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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Hunde in Egypten und Konstantinopel.
in der Straße liegen und sich herumquälen, welchem durch einen unglücklichen Zufall beide Hinter-
beine derart zerschmettert waren, daß er sie gar nicht mehr gebrauchen konnte und sie, wenn er sich
mit den Vorderbeinen mühsam weiterbewegte, hintennach schleifen mußte. Ganz unzweifelhaft hatten
alle Bewohner des Ortes dieses unglückliche, erbärmliche Thier schon Monate lang täglich gesehen,
Niemandem aber war es eingefallen, ihm einen Gnadenstoß zu geben. Jch zog eine Pistole und schoß
ihm eine Kugel durch den Kopf, mußte mich aber ordentlich gegen die Leute vertheidigen wegen
meiner That.

Fängt man sich junge Hunde und hält sie lange Zeit in der Gefangenschaft, so werden sie
vollständig zu Haushunden und sind dann als wachsame und treue Thiere sehr geschätzt. Bei weitem
der größte Theil der jungen Straßenhunde aber findet keinen Herrn und begiebt sich, nachdem
er halberwachsen ist, mit der Alten ins Freie und lebt dort genau in derselben Weise, wie seine
Vorfahren.

Jnnerhalb ihrer eigentlichen Wohnkreise sind die verwilderten Hunde ziemlich scheu und vor-
sichtig, und namentlich vor dem fremdartig Gekleideten weichen sie jederzeit aus, sobald sich dieser ihnen
nähert. Beleidigt man einen, so erhebt sich ein wahrer Aufruhr. Aus jedem Loche schaut ein Kopf
heraus, und nach wenigen Minuten sind die Gipfel der Hügel mit Hunden bedeckt, welche ein ununter-
brochenes Gebell ausstoßen. Jch habe mehrmals auf solche Hunde förmlich Jagd gemacht, theils um
sie zu beobachten, theils um ihr Fleisch zu verwenden d. h. um es entweder als Köder für die Geier
auszuwerfen, oder um es meinen gefangenen Geiern und Hiänen zu verfüttern. Bei diesen Jagden
habe ich mich von dem Zusammenleben und Zusammenhalten der Thiere hinreichend überzeugen können
und dabei auch unter andern die Beobachtung gemacht, daß sie mich schon nach kurzer Zeit vollständig
kennen und fürchten gelernt hatten. Jn Charthum z. B. war es mir zuletzt unmöglich, solche herren-
lose Hunde mit der Büchse zu erlegen, weil sie mich nicht mehr auf 400 Schritt an sich herankommen
ließen. Sie sind überhaupt dem Fremden sehr abhold und kläffen ihn an, sobald er sich zeigt, aber sie
ziehen sich augenblicklich zurück, wenn man sich umwendet. Gleichwohl kommt nicht selten eine starke
Anzahl auf Einen los, und dann ist es jedenfalls gut, dem naseweisesten Gesellen eine Kugel vor den
Kopf zu schießen. Mit den Mahammedanern oder morgenländisch gekleideten Leuten leben sie in guter
Freundschaft; sie fürchten dieselben nicht im Geringsten und kommen oft so nahe an sie heran, als ob
sie gezähmt wären; mit den Haushunden dagegen liegen sie beständig in Streit, und wenn ein einzelner
Hund aus der Stadt in ihr Gebiet kommt, wird er gewöhnlich so gebissen, daß er sich nicht mehr rühren
kann. Auch die Hunde eines Berges verkehren nicht friedlich mit denen eines andern, sondern ge-
rathen augenblicklich mit allen in Streit, welche nicht unter ihnen groß geworden und sich sozusagen
mit ihnen zusammengebissen haben.

Manchmal vermehren sich die verwilderten Hunde in das Unglaubliche, und dann werden sie zur
wirklichen Landplage. Mahammed Aali ließ einmal, um dieser Pest zu steuern, ein Schiff förmlich
mit Hunden befrachten und diese dann auf hoher See über Bord werfen, um sie sicher zu ertränken.
Zum größten Glück sind sie der Wasserschen nur äußerst selten ausgesetzt, ja man kennt wirklich kaum
Beispiele, daß Jemand von einem tollen Hunde gebissen worden wäre. Die verwilderten Hunde gelten
den Mahammedanern, wie alle Thiere, welche Aas fressen, für unrein in Glaubenssachen, und es ist
deshalb dem Gläubigen verwehrt, sich näher mit ihnen zu befassen. Wird ein solches Thier aber ge-
zähmt, so ändert sich die Sache, dann gilt blos seine beständig feuchte Nase noch für unrein.

