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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Hinz.

Wenn sich einer säugenden Katze ein fremder Hund oder eine andre Katze nähert, geht sie mit der
größten Wuth auf den Störenfried los, und selbst ihren Herrn läßt sie nicht gern ihre niedlichen
Kinderchen berühren. Dagegen zeigt sie zu derselben Zeit gegen andere Thiere ein Mitleiden, welches
ihr alle Ehre macht. Man kennt vielfache Beispiele, daß säugende Katzen kleine Hündchen, Kaninchen,
Häschen, Eichhörnchen, Ratten, ja sogar Mäuse säugten und groß zogen, und ich selbst habe als
Knabe mit meiner Katze derartige Versuche gemacht und bestätigt gefunden. Einer jung von mir auf-
gezogenen Katze brachte ich, als sie das erste Mal Junge geworfen hatte, ein noch blindes Eichhörnchen,
das einzige überlebende von dem ganzen Wurf, welchen wir hatten großziehen wollen. Die übrigen
Geschwister des kleinen netten Nagers waren unter unserer Pflege gestorben, und deshalb beschlossen
wir, zu sehen, ob nicht unsere Katze sich der Waise annehmen werde. Sie erfüllte das in sie gesetzte
Vertrauen vollständig. Mit Zärtlichkeit nahm sie das fremde Kind unter ihre eigenen auf, nährte und
wärmte es aufs beste und behandelte es gleich von Anfang an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung.
Das Eichhörnchen gedieh mit seinen Stiefbrüdern vortrefflich und blieb, nachdem diese schon weg-
gegeben waren, noch bei seiner Pflegemutter. Nunmehr schien diese das Geschöpf mit doppelter Liebe
anzusehen. Es bildete sich ein Verhältniß aus, so innig, als es nur immer sein konnte. Mutter und
Pflegekind verstanden sich vollkommen, die Katze rief nach Katzenart, Eichhörnchen antwortete mit
Knurren. Bald folgte es seiner Pflegerin durch das ganze Haus und später auch in den Garten. Nun
ereigneten sich oft ganz allerliebste Sachen. Dem natürlichen Triebe folgend, erkletterte z. B. das Eich-
hörnchen leicht und gewandt einen Baum, die Katze blinzelte nach ihm empor, augenscheinlich höchst
verwundert über die bereits so frühzeitig ausgebildete Geschicklichkeit des Grünschnabels und kratzte
wohl auch schwerfällig hinter ihm drein. Beide Thiere spielten mit einander, und wenn auch Hörnchen
sich etwas täppisch benahm, der gegenseitigen Zärtlichkeit that Dies keinen Eintrag, und die geduldige
Mutter wurde nicht müde, immer von neuem wieder das Spiel zu beginnen. Es würde wirklich zu
weit führen, wenn ich das ganze Verhältniß zwischen Beiden genau schildern wollte, und außerdem
habe ich den Fall auch bereits in der "Gartenlaube" mitgetheilt. So mag es genügen, wenn ich sage,
daß das Hörnchen durch einen unglücklichen Zufall leider bald sein Leben verlor, die Katze aber ihre
Liebe zu Pfleglingen trotzdem beibehielt. Sie sängte später junge Kaninchen, Ratten, junge Hunde
groß, und Nachkommen von ihr zeigten sich der trefflichen Mutter vollkommen würdig, indem sie eben-
falls sich zu Pflegerinnen anderer verwaister Geschöpfe hergaben. Jn jenem Aufsatze in der Garten-
laube habe ich auch noch eine sehr anziehende Geschichte mitgetheilt. Eine säugende Katze nämlich
wurde durch irgend einen Zufall plötzlich von ihren Kindern getrennt, und diese geriethen somit in
Gefahr zu verkümmern. Da kam der Besitzer der kleinen Gesellschaft auf einen guten Gedanken. Des
Nachbars Katze hatte Junge gehabt, war aber derselben beraubt worden. Diese wurde nun als Pflege-
mutter ausersehen und gewonnen. Sie unterzog sich bereitwillig der Pflege der Stiefkinder und behan-
delte sie ganz wie ihre eigenen. Plötzlich aber kehrte die rechte Mutter zurück, jedenfalls voller Sorgen
für ihre lieben Sprößlinge. Zu ihrer höchsten Freude fand sie diese in guten Händen -- und, siehe
da! beide Katzenmütter vereinigten sich fortan in der Pflege und Erziehung der Kleinen und ernährten
und vertheidigten sie gemeinschaftlich auf das kräftigste. Derartige Erzählungen könnte ich noch viele
hier anführen, doch denke ich, daß die mitgetheilten vollkommen hinreichen dürften, um das gute
Gemüth der Katze zu beweifen.

