Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Raubthiere. Katzen. -- Tiger.
wichtigen Grund gegen sich: sie erfordert einen zu großen Aufwand von Kraft und Geld und kann
deshalb nicht regelmäßig betrieben werden, sondern immer nur als Festtag gelten. Deshalb ist ihr
Erfolg verhältnißmäßig gering.

Weit ergiebiger, als alle die großen Treiben, wenn auch weniger pomphaft, sind die Einzel-
jagden, welche Engländer allein oder mit wenigen Gehilfen unternehmen. Wie Afrika seine Löwen-
jäger, hat Ostindien seine besonderen Tigerjäger, und eine der ersten Stellen unter ihnen dürfte
der Lieutenant Rice einnehmen. Derselbe hat ein besonderes Werk herausgegeben, unter dem Titel
"Tiger Shooting in India", und erzählt darin, daß er 68 Tiger, drei Panther und 25 Bären erlegt
und außerdem noch viele derselben verwundet habe. Da mir das Werk nicht zur Hand ist, entnehme
ich Einiges aus demselben, welches Hartwig in seiner "Tropenwelt" mittheilt.

Mit vortrefflichen Doppelläufen versehen und von wohl bezahlten Treibern und einer Koppel
muthiger Hunde begleitet, drang Rice herzhaft in das Dickicht und suchte selbst den aufgescheuchten
Tiger auf. Voran ging gewöhnlich der Schikari oder Haupttreiber, welcher, mit Aufmerksamkeit die
Spuren des Tigers beobachtend, die einzuschlagende Richtung angab. Rechts und links schritten neben
ihm die Engländer, stets schußfertig, und dicht hinter ihnen die sichersten ihrer Leute mit geladenen
Gewehren zum Austausch. Dann folgte die Musik, welche aus vier oder fünf Trommeln verschiedener
Größe, Zimbeln, Hörnern und ein Paar Pistolen bestand, welch letztere fort und fort abgeschossen
wurden. Männer, welche mit Säbeln und langen Jagdspießen bewaffnet waren, dienten der Musik
zum Geleite; den Nachtrupp bildeten Schleuderer, welche beständig über die Köpfe der Vorderen hin-
weg Steine in die Dschungeln warfen und damit noch viel besser, als durch den Höllenlärm jener
Werkzeuge, den Tiger aufscheuchten. Ab und zu kletterte auch ein Mann auf einen Baum, die Be-
wegung des Thieres zu beobachten. Der ganze Trupp bildete einen dicht geschlossenen Haufen.

Niemals wagt es der Tiger, eine Menschenmasse anzugreifen, welche sich auf eine so geräusch-
volle Weise ankündigt. So wild und verwegen er ist, wenn es sich um das Beschleichen und Ueber-
fallen einer ahnungslosen Beute handelt, so wenig Muth beweist er bei Gefahr. Einem Kampfe mit
dem Menschen sucht er immer auszuweichen, und sobald er sich verfolgt sieht, ergreift er fast feig die
Flucht, während der Löwe unter ähnlichen Umständen gerade am furchtbarsten wird. Wird der Tiger
verwundet, so stürzt er allerdings augenblicklich mit der blindesten Wuth auf seine Feinde los; gehen
diese aber in der eben angegebenen Weise durch die Dschungeln, so ist mit ziemlicher Sicherheit darauf
zu rechnen, daß das Leben der Treiber bei der Untersuchung eben keine große Gefahr länft, die Rohr-
bestände mögen so dick sein, wie sie wollen. Am schwierigsten ist es, die Leute immer gehörig zu-
sammenzuhalten, weil dieselben oft, von ihrem eignen Muthe hingerissen, bei dem geringsten günstigen
Erfolge geneigt sind, sich zu zerstrenen.

So warf sich einer von Rice's Treibern, alle Geduld über einen Tiger verlierend, welchen
weder der Lärm, noch Steinwürfe, noch Feuerbrände von seinem Lager aufjagen konnten, mit ge-
zogenem Säbel ganz allein in das Dickicht; aber wenige Augenblicke später war er auch von dem
Tiger ergriffen und gräßlich zerfleischt. Ohne sich zu bedenken, stürzten ihm seine Gefährten zur Hilfe
nach und nöthigten den Tiger, ihn wieder fahren zu lassen. Seine Wunden, obgleich schrecklich anzu-
sehen, waren glücklicherweise nicht lebensgefährlich, und er machte noch manches Treiben mit.

