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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Diezels Schilderung des Vorstehhundes.

"Die Natur scheint hier unter den Händen der Kunst gleichsam untergegangen zu sein; allein sie
ist es nicht, sie schlummert nur, oder vielmehr, sie schweigt, weil sie schweigen muß, weil ihre Stimme
nicht laut werden darf."

"Man beobachte denselben Hund, der unmittelbar unter den Augen seines Führers diesen hohen
Grad von Selbstbeherrschung zeigte, wenn er allein oder sich selbst überlassen ist, oder wenn er einen
Führer hat, den er nicht achtet. Er wird sich dann der Begierde zu jagen so gewiß überlassen, als
jeder andere auch. Daher kommt es dann auch, daß in der ersten Zeit der Abrichtung selbst Hunde,
die in der Nähe ihres Herrn schon ziemlich folgsam sind, noch manchen Fehler begehen, sobald man
ihnen gestattet, sich weit zu entfernen. Es sei mir vergönnt, einige Beispiele davon anzuführen,
wie groß der Hang dieser Hunde ist, das Wild zu verfolgen. Schon viele Hunde wurden mit Schrot-
schüssen verwundet, weil sie, auf mehrmaliges Rufen und Pfeifen nicht achtend, sich der Begierde
gleichsam blindlings überlassen hatten. Sie schrieen im Augenblick der Verwundung laut auf, ließen
sich aber dadurch doch nicht von der Fortsetzung der Verfolgung abhalten. Andere wurden so stark
getroffen, daß sie sogleich umkehren mußten. Aber kaum war eine Stunde verflossen, kaum hatten sie
sich ein wenig wieder erholt, als sie auch wieder jedem vorkommenden Hasen ebenso leidenschaftlich
nachsetzten, wie zuvor."

"Der merkwürdigste Fall dieser Art, welcher mir vorgekommen ist, war folgender: Eine Vorsteh-
hündin, welche aber nicht von mir erzogen und abgerichtet, sondern blos meiner Führung auf einige
Zeit anvertraut war, stand am Rande eines ziemlich breiten Grabens dicht vor einer Rebhühnerkette.
Als ich mich näherte, um zu schießen, stand unfern von uns ein junger Hase auf. Den Hund durch-
zuckte die Lust, hinter ihm herzujagen, wie ein elektrischer Schlag, und gewiß würde er es augenblicklich
gethan haben, hätte nicht meine Näherung und ein lauter Warnungsruf ihn noch nothdürftig zurück-
gehalten. Er blieb daher in seiner frühern Stellung, wandte aber, den zuerst gefundenen Gegenstand
gleichsam aufgebend, den Kopf immer nach der Stelle hin, wo der Hase lief, und zitterte dabei sicht-
lich am ganzen Leibe. Jetzt stiebten die Rebhühner auf, und ich schoß davon zwei. Allein anstatt wie
gewöhnlich diese mit dem größten Eifer zu apportiren, sprang der Hund, ohne im geringsten auf die
herabgefallenen Vögel zu achten, augenblicklich über den Graben und setzte dem schon längst ent-
flohenen Hasen nach."

"So sehr hatte Dies schon vom ersten Augenblick an seine ganze Seele beschäftigt. Man be-
rechne, welchen Kampf, welchen Grad von Selbstüberwindung es ihm gekostet haben mag, einer so
reizenden Versuchung zu widerstehen!" --

"Einen höchst anziehenden Anblick gewährt es dem Zuschauer, sogar Dem, welcher nicht selbst
Jäger oder Jagdkenner ist, wenn er die Vorsicht wahrnimmt, mit welcher sich der Vorstehhund dem
aufgefundenen Federwild nähert. Wenn er z. B. bei Mangel an günstigem Wind nicht ganz sicher
weiß, nach welcher Seite hin die Rebhühner gelaufen sind, so kehrt er schnell um, umkreist in großen
Bogen, wo er sie vermuthet, und jede große Annäherung sorgfältig vermeidend, spürt er auf diese
Weise endlich den Platz auf, wo sie festliegen, und hier erst bleibt auch er selbst augenblicklich fest-
stehen. Beim Absuchen der Getreidestücken läuft der erfahrne Hund nicht etwa in die Frucht selbst
hinein, sondern blos an der Seite des Ackers hin, jedoch so, daß ihm der Wind von dem Wilde her
entgegenweht; denn auf der entgegengesetzten Seite wird er den Zweck des Anffindens nicht so
sicher erreichen."