Gewöhnlich nimmt man an, daß die Katze nicht erziehungsfähig sei; man thut ihr dabei aber
großes Unrecht. Sie zeigt, wenn sie gut und verständig behandelt worden ist, ebensoviel Zuneigung
zu dem Menschen, als Verstand. Es giebt Katzen, und ich kannte selbst solche, welche schon mehrere
Male mit ihren bezüglichen Herrschaften von einer Wohnung in die andere gezogen sind, ohne daß es
ihnen eingefallen wäre, nach dem alten Hause zurückzukehren. Sie urtheilten eben, daß der Mensch in
diesem Falle ihnen mehr werth sei, als das Haus. Andere Katzen kommen, sobald sie ihren Herrn von
weitem sehen, augenblicklich zu demselben heran, schmeicheln und liebkosen ihm, spinnen vertraulich und
suchen ihm auf alle Weise ihre Zuneigung an den Tag zu legen. Sie unterscheiden dabei sehr wohl

Die Raubthiere. Katzen. — Hinz.

Wenn ſich einer ſäugenden Katze ein fremder Hund oder eine andre Katze nähert, geht ſie mit der
größten Wuth auf den Störenfried los, und ſelbſt ihren Herrn läßt ſie nicht gern ihre niedlichen
Kinderchen berühren. Dagegen zeigt ſie zu derſelben Zeit gegen andere Thiere ein Mitleiden, welches
ihr alle Ehre macht. Man kennt vielfache Beiſpiele, daß ſäugende Katzen kleine Hündchen, Kaninchen,
Häschen, Eichhörnchen, Ratten, ja ſogar Mäuſe ſäugten und groß zogen, und ich ſelbſt habe als
Knabe mit meiner Katze derartige Verſuche gemacht und beſtätigt gefunden. Einer jung von mir auf-
gezogenen Katze brachte ich, als ſie das erſte Mal Junge geworfen hatte, ein noch blindes Eichhörnchen,
das einzige überlebende von dem ganzen Wurf, welchen wir hatten großziehen wollen. Die übrigen
Geſchwiſter des kleinen netten Nagers waren unter unſerer Pflege geſtorben, und deshalb beſchloſſen
wir, zu ſehen, ob nicht unſere Katze ſich der Waiſe annehmen werde. Sie erfüllte das in ſie geſetzte
Vertrauen vollſtändig. Mit Zärtlichkeit nahm ſie das fremde Kind unter ihre eigenen auf, nährte und
wärmte es aufs beſte und behandelte es gleich von Anfang an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung.
Das Eichhörnchen gedieh mit ſeinen Stiefbrüdern vortrefflich und blieb, nachdem dieſe ſchon weg-
gegeben waren, noch bei ſeiner Pflegemutter. Nunmehr ſchien dieſe das Geſchöpf mit doppelter Liebe
anzuſehen. Es bildete ſich ein Verhältniß aus, ſo innig, als es nur immer ſein konnte. Mutter und
Pflegekind verſtanden ſich vollkommen, die Katze rief nach Katzenart, Eichhörnchen antwortete mit
Knurren. Bald folgte es ſeiner Pflegerin durch das ganze Haus und ſpäter auch in den Garten. Nun
ereigneten ſich oft ganz allerliebſte Sachen. Dem natürlichen Triebe folgend, erkletterte z. B. das Eich-
hörnchen leicht und gewandt einen Baum, die Katze blinzelte nach ihm empor, augenſcheinlich höchſt
verwundert über die bereits ſo frühzeitig ausgebildete Geſchicklichkeit des Grünſchnabels und kratzte
wohl auch ſchwerfällig hinter ihm drein. Beide Thiere ſpielten mit einander, und wenn auch Hörnchen
ſich etwas täppiſch benahm, der gegenſeitigen Zärtlichkeit that Dies keinen Eintrag, und die geduldige
Mutter wurde nicht müde, immer von neuem wieder das Spiel zu beginnen. Es würde wirklich zu
weit führen, wenn ich das ganze Verhältniß zwiſchen Beiden genau ſchildern wollte, und außerdem
habe ich den Fall auch bereits in der „Gartenlaube‟ mitgetheilt. So mag es genügen, wenn ich ſage,
daß das Hörnchen durch einen unglücklichen Zufall leider bald ſein Leben verlor, die Katze aber ihre
Liebe zu Pfleglingen trotzdem beibehielt. Sie ſängte ſpäter junge Kaninchen, Ratten, junge Hunde
groß, und Nachkommen von ihr zeigten ſich der trefflichen Mutter vollkommen würdig, indem ſie eben-
falls ſich zu Pflegerinnen anderer verwaiſter Geſchöpfe hergaben. Jn jenem Aufſatze in der Garten-
laube habe ich auch noch eine ſehr anziehende Geſchichte mitgetheilt. Eine ſäugende Katze nämlich
wurde durch irgend einen Zufall plötzlich von ihren Kindern getrennt, und dieſe geriethen ſomit in
Gefahr zu verkümmern. Da kam der Beſitzer der kleinen Geſellſchaft auf einen guten Gedanken. Des
Nachbars Katze hatte Junge gehabt, war aber derſelben beraubt worden. Dieſe wurde nun als Pflege-
mutter auserſehen und gewonnen. Sie unterzog ſich bereitwillig der Pflege der Stiefkinder und behan-
delte ſie ganz wie ihre eigenen. Plötzlich aber kehrte die rechte Mutter zurück, jedenfalls voller Sorgen
für ihre lieben Sprößlinge. Zu ihrer höchſten Freude fand ſie dieſe in guten Händen — und, ſiehe
da! beide Katzenmütter vereinigten ſich fortan in der Pflege und Erziehung der Kleinen und ernährten
und vertheidigten ſie gemeinſchaftlich auf das kräftigſte. Derartige Erzählungen könnte ich noch viele
hier anführen, doch denke ich, daß die mitgetheilten vollkommen hinreichen dürften, um das gute
Gemüth der Katze zu beweifen.