Jn Konstantinopel soll das Verhältniß des Menschen zu den Hunden ein ganz ähnliches sein.
"Unzertrennlich von den Gassen der Hauptstadt," sagt Hackländer, "ist der Gedanke an ihre be-
ständigen Bewohner, die herrenlosen Hunde, welche man in zahlloser Menge auf ihnen erblickt. Ge-
wöhnlich macht man sich von Dingen, von denen man oft liest, eine große Jdee und findet sich ge-
täuscht. Nicht so bei diesen Hunden. Obgleich alle Reisenden darüber einig sind, sie als eine Plage
der Menschen darzustellen, so sind doch die meisten bei der Beschreibung dieses Unwesens zu gelinde
verfahren."

Die Hunde in Egypten und Konſtantinopel.
in der Straße liegen und ſich herumquälen, welchem durch einen unglücklichen Zufall beide Hinter-
beine derart zerſchmettert waren, daß er ſie gar nicht mehr gebrauchen konnte und ſie, wenn er ſich
mit den Vorderbeinen mühſam weiterbewegte, hintennach ſchleifen mußte. Ganz unzweifelhaft hatten
alle Bewohner des Ortes dieſes unglückliche, erbärmliche Thier ſchon Monate lang täglich geſehen,
Niemandem aber war es eingefallen, ihm einen Gnadenſtoß zu geben. Jch zog eine Piſtole und ſchoß
ihm eine Kugel durch den Kopf, mußte mich aber ordentlich gegen die Leute vertheidigen wegen
meiner That.

Fängt man ſich junge Hunde und hält ſie lange Zeit in der Gefangenſchaft, ſo werden ſie
vollſtändig zu Haushunden und ſind dann als wachſame und treue Thiere ſehr geſchätzt. Bei weitem
der größte Theil der jungen Straßenhunde aber findet keinen Herrn und begiebt ſich, nachdem
er halberwachſen iſt, mit der Alten ins Freie und lebt dort genau in derſelben Weiſe, wie ſeine
Vorfahren.

Jnnerhalb ihrer eigentlichen Wohnkreiſe ſind die verwilderten Hunde ziemlich ſcheu und vor-
ſichtig, und namentlich vor dem fremdartig Gekleideten weichen ſie jederzeit aus, ſobald ſich dieſer ihnen
nähert. Beleidigt man einen, ſo erhebt ſich ein wahrer Aufruhr. Aus jedem Loche ſchaut ein Kopf
heraus, und nach wenigen Minuten ſind die Gipfel der Hügel mit Hunden bedeckt, welche ein ununter-
brochenes Gebell ausſtoßen. Jch habe mehrmals auf ſolche Hunde förmlich Jagd gemacht, theils um
ſie zu beobachten, theils um ihr Fleiſch zu verwenden d. h. um es entweder als Köder für die Geier
auszuwerfen, oder um es meinen gefangenen Geiern und Hiänen zu verfüttern. Bei dieſen Jagden
habe ich mich von dem Zuſammenleben und Zuſammenhalten der Thiere hinreichend überzeugen können
und dabei auch unter andern die Beobachtung gemacht, daß ſie mich ſchon nach kurzer Zeit vollſtändig
kennen und fürchten gelernt hatten. Jn Charthum z. B. war es mir zuletzt unmöglich, ſolche herren-
loſe Hunde mit der Büchſe zu erlegen, weil ſie mich nicht mehr auf 400 Schritt an ſich herankommen
ließen. Sie ſind überhaupt dem Fremden ſehr abhold und kläffen ihn an, ſobald er ſich zeigt, aber ſie
ziehen ſich augenblicklich zurück, wenn man ſich umwendet. Gleichwohl kommt nicht ſelten eine ſtarke
Anzahl auf Einen los, und dann iſt es jedenfalls gut, dem naſeweiſeſten Geſellen eine Kugel vor den
Kopf zu ſchießen. Mit den Mahammedanern oder morgenländiſch gekleideten Leuten leben ſie in guter
Freundſchaft; ſie fürchten dieſelben nicht im Geringſten und kommen oft ſo nahe an ſie heran, als ob
ſie gezähmt wären; mit den Haushunden dagegen liegen ſie beſtändig in Streit, und wenn ein einzelner
Hund aus der Stadt in ihr Gebiet kommt, wird er gewöhnlich ſo gebiſſen, daß er ſich nicht mehr rühren
kann. Auch die Hunde eines Berges verkehren nicht friedlich mit denen eines andern, ſondern ge-
rathen augenblicklich mit allen in Streit, welche nicht unter ihnen groß geworden und ſich ſozuſagen
mit ihnen zuſammengebiſſen haben.