Bei einer solchen Jagd gerieth der Fähndrich Elliot, ein Freund des Tigertödters, in große
Gefahr. Von vierzig Treibern unterstützt, hatten beide Engländer eine Dschungel in Angriff ge-
nommen, welche nicht viel zu versprechen schien, und waren mit ihren Gewehren auf kleine Bäume
gestiegen, um den Erfolg der Untersuchung abzuwarten. Plötzlich scheuchten die Leute einen schönen
Tiger auf, und dieser schritt langsam auf sie zu. Sie schwiegen ganz still, aber einer ihrer Begleiter,
welcher auf einem andern Baume Wache hielt und fürchtete, daß sie von dem Tiger überrascht werden
möchten, schrie ihnen zu, auf ihrer Hut zu sein. Dies war genug, den Tiger von der eingeschlagenen
Richtung abzulenken, so daß die Engländer kaum Zeit hatten, ihm eine Kugel nachzusenden. Sein
lautes Gebrüll verkündete, daß er verwundet sei, doch hatte er sich schon zu weit in die Rohrwälder

Die Raubthiere. Katzen. — Tiger.
wichtigen Grund gegen ſich: ſie erfordert einen zu großen Aufwand von Kraft und Geld und kann
deshalb nicht regelmäßig betrieben werden, ſondern immer nur als Feſttag gelten. Deshalb iſt ihr
Erfolg verhältnißmäßig gering.

Weit ergiebiger, als alle die großen Treiben, wenn auch weniger pomphaft, ſind die Einzel-
jagden, welche Engländer allein oder mit wenigen Gehilfen unternehmen. Wie Afrika ſeine Löwen-
jäger, hat Oſtindien ſeine beſonderen Tigerjäger, und eine der erſten Stellen unter ihnen dürfte
der Lieutenant Rice einnehmen. Derſelbe hat ein beſonderes Werk herausgegeben, unter dem Titel
Tiger Shooting in India‟, und erzählt darin, daß er 68 Tiger, drei Panther und 25 Bären erlegt
und außerdem noch viele derſelben verwundet habe. Da mir das Werk nicht zur Hand iſt, entnehme
ich Einiges aus demſelben, welches Hartwig in ſeiner „Tropenwelt‟ mittheilt.

Mit vortrefflichen Doppelläufen verſehen und von wohl bezahlten Treibern und einer Koppel
muthiger Hunde begleitet, drang Rice herzhaft in das Dickicht und ſuchte ſelbſt den aufgeſcheuchten
Tiger auf. Voran ging gewöhnlich der Schikari oder Haupttreiber, welcher, mit Aufmerkſamkeit die
Spuren des Tigers beobachtend, die einzuſchlagende Richtung angab. Rechts und links ſchritten neben
ihm die Engländer, ſtets ſchußfertig, und dicht hinter ihnen die ſicherſten ihrer Leute mit geladenen
Gewehren zum Austauſch. Dann folgte die Muſik, welche aus vier oder fünf Trommeln verſchiedener
Größe, Zimbeln, Hörnern und ein Paar Piſtolen beſtand, welch letztere fort und fort abgeſchoſſen
wurden. Männer, welche mit Säbeln und langen Jagdſpießen bewaffnet waren, dienten der Muſik
zum Geleite; den Nachtrupp bildeten Schleuderer, welche beſtändig über die Köpfe der Vorderen hin-
weg Steine in die Dſchungeln warfen und damit noch viel beſſer, als durch den Höllenlärm jener
Werkzeuge, den Tiger aufſcheuchten. Ab und zu kletterte auch ein Mann auf einen Baum, die Be-
wegung des Thieres zu beobachten. Der ganze Trupp bildete einen dicht geſchloſſenen Haufen.

