Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Ein Blick auf das Leben der Gesammtheit.
fressenden Säugethiere nothwendigerweise Wiederkäuer sein müssen, "weil sie sich zum Fressen nicht
so viel Zeit nehmen könnten," als die gelehrten Herren selber zu ihren Gastereien und deshalb die
ihnen nöthige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären: ich, der ich die hohe Zweck-
mäßigkeit der Schöpfung mit vollster Bewunderung anerkenne, muß gestehen, daß ich den Grund,
warum es Wiederkäuer gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß sie dazu da sind, um
vielen Menschen durch ihre, gerade beim Wiederkäuen ersichtlich werdende Faulheit zum abschreckenden
Beispiele zu dienen. Doch betrachten wir lieber das Wiederkäuen selbst ohne Nutzanwendungen.

Der Magen der Wiederkäuer zerfällt, wie ich schon oben andeutete, in vier Abtheilungen,
von denen man die erste Wanst oder Pansen (c), die zweite Netzmagen, Haube oder Mütze
(d), die dritte Falten- oder Blättermagen, Buch, Kalender, Psalter und Löser (e) und die
vierte Fett-, Lab- oder Käsemagen (f) nennt. Die erste Abtheilung steht mit der Speiseröhre

[Abbildung] Magen der Wiederkäuer.
(a), die letztere mit dem Darmschlauch (g, h) in Verbindung. Der Pausen, welcher durch ein
Muskelband in zwei Abtheilungen getrennt ist, nimmt das nur sehr grob zerkauete Futter zuerst auf
und stößt es dann in kleinen Mengen in den Netzmagen hinüber, dessen gitterartige Falten es
durch theilweises Zerreiben oder mehr durch Einspeicheln, d. h. Tränken, mit dem abgesonderten
Magensaft vorverdauen und in Kügelchen formen. Diese werden nun durch Aufstoßen, Aufrülpsen
oder Erbrechen wieder in den Mund hinauf gebracht, dort mit den Mahlzähnen sehr gründlich ver-
arbeitet, noch mehr eingespeichelt und so dann zwischen zwei, eine Rinne bildenden Falten der Speise-
röhre in den dritten, blätterig gefalteten Psalter oder Löser hinabgesandt, von welchem sie endlich
dem letzten und eigentlichen Magen übergeben werden. Auf unserer Abbildung ist der Weg der
Speise durch die punktirten Linien bezeichnet.

Uebrigens ändert der Bau des Magens bei den verschiedenen Wiederkäuern nicht unbeträcht-
lich ab; hier haben wir den Magen des Schafes zu Grunde gelegt.

Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit.
freſſenden Säugethiere nothwendigerweiſe Wiederkäuer ſein müſſen, „weil ſie ſich zum Freſſen nicht
ſo viel Zeit nehmen könnten,‟ als die gelehrten Herren ſelber zu ihren Gaſtereien und deshalb die
ihnen nöthige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären: ich, der ich die hohe Zweck-
mäßigkeit der Schöpfung mit vollſter Bewunderung anerkenne, muß geſtehen, daß ich den Grund,
warum es Wiederkäuer gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß ſie dazu da ſind, um
vielen Menſchen durch ihre, gerade beim Wiederkäuen erſichtlich werdende Faulheit zum abſchreckenden
Beiſpiele zu dienen. Doch betrachten wir lieber das Wiederkäuen ſelbſt ohne Nutzanwendungen.

Der Magen der Wiederkäuer zerfällt, wie ich ſchon oben andeutete, in vier Abtheilungen,
von denen man die erſte Wanſt oder Panſen (c), die zweite Netzmagen, Haube oder Mütze
(d), die dritte Falten- oder Blättermagen, Buch, Kalender, Pſalter und Löſer (e) und die
vierte Fett-, Lab- oder Käſemagen (f) nennt. Die erſte Abtheilung ſteht mit der Speiſeröhre