"Den höchsten Grad von Verstand dieser Art sah ich einst, als ich mit einigen Bekannten zu
Anfang des Sommers einen Spaziergang machte, um deren Hunde, welche im Rufe vorzüglicher Be-
fähigung standen, mir vorführen zu lassen. Sämmtliche Felder waren mit Frucht bedeckt; ich war
daher nicht wenig gespannt darauf, wie man es anfangen werde, um hier Gelegenheit zu haben, die
drei Hunde, welche wir bei uns hatten, arbeiten zu sehen. Bald aber überzeugte ich mich, daß dieser
Zweck ganz gut erreicht wurde; denn diese Hunde, einer wie der andere, suchten im sogenannten
Sommerbau, nämlich den Gersten-, Hafer- und Kartoffeläckern, deren Frucht noch weiter zurück war,

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Diezels Schilderung des Vorſtehhundes.

„Die Natur ſcheint hier unter den Händen der Kunſt gleichſam untergegangen zu ſein; allein ſie
iſt es nicht, ſie ſchlummert nur, oder vielmehr, ſie ſchweigt, weil ſie ſchweigen muß, weil ihre Stimme
nicht laut werden darf.‟

„Man beobachte denſelben Hund, der unmittelbar unter den Augen ſeines Führers dieſen hohen
Grad von Selbſtbeherrſchung zeigte, wenn er allein oder ſich ſelbſt überlaſſen iſt, oder wenn er einen
Führer hat, den er nicht achtet. Er wird ſich dann der Begierde zu jagen ſo gewiß überlaſſen, als
jeder andere auch. Daher kommt es dann auch, daß in der erſten Zeit der Abrichtung ſelbſt Hunde,
die in der Nähe ihres Herrn ſchon ziemlich folgſam ſind, noch manchen Fehler begehen, ſobald man
ihnen geſtattet, ſich weit zu entfernen. Es ſei mir vergönnt, einige Beiſpiele davon anzuführen,
wie groß der Hang dieſer Hunde iſt, das Wild zu verfolgen. Schon viele Hunde wurden mit Schrot-
ſchüſſen verwundet, weil ſie, auf mehrmaliges Rufen und Pfeifen nicht achtend, ſich der Begierde
gleichſam blindlings überlaſſen hatten. Sie ſchrieen im Augenblick der Verwundung laut auf, ließen
ſich aber dadurch doch nicht von der Fortſetzung der Verfolgung abhalten. Andere wurden ſo ſtark
getroffen, daß ſie ſogleich umkehren mußten. Aber kaum war eine Stunde verfloſſen, kaum hatten ſie
ſich ein wenig wieder erholt, als ſie auch wieder jedem vorkommenden Haſen ebenſo leidenſchaftlich
nachſetzten, wie zuvor.‟

„Der merkwürdigſte Fall dieſer Art, welcher mir vorgekommen iſt, war folgender: Eine Vorſteh-
hündin, welche aber nicht von mir erzogen und abgerichtet, ſondern blos meiner Führung auf einige
Zeit anvertraut war, ſtand am Rande eines ziemlich breiten Grabens dicht vor einer Rebhühnerkette.
Als ich mich näherte, um zu ſchießen, ſtand unfern von uns ein junger Haſe auf. Den Hund durch-
zuckte die Luſt, hinter ihm herzujagen, wie ein elektriſcher Schlag, und gewiß würde er es augenblicklich
gethan haben, hätte nicht meine Näherung und ein lauter Warnungsruf ihn noch nothdürftig zurück-
gehalten. Er blieb daher in ſeiner frühern Stellung, wandte aber, den zuerſt gefundenen Gegenſtand
gleichſam aufgebend, den Kopf immer nach der Stelle hin, wo der Haſe lief, und zitterte dabei ſicht-
lich am ganzen Leibe. Jetzt ſtiebten die Rebhühner auf, und ich ſchoß davon zwei. Allein anſtatt wie
gewöhnlich dieſe mit dem größten Eifer zu apportiren, ſprang der Hund, ohne im geringſten auf die
herabgefallenen Vögel zu achten, augenblicklich über den Graben und ſetzte dem ſchon längſt ent-
flohenen Haſen nach.‟