Manchmal vermehren ſich die verwilderten Hunde in das Unglaubliche, und dann werden ſie zur
wirklichen Landplage. Mahammed Aali ließ einmal, um dieſer Peſt zu ſteuern, ein Schiff förmlich
mit Hunden befrachten und dieſe dann auf hoher See über Bord werfen, um ſie ſicher zu ertränken.
Zum größten Glück ſind ſie der Waſſerſchen nur äußerſt ſelten ausgeſetzt, ja man kennt wirklich kaum
Beiſpiele, daß Jemand von einem tollen Hunde gebiſſen worden wäre. Die verwilderten Hunde gelten
den Mahammedanern, wie alle Thiere, welche Aas freſſen, für unrein in Glaubensſachen, und es iſt
deshalb dem Gläubigen verwehrt, ſich näher mit ihnen zu befaſſen. Wird ein ſolches Thier aber ge-
zähmt, ſo ändert ſich die Sache, dann gilt blos ſeine beſtändig feuchte Naſe noch für unrein.

Jn Konſtantinopel ſoll das Verhältniß des Menſchen zu den Hunden ein ganz ähnliches ſein.
„Unzertrennlich von den Gaſſen der Hauptſtadt,‟ ſagt Hackländer, „iſt der Gedanke an ihre be-
ſtändigen Bewohner, die herrenloſen Hunde, welche man in zahlloſer Menge auf ihnen erblickt. Ge-
wöhnlich macht man ſich von Dingen, von denen man oft lieſt, eine große Jdee und findet ſich ge-
täuſcht. Nicht ſo bei dieſen Hunden. Obgleich alle Reiſenden darüber einig ſind, ſie als eine Plage
der Menſchen darzuſtellen, ſo ſind doch die meiſten bei der Beſchreibung dieſes Unweſens zu gelinde
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[329/0395] Die Hunde in Egypten und Konſtantinopel. in der Straße liegen und ſich herumquälen, welchem durch einen unglücklichen Zufall beide Hinter- beine derart zerſchmettert waren, daß er ſie gar nicht mehr gebrauchen konnte und ſie, wenn er ſich mit den Vorderbeinen mühſam weiterbewegte, hintennach ſchleifen mußte. Ganz unzweifelhaft hatten alle Bewohner des Ortes dieſes unglückliche, erbärmliche Thier ſchon Monate lang täglich geſehen, Niemandem aber war es eingefallen, ihm einen Gnadenſtoß zu geben. Jch zog eine Piſtole und ſchoß ihm eine Kugel durch den Kopf, mußte mich aber ordentlich gegen die Leute vertheidigen wegen meiner That. Fängt man ſich junge Hunde und hält ſie lange Zeit in der Gefangenſchaft, ſo werden ſie vollſtändig zu Haushunden und ſind dann als wachſame und treue Thiere ſehr geſchätzt. Bei weitem der größte Theil der jungen Straßenhunde aber findet keinen Herrn und begiebt ſich, nachdem er halberwachſen iſt, mit der Alten ins Freie und lebt dort genau in derſelben Weiſe, wie ſeine Vorfahren. Jnnerhalb ihrer eigentlichen Wohnkreiſe ſind die verwilderten Hunde ziemlich ſcheu und vor- ſichtig, und namentlich vor dem fremdartig Gekleideten weichen ſie jederzeit aus, ſobald ſich dieſer ihnen nähert. Beleidigt man einen, ſo erhebt ſich ein wahrer Aufruhr. Aus jedem Loche ſchaut ein Kopf heraus, und nach wenigen Minuten ſind die Gipfel der Hügel mit Hunden bedeckt, welche ein ununter- brochenes Gebell ausſtoßen. Jch habe mehrmals auf ſolche Hunde förmlich Jagd gemacht, theils um ſie zu beobachten, theils