer Wiese. Der Rabe stellt sich gegen ihn, auf einmal ruft er
den Hund an: "Spitzbube, Spitzbube"! -- erschrocken fährt der Hund zurück, sein Verstand stand
ihm still: ein Thier, ein Vogel und -- eine Menschenstimme!"

"Der Pudel ist nie gern allein; immer sucht er Menschen auf. Die ersten sind ihm die besten.
Er giebt sich nicht gern mit Hunden anderer Art ab, und will er spielen, so thut er's mit Pudeln,

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Das Lebensbild des Pudels, von Scheitlin.

„Der Pudel iſt der geachtetſte (aber nicht der gefürchtetſte) und auch beliebteſte Hund, weil er
der gutmüthigſte iſt. Kindern iſt er ganz beſonders lieb, weil er ſich auf jede Weiſe necken und auf
ſich reiten, ſich zupfen und zerren läßt, ohne zu knurren, zu beißen und ungeduldig zu werden. So
gefräßig er iſt, ſo kann man ihm doch das Freſſen oft aus ſeinem Rachen wieder hervorholen, was
ſehr wenige Hunde zulaſſen. Den, welcher ihn einmal geſchoren, kennt er für ſein ganzes Leben und
ſchaut ihn darum an, wo er ihn trifft. Kommt er nach Jahresfriſt wieder ins Haus, um ihn zu
ſcheren, ſo rennt er augenblicklich weg und verbirgt ſich: er will nicht geſchoren ſein. Aber ſeinen
Mann kennend, läßt er ſich willig aus dem Winkel und Dunkel hervorziehen und fügt ſich ohne
Widerſpruch in die Nothwendigkeit. Wird er von einem tollen Hund gebiſſen und kommt der Henker
ihn zu holen, ſo weiß er augenblicklich, was ihm droht. Er verbirgt ſich, ſein Auge wird ſogleich
trübe und erſchrocken, doch wehrt er ſich nicht. Den Todesſtich oder Schlag empfängt er, wie die
Pferde, mit ruhigem Herzen. Wird er krank und einem Arzt übergeben, ſo unterzieht er ſich der
Kur ſehr gutwillig, und wie der Orang merkt er ſchnell, was ihm dienlich ſei. Kein Thier erkennt
ſo ſchnell die Meiſterſchaft des Menſchen, daß es ihm gehorchen ſolle und müſſe, und daß der Ge-
horſam das Beſte für ihn ſei.‟

„Sehr artig iſt zu ſehen, wie er ſeinen Herrn ſucht. Er läuft mit geſenktem Kopfe die Straße
lang, ſteht ſtill, beſinnt ſich, kehrt wieder um, bleibt an der andern Ecke der Straße wieder ſtill ſtehen,
denkt mehr, als er ſchaut, beſchreibt Diagonalen, um ſchneller irgendwo zu ſein ꝛc. Artig zu ſehen
iſt auch, wenn er ausgehen will und nicht ſoll, ſeinen Herrn überliſten will, wie er ihn zu über-
ſchleichen ſucht, thut, als wenn er nicht fort wolle, wenn man ihn nicht anſchaut, plötzlich den Reiß-
aus nimmt oder mit füchſiſcher, überhündiſcher Liſt an der Wand ein Bein aufhebt, als ob er piſſen
müſſe, damit man ihn hinausjage, und wenn man ihn hinausjagt, augenblicklich, ohne zu piſſen, zum
Schlachthauſe oder zu einer von ſeinen Buhlen läuft; wenn man ihm aber nicht glaubt, endlich alle
Hoffnung entwiſchen zu können aufgiebt, mit vollkommener Entſagung ſich unter den Tiſch legt und
das Piffen läßt und vergißt. Er hat vollkommen wie ein Menſch gelogen.‟

„Es darf uns nicht Wunder nehmen, wenn viele Beobachter dem Pudel menſchliche Verſtands-
geſchicklichkeit zuſchreiben. Und wirklich iſt kein Menſch in Beobachtungsumſtänden geſchickter, keiner
äußert ſeine Ungeduld, wenn man ihn nicht berückſichtigt, beſſer, als der Pudel. Er prüft vorher
ſorgfältig, ehe er entſcheidet, und er will ſich nicht täuſchen und auch nicht ausgelacht werden.‟

„Mit Prügeln kann man dem Pudel Nichts lehren; er iſt nur ängſtlich, verwirrt, thut immer
weniger, ganz wie ein Kind, das weinend lernen muß. Doch liſtig thut er auch bisweilen ganz
dumm. Mit Gutem kann man ihn ſogar ans Widrige gewöhnen und Dinge eſſen oder trinken lehren,
welche er ſonſt verſchmäht. Manche Pudel werden und ſind ſo recht eigentliche Kaffeefraubaſen und
ziehen das Getränk unbedingt allen anderen vor.‟

„Sonderbar iſt es, daß der Pudel, je gutmüthiger und verſtändiger er iſt, um ſo minder ein
guter Hauswächter iſt, deſto minder auf den Menſchen abgerichtet werden kann. Er liebt und ſchätzt
alle Menſchen; will man ihn gegen einen Menſchen reizen, ſo ſchaut er nur ſeinen Herrn und deſſen
Gegner an, als ob er denke, es könne ſeinem Herrn nicht möglich ſein, ihn auf einen ſeines Gleichen
zu hetzen. Man könnte ſeinen Herrn morden, ohne daß er ſich für ihn wehrte. Gegen ſeinen Herrn
iſt er ſtets unterwürfig im höchſten Grade, er fürchtet nicht nur die Schläge, ſondern ſchon den
Unwillen, das Wort, den drohend verweiſenden Finger.‟

Pferde und Hunde ſcheinen unter allen Thieren am erſten erſchreckt werden zu können, der
Pudel kann ſogar erſtaunen, d. h. es kann ſeine Beurtheilungskraft plötzlich ſtillgeſtellt werden. Ein
Pudel verfolgte einen Raben auf einer Wieſe. Der Rabe ſtellt ſich gegen ihn, auf einmal ruft er
den Hund an: „Spitzbube, Spitzbube‟! — erſchrocken fährt der Hund zurück, ſein Verſtand ſtand
ihm ſtill: ein Thier, ein Vogel und — eine Menſchenſtimme!‟

„Der Pudel iſt nie gern allein; immer ſucht er Menſchen auf. Die erſten ſind ihm die beſten.
Er giebt ſich nicht gern mit Hunden anderer Art ab, und will er ſpielen, ſo thut er’s mit Pudeln,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/453>, abgerufen am 22.11.2024.