Gewöhnlich nimmt man an, daß die Katze nicht erziehungsfähig ſei; man thut ihr dabei aber
großes Unrecht. Sie zeigt, wenn ſie gut und verſtändig behandelt worden iſt, ebenſoviel Zuneigung
zu dem Menſchen, als Verſtand. Es giebt Katzen, und ich kannte ſelbſt ſolche, welche ſchon mehrere
Male mit ihren bezüglichen Herrſchaften von einer Wohnung in die andere gezogen ſind, ohne daß es
ihnen eingefallen wäre, nach dem alten Hauſe zurückzukehren. Sie urtheilten eben, daß der Menſch in
dieſem Falle ihnen mehr werth ſei, als das Haus. Andere Katzen kommen, ſobald ſie ihren Herrn von
weitem ſehen, augenblicklich zu demſelben heran, ſchmeicheln und liebkoſen ihm, ſpinnen vertraulich und
ſuchen ihm auf alle Weiſe ihre Zuneigung an den Tag zu legen. Sie unterſcheiden dabei ſehr wohl

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[288/0352] Die Raubthiere. Katzen. — Hinz. Wenn ſich einer ſäugenden Katze ein fremder Hund oder eine andre Katze nähert, geht ſie mit der größten Wuth auf den Störenfried los, und ſelbſt ihren Herrn läßt ſie nicht gern ihre niedlichen Kinderchen berühren. Dagegen zeigt ſie zu derſelben Zeit gegen andere Thiere ein Mitleiden, welches ihr alle Ehre macht. Man kennt vielfache Beiſpiele, daß ſäugende Katzen kleine Hündchen, Kaninchen, Häschen, Eichhörnchen, Ratten, ja ſogar Mäuſe ſäugten und groß zogen, und ich ſelbſt habe als Knabe mit meiner Katze derartige Verſuche gemacht und beſtätigt gefunden. Einer jung von mir auf- gezogenen Katze brachte ich, als ſie das erſte Mal Junge geworfen hatte, ein noch blindes Eichhörnchen, das einzige überlebende von dem ganzen Wurf, welchen wir hatten großziehen wollen. Die übrigen Geſchwiſter des kleinen netten Nagers waren unter unſerer Pflege geſtorben, und deshalb beſchloſſen wir, zu ſehen, ob nicht unſere Katze ſich der Waiſe annehmen werde. Sie erfüllte das in ſie geſetzte Vertrauen vollſtändig. Mit Zärtlichkeit nahm ſie das fremde Kind unter ihre eigenen auf, nährte und wärmte es aufs beſte und behandelte es gleich von Anfang an mit wahrhaft mütterlicher Hingebung. Das Eichhörnchen gedieh mit ſeinen Stiefbrüdern vortrefflich und blieb, nachdem dieſe ſchon weg- gegeben waren, noch bei ſeiner Pflegemutter. Nunmehr ſchien dieſe das Geſchöpf mit doppelter Liebe anzuſehen. Es bildete ſich ein Verhältniß aus, ſo innig, als es nur immer ſein konnte. Mutter und Pflegekind verſtanden ſich vollkommen, die Katze rief nach Katzenart, Eichhörnchen antwortete mit Knurren. Bald folgte es ſeiner Pflegerin durch das ganze Haus und ſpäter auch in den Garten. Nun ereigneten ſich oft ganz allerliebſte Sachen. Dem natürlichen Triebe folgend, erkletterte z. B. das Eich- hörnchen leicht und gewandt einen Baum, die Katze blinzelte nach ihm empor, augenſcheinlich höchſt verwundert über die bereits ſo frühzeitig ausgebildete