„So ſehr hatte Dies ſchon vom erſten Augenblick an ſeine ganze Seele beſchäftigt. Man be-
rechne, welchen Kampf, welchen Grad von Selbſtüberwindung es ihm gekoſtet haben mag, einer ſo
reizenden Verſuchung zu widerſtehen!‟ —

„Einen höchſt anziehenden Anblick gewährt es dem Zuſchauer, ſogar Dem, welcher nicht ſelbſt
Jäger oder Jagdkenner iſt, wenn er die Vorſicht wahrnimmt, mit welcher ſich der Vorſtehhund dem
aufgefundenen Federwild nähert. Wenn er z. B. bei Mangel an günſtigem Wind nicht ganz ſicher
weiß, nach welcher Seite hin die Rebhühner gelaufen ſind, ſo kehrt er ſchnell um, umkreiſt in großen
Bogen, wo er ſie vermuthet, und jede große Annäherung ſorgfältig vermeidend, ſpürt er auf dieſe
Weiſe endlich den Platz auf, wo ſie feſtliegen, und hier erſt bleibt auch er ſelbſt augenblicklich feſt-
ſtehen. Beim Abſuchen der Getreideſtücken läuft der erfahrne Hund nicht etwa in die Frucht ſelbſt
hinein, ſondern blos an der Seite des Ackers hin, jedoch ſo, daß ihm der Wind von dem Wilde her
entgegenweht; denn auf der entgegengeſetzten Seite wird er den Zweck des Anffindens nicht ſo
ſicher erreichen.‟

„Den höchſten Grad von Verſtand dieſer Art ſah ich einſt, als ich mit einigen Bekannten zu
Anfang des Sommers einen Spaziergang machte, um deren Hunde, welche im Rufe vorzüglicher Be-
fähigung ſtanden, mir vorführen zu laſſen. Sämmtliche Felder waren mit Frucht bedeckt; ich war
daher nicht wenig geſpannt darauf, wie man es anfangen werde, um hier Gelegenheit zu haben, die
drei Hunde, welche wir bei uns hatten, arbeiten zu ſehen. Bald aber überzeugte ich mich, daß dieſer
Zweck ganz gut erreicht wurde; denn dieſe Hunde, einer wie der andere, ſuchten im ſogenannten
Sommerbau, nämlich den Gerſten-, Hafer- und Kartoffeläckern, deren Frucht noch weiter zurück war,