Niemals wagt es der Tiger, eine Menſchenmaſſe anzugreifen, welche ſich auf eine ſo geräuſch-
volle Weiſe ankündigt. So wild und verwegen er iſt, wenn es ſich um das Beſchleichen und Ueber-
fallen einer ahnungsloſen Beute handelt, ſo wenig Muth beweiſt er bei Gefahr. Einem Kampfe mit
dem Menſchen ſucht er immer auszuweichen, und ſobald er ſich verfolgt ſieht, ergreift er faſt feig die
Flucht, während der Löwe unter ähnlichen Umſtänden gerade am furchtbarſten wird. Wird der Tiger
verwundet, ſo ſtürzt er allerdings augenblicklich mit der blindeſten Wuth auf ſeine Feinde los; gehen
dieſe aber in der eben angegebenen Weiſe durch die Dſchungeln, ſo iſt mit ziemlicher Sicherheit darauf
zu rechnen, daß das Leben der Treiber bei der Unterſuchung eben keine große Gefahr länft, die Rohr-
beſtände mögen ſo dick ſein, wie ſie wollen. Am ſchwierigſten iſt es, die Leute immer gehörig zu-
ſammenzuhalten, weil dieſelben oft, von ihrem eignen Muthe hingeriſſen, bei dem geringſten günſtigen
Erfolge geneigt ſind, ſich zu zerſtrenen.

So warf ſich einer von Rice’s Treibern, alle Geduld über einen Tiger verlierend, welchen
weder der Lärm, noch Steinwürfe, noch Feuerbrände von ſeinem Lager aufjagen konnten, mit ge-
zogenem Säbel ganz allein in das Dickicht; aber wenige Augenblicke ſpäter war er auch von dem
Tiger ergriffen und gräßlich zerfleiſcht. Ohne ſich zu bedenken, ſtürzten ihm ſeine Gefährten zur Hilfe
nach und nöthigten den Tiger, ihn wieder fahren zu laſſen. Seine Wunden, obgleich ſchrecklich anzu-
ſehen, waren glücklicherweiſe nicht lebensgefährlich, und er machte noch manches Treiben mit.

