Jn diesen beiden Thieren sehen wir also schon durchaus wildlebende Hunde vor uns, von welchen man schwerlich sagen kann, daß sie als Nachkommen von Haushunden betrachtet werden müssen und deren Ahnen sich von den Menschen frei gemacht haben und verwildert sind; aber wir kennen noch mehr solch wilder Hunde. Ob der sehr bösartige Nippon (Canis javanicus) und der unzähmbare Adjak (Canis rutilans), der Hund von Sumatra (Canis sumatrensis) und andere ähnliche mit einem der genannten vereinigt werden müssen, lasse ich dahingestellt sein; ganz entschieden aber widerspreche ich Denen, welche glauben, daß alle wilden und unsere Haushunde zu einer und derselben Art gehören. Jch sah einen Adjak im Thiergarten von Amsterdam, wohin er von Cheribon gebracht worden war. Jn mancher Hinsicht ähnelt er freilich dem zahmen Hunde. Er läuft, sitzt, liegt zusammengekauert, wie dieser:
"Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch, Er wedelt -- Alles Hundebrauch." --
Aber der erste Blick auf ihn genügt, um in ihm ein von unserm Hunde durchaus verschiedenes Thier zu erkennen. Allerdings läßt sich nicht so leicht beschreiben, worin der Unterschied liegt; allein der
[Abbildung]
Der Kaberu (Canis simensis).
vergleichende Blick eines Naturkundigen, welcher lebende Thiere zu beobachten gewohnt ist, will mir auch mehr sagen, als etwaige Maßunterschiede oder ein kleines Höckerchen zu viel und zu wenig auf einem beliebigen Zahn. Dem Adjak schaut der Wolf so klar aus dem Gesicht heraus, daß man gar nicht zweifeln kann, weß Geistes Kind man vor sich hat. Kein einziger Haushund hat einen solchen Gesichtsausdruck, wie die wilden; selbst der Hund der Eskimos ist, wenn man ihm ins Gesicht schaut, vom Wolf zu unterscheiden; der Adjak aber sieht so wild aus, wie nur irgend einer seiner freilebenden Verwandten.
Der Gefangene in Amsterdam nun wird nur mit Fleisch gefüttert; andere Stoffe rührt er gar nicht an. Gegen seine Wärter zeigt er nicht die geringste Anhänglichkeit. Er lebt in Feindschaft mit Menschen und Thieren. Bei Tage schläft er fast immer, nachts soll er sehr lebendig sein und oft wie unsinnig im Käfig umherrasen. Mehr habe ich leider nicht erfahren können.
Auch Afrika besitzt seine wilden Hunde, den von Rüppell in Abissinien entdeckten Kaberu (Canis simensis) und den vom Senegal bis zum indischen Meere verbreiteten Dihb oder Wolfs-
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Sitten und Gewohnheiten.
Jn dieſen beiden Thieren ſehen wir alſo ſchon durchaus wildlebende Hunde vor uns, von welchen man ſchwerlich ſagen kann, daß ſie als Nachkommen von Haushunden betrachtet werden müſſen und deren Ahnen ſich von den Menſchen frei gemacht haben und verwildert ſind; aber wir kennen noch mehr ſolch wilder Hunde. Ob der ſehr bösartige Nippon (Canis javanicus) und der unzähmbare Adjak (Canis rutilans), der Hund von Sumatra (Canis sumatrensis) und andere ähnliche mit einem der genannten vereinigt werden müſſen, laſſe ich dahingeſtellt ſein; ganz entſchieden aber widerſpreche ich Denen, welche glauben, daß alle wilden und unſere Haushunde zu einer und derſelben Art gehören. Jch ſah einen Adjak im Thiergarten von Amſterdam, wohin er von Cheribon gebracht worden war. Jn mancher Hinſicht ähnelt er freilich dem zahmen Hunde. Er läuft, ſitzt, liegt zuſammengekauert, wie dieſer:
„Er knurrt und zweifelt, legt ſich auf den Bauch, Er wedelt — Alles Hundebrauch.‟ —
Aber der erſte Blick auf ihn genügt, um in ihm ein von unſerm Hunde durchaus verſchiedenes Thier zu erkennen. Allerdings läßt ſich nicht ſo leicht beſchreiben, worin der Unterſchied liegt; allein der
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Der Kaberu (Canis simensis).
vergleichende Blick eines Naturkundigen, welcher lebende Thiere zu beobachten gewohnt iſt, will mir auch mehr ſagen, als etwaige Maßunterſchiede oder ein kleines Höckerchen zu viel und zu wenig auf einem beliebigen Zahn. Dem Adjak ſchaut der Wolf ſo klar aus dem Geſicht heraus, daß man gar nicht zweifeln kann, weß Geiſtes Kind man vor ſich hat. Kein einziger Haushund hat einen ſolchen Geſichtsausdruck, wie die wilden; ſelbſt der Hund der Eskimos iſt, wenn man ihm ins Geſicht ſchaut, vom Wolf zu unterſcheiden; der Adjak aber ſieht ſo wild aus, wie nur irgend einer ſeiner freilebenden Verwandten.