[Abbildung] Magen der Wiederkäuer.
(a), die letztere mit dem Darmſchlauch (g, h) in Verbindung. Der Pauſen, welcher durch ein
Muskelband in zwei Abtheilungen getrennt iſt, nimmt das nur ſehr grob zerkauete Futter zuerſt auf
und ſtößt es dann in kleinen Mengen in den Netzmagen hinüber, deſſen gitterartige Falten es
durch theilweiſes Zerreiben oder mehr durch Einſpeicheln, d. h. Tränken, mit dem abgeſonderten
Magenſaft vorverdauen und in Kügelchen formen. Dieſe werden nun durch Aufſtoßen, Aufrülpſen
oder Erbrechen wieder in den Mund hinauf gebracht, dort mit den Mahlzähnen ſehr gründlich ver-
arbeitet, noch mehr eingeſpeichelt und ſo dann zwiſchen zwei, eine Rinne bildenden Falten der Speiſe-
röhre in den dritten, blätterig gefalteten Pſalter oder Löſer hinabgeſandt, von welchem ſie endlich
dem letzten und eigentlichen Magen übergeben werden. Auf unſerer Abbildung iſt der Weg der
Speiſe durch die punktirten Linien bezeichnet.

Uebrigens ändert der Bau des Magens bei den verſchiedenen Wiederkäuern nicht unbeträcht-
lich ab; hier haben wir den Magen des Schafes zu Grunde gelegt.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0032" n="XXII[XXII]"/><fw place="top" type="header">Ein Blick auf das Leben der Ge&#x017F;ammtheit.</fw><lb/>
fre&#x017F;&#x017F;enden Säugethiere nothwendigerwei&#x017F;e <hi rendition="#g">Wiederkäuer</hi> &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en, &#x201E;weil &#x017F;ie &#x017F;ich zum Fre&#x017F;&#x017F;en nicht<lb/>
&#x017F;o viel Zeit nehmen könnten,&#x201F; als die gelehrten Herren &#x017F;elber zu ihren Ga&#x017F;tereien und deshalb die<lb/>
ihnen nöthige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären: ich, der ich die hohe Zweck-<lb/>
mäßigkeit der Schöpfung mit voll&#x017F;ter Bewunderung anerkenne, muß ge&#x017F;tehen, daß ich den Grund,<lb/>
warum es <hi rendition="#g">Wiederkäuer</hi> gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß &#x017F;ie dazu da &#x017F;ind, um<lb/>
vielen Men&#x017F;chen durch ihre, gerade beim Wiederkäuen er&#x017F;ichtlich werdende Faulheit zum ab&#x017F;chreckenden<lb/>
Bei&#x017F;piele zu dienen. Doch betrachten wir lieber das <hi rendition="#g">Wiederkäuen</hi> &#x017F;elb&#x017F;t ohne Nutzanwendungen.</p><lb/>
        <p>Der <hi rendition="#g">Magen</hi> der <hi rendition="#g">Wiederkäuer</hi> zerfällt, wie ich &#x017F;chon oben andeutete, in vier Abtheilungen,<lb/>
von denen man die er&#x017F;te <hi rendition="#g">Wan&#x017F;t</hi> oder <hi rendition="#g">Pan&#x017F;en</hi> (<hi rendition="#aq">c</hi>), die zweite <hi rendition="#g">Netzmagen, Haube</hi> oder <hi rendition="#g">Mütze</hi><lb/>
(<hi rendition="#aq">d</hi>), die dritte <hi rendition="#g">Falten-</hi> oder <hi rendition="#g">Blättermagen, Buch, Kalender, P&#x017F;alter</hi> und <hi rendition="#g">&#x017F;er</hi> (<hi rendition="#aq">e</hi>) und die<lb/>
vierte <hi rendition="#g">Fett-, Lab-</hi> oder <hi rendition="#g">&#x017F;emagen</hi> (<hi rendition="#aq">f</hi>) nennt. Die er&#x017F;te Abtheilung &#x017F;teht mit der <hi rendition="#g">Spei&#x017F;eröhre</hi><lb/><figure><head><hi rendition="#c">Magen der <hi rendition="#g">Wiederkäuer.</hi></hi></head></figure><lb/>
(<hi rendition="#aq">a</hi>), die letztere mit dem <hi rendition="#g">Darm&#x017F;chlauch</hi> (<hi rendition="#aq">g, h</hi>) in Verbindung. Der <hi rendition="#g">Pau&#x017F;en,</hi> welcher durch ein<lb/>
Muskelband in zwei Abtheilungen getrennt i&#x017F;t, nimmt das nur &#x017F;ehr grob zerkauete Futter zuer&#x017F;t auf<lb/>
und &#x017F;tößt es dann in kleinen Mengen in den <hi rendition="#g">Netzmagen</hi> hinüber, de&#x017F;&#x017F;en gitterartige Falten es<lb/>