um ihr Fleiſch zu verwenden d. h. um es entweder als Köder für die Geier auszuwerfen, oder um es meinen gefangenen Geiern und Hiänen zu verfüttern. Bei dieſen Jagden habe ich mich von dem Zuſammenleben und Zuſammenhalten der Thiere hinreichend überzeugen können und dabei auch unter andern die Beobachtung gemacht, daß ſie mich ſchon nach kurzer Zeit vollſtändig kennen und fürchten gelernt hatten. Jn Charthum z. B. war es mir zuletzt unmöglich, ſolche herren- loſe Hunde mit der Büchſe zu erlegen, weil ſie mich nicht mehr auf 400 Schritt an ſich herankommen ließen. Sie ſind überhaupt dem Fremden ſehr abhold und kläffen ihn an, ſobald er ſich zeigt, aber ſie ziehen ſich augenblicklich zurück, wenn man ſich umwendet. Gleichwohl kommt nicht ſelten eine ſtarke Anzahl auf Einen los, und dann iſt es jedenfalls gut, dem naſeweiſeſten Geſellen eine Kugel vor den Kopf zu ſchießen. Mit den Mahammedanern oder morgenländiſch gekleideten Leuten leben ſie in guter Freundſchaft; ſie fürchten dieſelben nicht im Geringſten und kommen oft ſo nahe an ſie heran, als ob ſie gezähmt wären; mit den Haushunden dagegen liegen ſie beſtändig in Streit, und wenn ein einzelner Hund aus der Stadt in ihr Gebiet kommt, wird er gewöhnlich ſo gebiſſen, daß er ſich nicht mehr rühren kann. Auch die Hunde eines Berges verkehren nicht friedlich mit denen eines andern, ſondern ge- rathen augenblicklich mit allen in Streit, welche nicht unter ihnen groß geworden und ſich ſozuſagen mit ihnen zuſammengebiſſen haben. Manchmal vermehren ſich die verwilderten Hunde in das Unglaubliche, und dann werden ſie zur wirklichen Landplage. Mahammed Aali ließ einmal, um dieſer Peſt zu ſteuern, ein Schiff förmlich mit Hunden befrachten und dieſe dann auf hoher See über Bord werfen, um ſie ſicher zu ertränken. Zum größten Glück ſind ſie der Waſſerſchen nur äußerſt ſelten ausgeſetzt, ja man kennt wirklich kaum Beiſpiele, daß Jemand von einem tollen Hunde gebiſſen worden wäre. Die verwilderten Hunde gelten den Mahammedanern, wie alle Thiere, welche Aas freſſen, für unrein in Glaubensſachen, und es iſt deshalb dem Gläubigen verwehrt, ſich näher mit ihnen zu befaſſen. Wird ein ſolches Thier aber ge- zähmt, ſo ändert ſich die Sache, dann gilt blos ſeine beſtändig feuchte Naſe noch für unrein. Jn Konſtantinopel ſoll das Verhältniß des Menſchen zu den Hunden ein ganz ähnliches ſein. „Unzertrennlich von den Gaſſen der Hauptſtadt,‟ ſagt Hackländer, „iſt der Gedanke an ihre be- ſtändigen Bewohner, die herrenloſen Hunde, welche man in zahlloſer Menge auf ihnen erblickt. Ge- wöhnlich macht man ſich von Dingen, von denen man oft lieſt, eine große Jdee und findet ſich ge- täuſcht. Nicht ſo bei dieſen Hunden. Obgleich alle Reiſenden darüber einig ſind, ſie als eine Plage der Menſchen darzuſtellen, ſo ſind doch die meiſten bei der Beſchreibung dieſes Unweſens zu gelinde verfahren.‟

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/395>, abgerufen am 18.05.2024.