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[371/0437] Diezels Schilderung des Vorſtehhundes. „Die Natur ſcheint hier unter den Händen der Kunſt gleichſam untergegangen zu ſein; allein ſie iſt es nicht, ſie ſchlummert nur, oder vielmehr, ſie ſchweigt, weil ſie ſchweigen muß, weil ihre Stimme nicht laut werden darf.‟ „Man beobachte denſelben Hund, der unmittelbar unter den Augen ſeines Führers dieſen hohen Grad von Selbſtbeherrſchung zeigte, wenn er allein oder ſich ſelbſt überlaſſen iſt, oder wenn er einen Führer hat, den er nicht achtet. Er wird ſich dann der Begierde zu jagen ſo gewiß überlaſſen, als jeder andere auch. Daher kommt es dann auch, daß in der erſten Zeit der Abrichtung ſelbſt Hunde, die in der Nähe ihres Herrn ſchon ziemlich folgſam ſind, noch manchen Fehler begehen, ſobald man ihnen geſtattet, ſich weit zu entfernen. Es ſei mir vergönnt, einige Beiſpiele davon anzuführen, wie groß der Hang dieſer Hunde iſt, das Wild zu verfolgen. Schon viele Hunde wurden mit Schrot- ſchüſſen verwundet, weil ſie, auf mehrmaliges Rufen und Pfeifen nicht achtend, ſich der Begierde gleichſam blindlings überlaſſen hatten. Sie ſchrieen im Augenblick der Verwundung laut auf, ließen ſich aber dadurch doch nicht von der Fortſetzung der Verfolgung abhalten. Andere wurden ſo ſtark getroffen, daß ſie ſogleich umkehren mußten. Aber kaum war eine Stunde verfloſſen, kaum hatten ſie ſich ein wenig wieder erholt, als ſie auch wieder jedem vorkommenden Haſen ebenſo leidenſchaftlich nachſetzten, wie zuvor.‟ „Der merkwürdigſte Fall dieſer Art, welcher mir vorgekommen iſt, war folgender: Eine Vorſteh- hündin, welche aber nicht von mir erzogen und abgerichtet, ſondern blos meiner Führung auf einige Zeit anvertraut war, ſtand am Rande eines ziemlich breiten Grabens dicht vor einer Rebhühnerkette. Als ich mich näherte, um zu ſchießen, ſtand unfern von uns ein junger Haſe auf. Den Hund durch- zuckte die Luſt, hinter ihm herzujagen, wie ein elektriſcher Schlag, und gewiß würde er es augenblicklich gethan haben, hätte nicht meine Näherung und ein lauter Warnungsruf ihn noch nothdürftig zurück- gehalten. Er blieb daher in ſeiner frühern Stellung, wandte aber, den zuerſt gefundenen Gegenſtand gleichſam aufgebend, den Kopf immer nach der Stelle hin, wo der Haſe lief, und zitterte dabei ſicht- lich am ganzen Leibe. Jetzt ſtiebten die Rebhühner auf, und ich ſchoß davon zwei. Allein anſtatt wie gewöhnlich dieſe mit dem größten Eifer zu apportiren, ſprang der Hund, ohne im geringſten auf die herabgefallenen Vögel zu achten, augenblicklich über den Graben und ſetzte dem ſchon längſt ent- flohenen Haſen nach.‟ „So ſehr hatte Dies ſchon vom erſten Augenblick an ſeine ganze Seele beſchäftigt. Man be- rechne, welchen Kampf, welchen Grad von Selbſtüberwindung es ihm gekoſtet haben mag, einer ſo reizenden Verſuchung zu widerſtehen!‟ — „Einen höchſt anziehenden Anblick gewährt es dem Zuſchauer, ſogar Dem, welcher nicht ſelbſt Jäger oder Jagdkenner iſt, wenn er die Vorſicht wahrnimmt, mit welcher ſich der Vorſtehhund dem aufgefundenen Federwild nähert. Wenn er z. B. bei Mangel an günſtigem Wind nicht ganz ſicher weiß, nach welcher Seite hin die Rebhühner gelaufen ſind, ſo kehrt er ſchnell um, umkreiſt in großen Bogen, wo er ſie vermuthet, und jede große Annäherung ſorgfältig vermeidend, ſpürt er auf dieſe Weiſe endlich den Platz auf, wo ſie feſtliegen, und hier erſt bleibt auch er ſelbſt augenblicklich feſt- ſtehen. Beim Abſuchen der Getreideſtücken läuft der erfahrne Hund nicht etwa in die Frucht ſelbſt hinein, ſondern blos an der Seite des Ackers hin, jedoch ſo, daß ihm der Wind von dem Wilde her entgegenweht; denn auf der entgegengeſetzten Seite wird er den Zweck des Anffindens nicht ſo ſicher erreichen.‟ „Den höchſten Grad von Verſtand dieſer Art ſah ich einſt, als ich mit einigen Bekannten zu Anfang des Sommers einen Spaziergang machte, um deren Hunde, welche im Rufe vorzüglicher Be- fähigung ſtanden, mir vorführen zu laſſen. Sämmtliche Felder waren mit Frucht bedeckt; ich war daher nicht wenig geſpannt darauf, wie man es anfangen werde, um hier Gelegenheit zu haben, die drei Hunde, welche wir bei uns hatten, arbeiten zu ſehen. Bald aber überzeugte ich mich, daß dieſer Zweck ganz gut erreicht wurde; denn dieſe Hunde, einer wie der andere, ſuchten im ſogenannten Sommerbau, nämlich den Gerſten-, Hafer- und Kartoffeläckern, deren Frucht noch weiter zurück war, 24 *

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/437>, abgerufen am 22.11.2024.