durch theilwei&#x017F;es Zerreiben oder mehr durch Ein&#x017F;peicheln, d. h. Tränken, mit dem abge&#x017F;onderten<lb/>
Magen&#x017F;aft vorverdauen und in Kügelchen formen. Die&#x017F;e werden nun durch Auf&#x017F;toßen, Aufrülp&#x017F;en<lb/>
oder Erbrechen wieder in den Mund hinauf gebracht, dort mit den Mahlzähnen &#x017F;ehr gründlich ver-<lb/>
arbeitet, noch mehr einge&#x017F;peichelt und &#x017F;o dann zwi&#x017F;chen zwei, eine Rinne bildenden Falten der Spei&#x017F;e-<lb/>
röhre in den dritten, blätterig gefalteten <hi rendition="#g">P&#x017F;alter</hi> oder <hi rendition="#g">&#x017F;er</hi> hinabge&#x017F;andt, von welchem &#x017F;ie endlich<lb/>
dem letzten und eigentlichen Magen übergeben werden. Auf un&#x017F;erer Abbildung i&#x017F;t der Weg der<lb/>
Spei&#x017F;e durch die punktirten Linien bezeichnet.</p><lb/>
        <p>Uebrigens ändert der Bau des <hi rendition="#g">Magens</hi> bei den ver&#x017F;chiedenen Wiederkäuern nicht unbeträcht-<lb/>
lich ab; hier haben wir den <hi rendition="#g">Magen</hi> des <hi rendition="#g">Schafes</hi> zu Grunde gelegt.</p><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XXII[XXII]/0032] Ein Blick auf das Leben der Geſammtheit. freſſenden Säugethiere nothwendigerweiſe Wiederkäuer ſein müſſen, „weil ſie ſich zum Freſſen nicht ſo viel Zeit nehmen könnten,‟ als die gelehrten Herren ſelber zu ihren Gaſtereien und deshalb die ihnen nöthige Nahrungsmenge auf einmal einzunehmen gezwungen wären: ich, der ich die hohe Zweck- mäßigkeit der Schöpfung mit vollſter Bewunderung anerkenne, muß geſtehen, daß ich den Grund, warum es Wiederkäuer gibt, nicht kenne; ich darf dafür aber glauben, daß ſie dazu da ſind, um vielen Menſchen durch ihre, gerade beim Wiederkäuen erſichtlich werdende Faulheit zum abſchreckenden Beiſpiele zu dienen. Doch betrachten wir lieber das Wiederkäuen ſelbſt ohne Nutzanwendungen. Der Magen der Wiederkäuer zerfällt, wie ich ſchon oben andeutete, in vier Abtheilungen, von denen man die erſte Wanſt oder Panſen (c), die zweite Netzmagen, Haube oder Mütze (d), die dritte Falten- oder Blättermagen, Buch, Kalender, Pſalter und Löſer (e) und die vierte Fett-, Lab- oder Käſemagen (f) nennt. Die erſte Abtheilung ſteht mit der Speiſeröhre [Abbildung Magen der Wiederkäuer.] (a), die letztere mit dem Darmſchlauch (g, h) in Verbindung. Der Pauſen, welcher durch ein Muskelband in zwei Abtheilungen getrennt iſt, nimmt das nur ſehr grob zerkauete Futter zuerſt auf und ſtößt es dann in kleinen Mengen in den Netzmagen hinüber, deſſen gitterartige Falten es durch theilweiſes Zerreiben oder mehr durch Einſpeicheln, d. h. Tränken, mit dem abgeſonderten Magenſaft vorverdauen und in Kügelchen formen. Dieſe werden nun durch Aufſtoßen, Aufrülpſen oder Erbrechen wieder in den Mund hinauf gebracht, dort mit den Mahlzähnen ſehr gründlich ver- arbeitet, noch mehr eingeſpeichelt und ſo dann zwiſchen zwei, eine Rinne bildenden Falten der Speiſe- röhre in den dritten, blätterig gefalteten Pſalter oder Löſer hinabgeſandt, von welchem ſie endlich dem letzten und eigentlichen Magen übergeben werden. Auf unſerer Abbildung iſt der Weg der Speiſe durch die punktirten Linien bezeichnet. Uebrigens ändert der Bau des Magens bei den verſchiedenen Wiederkäuern nicht unbeträcht- lich ab; hier haben wir den Magen des Schafes zu Grunde gelegt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/32
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. XXII[XXII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/32>, abgerufen am 19.04.2024.