Bei einer ſolchen Jagd gerieth der Fähndrich Elliot, ein Freund des Tigertödters, in große
Gefahr. Von vierzig Treibern unterſtützt, hatten beide Engländer eine Dſchungel in Angriff ge-
nommen, welche nicht viel zu verſprechen ſchien, und waren mit ihren Gewehren auf kleine Bäume
geſtiegen, um den Erfolg der Unterſuchung abzuwarten. Plötzlich ſcheuchten die Leute einen ſchönen
Tiger auf, und dieſer ſchritt langſam auf ſie zu. Sie ſchwiegen ganz ſtill, aber einer ihrer Begleiter,
welcher auf einem andern Baume Wache hielt und fürchtete, daß ſie von dem Tiger überraſcht werden
möchten, ſchrie ihnen zu, auf ihrer Hut zu ſein. Dies war genug, den Tiger von der eingeſchlagenen
Richtung abzulenken, ſo daß die Engländer kaum Zeit hatten, ihm eine Kugel nachzuſenden. Sein
lautes Gebrüll verkündete, daß er verwundet ſei, doch hatte er ſich ſchon zu weit in die Rohrwälder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0294" n="230"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Katzen. &#x2014; <hi rendition="#g">Tiger.</hi></fw><lb/>
wichtigen Grund gegen &#x017F;ich: &#x017F;ie erfordert einen zu großen Aufwand von Kraft und Geld und kann<lb/>
deshalb nicht regelmäßig betrieben werden, &#x017F;ondern immer nur als Fe&#x017F;ttag gelten. Deshalb i&#x017F;t ihr<lb/>
Erfolg verhältnißmäßig gering.</p><lb/>
          <p>Weit ergiebiger, als alle die großen Treiben, wenn auch weniger pomphaft, &#x017F;ind die Einzel-<lb/>
jagden, welche Engländer allein oder mit wenigen Gehilfen unternehmen. Wie Afrika &#x017F;eine Löwen-<lb/>
jäger, hat O&#x017F;tindien &#x017F;eine be&#x017F;onderen Tigerjäger, und eine der er&#x017F;ten Stellen unter ihnen dürfte<lb/>
der Lieutenant <hi rendition="#g">Rice</hi> einnehmen. Der&#x017F;elbe hat ein be&#x017F;onderes Werk herausgegeben, unter dem Titel<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">Tiger Shooting in India</hi>&#x201F;, und erzählt darin, daß er 68 Tiger, drei Panther und 25 Bären erlegt<lb/>
und außerdem noch viele der&#x017F;elben verwundet habe. Da mir das Werk nicht zur Hand i&#x017F;t, entnehme<lb/>
ich Einiges aus dem&#x017F;elben, welches <hi rendition="#g">Hartwig</hi> in &#x017F;einer &#x201E;<hi rendition="#g">Tropenwelt</hi>&#x201F; mittheilt.</p><lb/>
          <p>Mit vortrefflichen Doppelläufen ver&#x017F;ehen und von wohl bezahlten Treibern und einer Koppel<lb/>
muthiger Hunde begleitet, drang Rice herzhaft in das Dickicht und &#x017F;uchte <hi rendition="#g">&#x017F;elb&#x017F;t</hi> den aufge&#x017F;cheuchten<lb/>
Tiger auf. Voran ging gewöhnlich der <hi rendition="#g">Schikari</hi> oder Haupttreiber, welcher, mit Aufmerk&#x017F;amkeit die<lb/>
Spuren des Tigers beobachtend, die einzu&#x017F;chlagende Richtung angab. Rechts und links &#x017F;chritten neben<lb/>
ihm die Engländer, &#x017F;tets &#x017F;chußfertig, und dicht hinter ihnen die &#x017F;icher&#x017F;ten ihrer Leute mit geladenen<lb/>
Gewehren zum Austau&#x017F;ch. Dann folgte die Mu&#x017F;ik, welche aus vier oder fünf Trommeln ver&#x017F;chiedener<lb/>
Größe, Zimbeln, Hörnern und ein Paar Pi&#x017F;tolen be&#x017F;tand, welch letztere fort und fort abge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en<lb/>
wurden. Männer, welche mit Säbeln und langen Jagd&#x017F;pießen bewaffnet waren, dienten der Mu&#x017F;ik<lb/>
zum Geleite; den Nachtrupp bildeten Schleuderer, welche be&#x017F;tändig über die Köpfe der Vorderen hin-<lb/>
weg Steine in die D&#x017F;chungeln warfen und damit noch viel be&#x017F;&#x017F;er, als durch den Höllenlärm jener<lb/>
Werkzeuge, den Tiger auf&#x017F;cheuchten. Ab und zu kletterte auch ein Mann auf einen Baum, die Be-<lb/>
wegung des Thieres zu beobachten. Der ganze Trupp bildete einen dicht ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Haufen.</p><lb/>
          <p>Niemals wagt es der Tiger, eine Men&#x017F;chenma&#x017F;&#x017F;e anzugreifen, welche &#x017F;ich auf eine &#x017F;o geräu&#x017F;ch-<lb/>