Der Gefangene in Amſterdam nun wird nur mit Fleiſch gefüttert; andere Stoffe rührt er gar nicht an. Gegen ſeine Wärter zeigt er nicht die geringſte Anhänglichkeit. Er lebt in Feindſchaft mit Menſchen und Thieren. Bei Tage ſchläft er faſt immer, nachts ſoll er ſehr lebendig ſein und oft wie unſinnig im Käfig umherraſen. Mehr habe ich leider nicht erfahren können.
Auch Afrika beſitzt ſeine wilden Hunde, den von Rüppell in Abiſſinien entdeckten Kaberu (Canis simensis) und den vom Senegal bis zum indiſchen Meere verbreiteten Dihb oder Wolfs-
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Sitten und Gewohnheiten.
Jn dieſen beiden Thieren ſehen wir alſo ſchon durchaus wildlebende Hunde vor uns, von
welchen man ſchwerlich ſagen kann, daß ſie als Nachkommen von Haushunden betrachtet werden
müſſen und deren Ahnen ſich von den Menſchen frei gemacht haben und verwildert ſind; aber wir
kennen noch mehr ſolch wilder Hunde. Ob der ſehr bösartige Nippon (Canis javanicus) und der
unzähmbare Adjak (Canis rutilans), der Hund von Sumatra (Canis sumatrensis) und andere
ähnliche mit einem der genannten vereinigt werden müſſen, laſſe ich dahingeſtellt ſein; ganz entſchieden
aber widerſpreche ich Denen, welche glauben, daß alle wilden und unſere Haushunde zu einer und
derſelben Art gehören. Jch ſah einen Adjak im Thiergarten von Amſterdam, wohin er von Cheribon
gebracht worden war. Jn mancher Hinſicht ähnelt er freilich dem zahmen Hunde. Er läuft, ſitzt,
liegt zuſammengekauert, wie dieſer:
„Er knurrt und zweifelt, legt ſich auf den Bauch,
Er wedelt — Alles Hundebrauch.‟ —
Aber der erſte Blick auf ihn genügt, um in ihm ein von unſerm Hunde durchaus verſchiedenes Thier
zu erkennen. Allerdings läßt ſich nicht ſo leicht beſchreiben, worin der Unterſchied liegt; allein der
[Abbildung Der Kaberu (Canis simensis).]
vergleichende Blick eines Naturkundigen, welcher lebende Thiere zu beobachten gewohnt iſt, will mir
auch mehr ſagen, als etwaige Maßunterſchiede oder ein kleines Höckerchen zu viel und zu wenig auf
einem beliebigen Zahn. Dem Adjak ſchaut der Wolf ſo klar aus dem Geſicht heraus, daß man gar
nicht zweifeln kann, weß Geiſtes Kind man vor ſich hat. Kein einziger Haushund hat einen ſolchen
Geſichtsausdruck, wie die wilden; ſelbſt der Hund der Eskimos iſt, wenn man ihm ins Geſicht
ſchaut, vom Wolf zu unterſcheiden; der Adjak aber ſieht ſo wild aus, wie nur irgend einer ſeiner
freilebenden Verwandten.
Der Gefangene in Amſterdam nun wird nur mit Fleiſch gefüttert; andere Stoffe rührt er gar
nicht an. Gegen ſeine Wärter zeigt er nicht die geringſte Anhänglichkeit. Er lebt in Feindſchaft mit
Menſchen und Thieren. Bei Tage ſchläft er faſt immer, nachts ſoll er ſehr lebendig ſein und oft wie
unſinnig im Käfig umherraſen. Mehr habe ich leider nicht erfahren können.
Auch Afrika beſitzt ſeine wilden Hunde, den von Rüppell in Abiſſinien entdeckten Kaberu
(Canis simensis) und den vom Senegal bis zum indiſchen Meere verbreiteten Dihb oder Wolfs-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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