Geſchicklichkeit des Grünſchnabels und kratzte wohl auch ſchwerfällig hinter ihm drein. Beide Thiere ſpielten mit einander, und wenn auch Hörnchen ſich etwas täppiſch benahm, der gegenſeitigen Zärtlichkeit that Dies keinen Eintrag, und die geduldige Mutter wurde nicht müde, immer von neuem wieder das Spiel zu beginnen. Es würde wirklich zu weit führen, wenn ich das ganze Verhältniß zwiſchen Beiden genau ſchildern wollte, und außerdem habe ich den Fall auch bereits in der „Gartenlaube‟ mitgetheilt. So mag es genügen, wenn ich ſage, daß das Hörnchen durch einen unglücklichen Zufall leider bald ſein Leben verlor, die Katze aber ihre Liebe zu Pfleglingen trotzdem beibehielt. Sie ſängte ſpäter junge Kaninchen, Ratten, junge Hunde groß, und Nachkommen von ihr zeigten ſich der trefflichen Mutter vollkommen würdig, indem ſie eben- falls ſich zu Pflegerinnen anderer verwaiſter Geſchöpfe hergaben. Jn jenem Aufſatze in der Garten- laube habe ich auch noch eine ſehr anziehende Geſchichte mitgetheilt. Eine ſäugende Katze nämlich wurde durch irgend einen Zufall plötzlich von ihren Kindern getrennt, und dieſe geriethen ſomit in Gefahr zu verkümmern. Da kam der Beſitzer der kleinen Geſellſchaft auf einen guten Gedanken. Des Nachbars Katze hatte Junge gehabt, war aber derſelben beraubt worden. Dieſe wurde nun als Pflege- mutter auserſehen und gewonnen. Sie unterzog ſich bereitwillig der Pflege der Stiefkinder und behan- delte ſie ganz wie ihre eigenen. Plötzlich aber kehrte die rechte Mutter zurück, jedenfalls voller Sorgen für ihre lieben Sprößlinge. Zu ihrer höchſten Freude fand ſie dieſe in guten Händen — und, ſiehe da! beide Katzenmütter vereinigten ſich fortan in der Pflege und Erziehung der Kleinen und ernährten und vertheidigten ſie gemeinſchaftlich auf das kräftigſte. Derartige Erzählungen könnte ich noch viele hier anführen, doch denke ich, daß die mitgetheilten vollkommen hinreichen dürften, um das gute Gemüth der Katze zu beweifen. Gewöhnlich nimmt man an, daß die Katze nicht erziehungsfähig ſei; man thut ihr dabei aber großes Unrecht. Sie zeigt, wenn ſie gut und verſtändig behandelt worden iſt, ebenſoviel Zuneigung zu dem Menſchen, als Verſtand. Es giebt Katzen, und ich kannte ſelbſt ſolche, welche ſchon mehrere Male mit ihren bezüglichen Herrſchaften von einer Wohnung in die andere gezogen ſind, ohne daß es ihnen eingefallen wäre, nach dem alten Hauſe zurückzukehren. Sie urtheilten eben, daß der Menſch in dieſem Falle ihnen mehr werth ſei, als das Haus. Andere Katzen kommen, ſobald ſie ihren Herrn von weitem ſehen, augenblicklich zu demſelben heran, ſchmeicheln und liebkoſen ihm, ſpinnen vertraulich und ſuchen ihm auf alle Weiſe ihre Zuneigung an den Tag zu legen. Sie unterſcheiden dabei ſehr wohl

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/352>, abgerufen am 22.11.2024.