volle Wei&#x017F;e ankündigt. So wild und verwegen er i&#x017F;t, wenn es &#x017F;ich um das Be&#x017F;chleichen und Ueber-<lb/>
fallen einer ahnungslo&#x017F;en Beute handelt, &#x017F;o wenig Muth bewei&#x017F;t er bei Gefahr. Einem Kampfe mit<lb/>
dem Men&#x017F;chen &#x017F;ucht er immer auszuweichen, und &#x017F;obald er &#x017F;ich verfolgt &#x017F;ieht, ergreift er fa&#x017F;t feig die<lb/>
Flucht, während der Löwe unter ähnlichen Um&#x017F;tänden gerade am furchtbar&#x017F;ten wird. Wird der Tiger<lb/>
verwundet, &#x017F;o &#x017F;türzt er allerdings augenblicklich mit der blinde&#x017F;ten Wuth auf &#x017F;eine Feinde los; gehen<lb/>
die&#x017F;e aber in der eben angegebenen Wei&#x017F;e durch die D&#x017F;chungeln, &#x017F;o i&#x017F;t mit ziemlicher Sicherheit darauf<lb/>
zu rechnen, daß das Leben der Treiber bei der Unter&#x017F;uchung eben keine große Gefahr länft, die Rohr-<lb/>
be&#x017F;tände mögen &#x017F;o dick &#x017F;ein, wie &#x017F;ie wollen. Am &#x017F;chwierig&#x017F;ten i&#x017F;t es, die Leute immer gehörig zu-<lb/>
&#x017F;ammenzuhalten, weil die&#x017F;elben oft, von ihrem eignen Muthe hingeri&#x017F;&#x017F;en, bei dem gering&#x017F;ten gün&#x017F;tigen<lb/>
Erfolge geneigt &#x017F;ind, &#x017F;ich zu zer&#x017F;trenen.</p><lb/>
          <p>So warf &#x017F;ich einer von Rice&#x2019;s Treibern, alle Geduld über einen Tiger verlierend, welchen<lb/>
weder der Lärm, noch Steinwürfe, noch Feuerbrände von &#x017F;einem Lager aufjagen konnten, mit ge-<lb/>
zogenem Säbel ganz allein in das Dickicht; aber wenige Augenblicke &#x017F;päter war er auch von dem<lb/>
Tiger ergriffen und gräßlich zerflei&#x017F;cht. Ohne &#x017F;ich zu bedenken, &#x017F;türzten ihm &#x017F;eine Gefährten zur Hilfe<lb/>
nach und nöthigten den Tiger, ihn wieder fahren zu la&#x017F;&#x017F;en. Seine Wunden, obgleich &#x017F;chrecklich anzu-<lb/>
&#x017F;ehen, waren glücklicherwei&#x017F;e nicht lebensgefährlich, und er machte noch manches Treiben mit.</p><lb/>
          <p>Bei einer &#x017F;olchen Jagd gerieth der Fähndrich <hi rendition="#g">Elliot,</hi> ein Freund des Tigertödters, in große<lb/>
Gefahr. Von vierzig Treibern unter&#x017F;tützt, hatten beide Engländer eine D&#x017F;chungel in Angriff ge-<lb/>
nommen, welche nicht viel zu ver&#x017F;prechen &#x017F;chien, und waren mit ihren Gewehren auf kleine Bäume<lb/>
ge&#x017F;tiegen, um den Erfolg der Unter&#x017F;uchung abzuwarten. Plötzlich &#x017F;cheuchten die Leute einen &#x017F;chönen<lb/>
Tiger auf, und die&#x017F;er &#x017F;chritt lang&#x017F;am auf &#x017F;ie zu. Sie &#x017F;chwiegen ganz &#x017F;till, aber einer ihrer Begleiter,<lb/>
welcher auf einem andern Baume Wache hielt und fürchtete, daß &#x017F;ie von dem Tiger überra&#x017F;cht werden<lb/>
möchten, &#x017F;chrie ihnen zu, auf ihrer Hut zu &#x017F;ein. Dies war genug, den Tiger von der einge&#x017F;chlagenen<lb/>
Richtung abzulenken, &#x017F;o daß die Engländer kaum Zeit hatten, ihm eine Kugel nachzu&#x017F;enden. Sein<lb/>
lautes Gebrüll verkündete, daß er verwundet &#x017F;ei, doch hatte er &#x017F;ich &#x017F;chon zu weit in die Rohrwälder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0294] Die Raubthiere. Katzen. — Tiger. wichtigen Grund gegen ſich: ſie erfordert einen zu großen Aufwand von Kraft und Geld und kann deshalb nicht regelmäßig betrieben werden, ſondern immer nur als Feſttag gelten. Deshalb iſt ihr Erfolg verhältnißmäßig gering. Weit ergiebiger, als alle die großen Treiben, wenn auch weniger pomphaft, ſind die Einzel- jagden, welche Engländer allein oder mit wenigen Gehilfen unternehmen. Wie Afrika ſeine Löwen- jäger, hat Oſtindien ſeine beſonderen Tigerjäger, und eine der erſten Stellen unter ihnen dürfte der Lieutenant Rice einnehmen. Derſelbe hat ein beſonderes Werk herausgegeben, unter dem Titel „Tiger Shooting in India‟, und erzählt darin, daß er 68 Tiger, drei Panther und 25 Bären erlegt und außerdem noch viele derſelben verwundet habe. Da mir das Werk nicht zur Hand iſt, entnehme ich Einiges aus demſelben, welches Hartwig in ſeiner „Tropenwelt‟ mittheilt. Mit vortrefflichen Doppelläufen verſehen und von wohl bezahlten Treibern und einer Koppel muthiger Hunde begleitet, drang Rice herzhaft in das Dickicht und ſuchte ſelbſt den aufgeſcheuchten Tiger auf. Voran ging gewöhnlich der Schikari oder Haupttreiber, welcher, mit Aufmerkſamkeit die Spuren des Tigers beobachtend, die einzuſchlagende Richtung angab. Rechts und links ſchritten neben ihm die Engländer, ſtets ſchußfertig, und dicht hinter ihnen die ſicherſten ihrer Leute mit geladenen Gewehren zum Austauſch. Dann folgte die Muſik, welche aus vier oder fünf Trommeln verſchiedener Größe, Zimbeln, Hörnern und ein Paar Piſtolen beſtand, welch letztere fort und fort abgeſchoſſen wurden. Männer, welche mit Säbeln und langen Jagdſpießen bewaffnet waren, dienten der Muſik zum Geleite; den Nachtrupp bildeten Schleuderer, welche beſtändig über die Köpfe der Vorderen hin- weg Steine in die Dſchungeln warfen und damit noch viel beſſer, als durch den Höllenlärm jener Werkzeuge, den Tiger aufſcheuchten. Ab und zu kletterte auch ein Mann auf einen Baum, die Be- wegung des Thieres zu beobachten. Der ganze Trupp bildete einen dicht geſchloſſenen Haufen. Niemals wagt es der Tiger, eine Menſchenmaſſe anzugreifen, welche ſich auf eine ſo geräuſch- volle Weiſe ankündigt. So wild und verwegen er iſt, wenn es ſich um das Beſchleichen und Ueber- fallen einer ahnungsloſen Beute handelt, ſo wenig Muth beweiſt er bei Gefahr. Einem Kampfe mit dem Menſchen ſucht er immer auszuweichen, und ſobald er ſich verfolgt ſieht, ergreift er faſt feig die Flucht, während der Löwe unter ähnlichen Umſtänden gerade am furchtbarſten wird. Wird der Tiger verwundet, ſo ſtürzt er allerdings augenblicklich mit der blindeſten Wuth auf ſeine Feinde los; gehen dieſe aber in der eben angegebenen Weiſe durch die Dſchungeln, ſo iſt mit ziemlicher Sicherheit darauf zu rechnen, daß das Leben der Treiber bei der Unterſuchung eben keine große Gefahr länft, die Rohr- beſtände mögen ſo dick ſein, wie ſie wollen. Am ſchwierigſten iſt es, die Leute immer gehörig zu- ſammenzuhalten, weil dieſelben oft, von ihrem eignen Muthe hingeriſſen, bei dem geringſten günſtigen Erfolge geneigt ſind, ſich zu zerſtrenen. So warf ſich einer von Rice’s Treibern, alle Geduld über einen Tiger verlierend, welchen weder der Lärm, noch Steinwürfe, noch Feuerbrände von ſeinem Lager aufjagen konnten, mit ge- zogenem Säbel ganz allein in das Dickicht; aber wenige Augenblicke ſpäter war er auch von dem Tiger ergriffen und gräßlich zerfleiſcht. Ohne ſich zu bedenken, ſtürzten ihm ſeine Gefährten zur Hilfe nach und nöthigten den Tiger, ihn wieder fahren zu laſſen. Seine Wunden, obgleich ſchrecklich anzu- ſehen, waren glücklicherweiſe nicht lebensgefährlich, und er machte noch manches Treiben mit. Bei einer ſolchen Jagd gerieth der Fähndrich Elliot, ein Freund des Tigertödters, in große Gefahr. Von vierzig Treibern unterſtützt, hatten beide Engländer eine Dſchungel in Angriff ge- nommen, welche nicht viel zu verſprechen ſchien, und waren mit ihren Gewehren auf kleine Bäume geſtiegen, um den Erfolg der Unterſuchung abzuwarten. Plötzlich ſcheuchten die Leute einen ſchönen Tiger auf, und dieſer ſchritt langſam auf ſie zu. Sie ſchwiegen ganz ſtill, aber einer ihrer Begleiter, welcher auf einem andern Baume Wache hielt und fürchtete, daß ſie von dem Tiger überraſcht werden möchten, ſchrie ihnen zu, auf ihrer Hut zu ſein. Dies war genug, den Tiger von der eingeſchlagenen Richtung abzulenken, ſo daß die Engländer kaum Zeit hatten, ihm eine Kugel nachzuſenden. Sein lautes Gebrüll verkündete, daß er verwundet ſei, doch hatte er ſich ſchon zu weit in die Rohrwälder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/294
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/294>, abgerufen am 21.05.2024.