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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Katzen. -- Tiger.
fällt, so wird er als ein Sünder und sein Tod als ein gottgerechter betrachtet. Früher ging man
noch weiter. Jn Siam nämlich fanden noch vor etwa sechzig Jahren Tigerproben zur Ermittlung
des Schuldigen statt. Man warf zwei Gleichverdächtige einem Tiger vor, und derjenige, welchen er
fraß, galt für schuldig! Dieser abscheuliche Aberglaube ist natürlich nur geeignet, die Tiger zu ver-
mehren. Ebenso gute Gelegenheiten zur Vermehrung bieten ihm die beständigen Kriege, welche in
Jndien geführt werden, und namentlich Hyder Ali hat sich durch seine Kriege auch hierin einen
Namen gemacht; denn während der Zeit seiner Berüchtigung nahmen die Tiger in unglaublicher
Weise überhand. Einige Fürsten Jndiens verbieten noch heutigen Tags die Tigerjagd, indem sie
dieselbe als ein königliches Vergnügen für sich selbst aufsparen, ganz unbekümmert darum, ob solchem
Vergnügen Hunderte oder Tausende von ihren Unterthanen aufgeopfert werden oder nicht. So ist
es erklärlich, daß in der einzigen Provinz Candesch in Dekan in dem kurzen Zeitraume von vier
Jahren durch die Engländer 1032 Tiger erlegt werden konnten. Noch häusiger, als hier, sollen die
Tiger in Siam und Birma sein, zumal an den Rohrwäldern am Jrawaddi. Auf Java und Sumatra
leben die Eingebornen der Ueberzeugung, daß die Tiger blos die Hüllen verstorbener Menschen sind,
und wagen es deshalb gar nicht, sie zu tödten. Hierzu kommt nun noch die Unzulänglichkeit der
Waffen, welche die Eingebornen besitzen. Der Mensch ohne Feuerwaffen ist vollkommen macht- und
wehrlos dem furchtbaren Feinde gegenüber; laufen doch selbst Wohlbewaffnete immer noch Gefahr.
Jn neuerer Zeit hat die englische Regierung in den ihr unterworfenen Landstrichen viel für Ver-
minderung der Tiger gethan; aber noch immer giebt es deren gerade genug. Man bezahlt seit ge-
raumer Zeit zehn Rupien für jeden Tigerkopf, und schon vor ungefähr sechzig Jahren hatte man auf
diese Weise 30,000 Pf. St. verausgabt. Diese Summe hat übrigens Zinsen getragen, wie kaum
eine andere; denn in allen Gegenden, wo sich viel englische Niederlassungen befinden und von den
Engländern die Ausrottung ernstlich betrieben wird, ist der Tiger fast vernichtet. Die Jnsel Cossin-
bazar
ist durch den unerschütterlichen Muth eines Deutschen, welcher mehrere Male in einem einzigen
Tage fünf von den Ungeheuern tödtete, vollkommen gereinigt worden. Aber dieser Held steht immer
noch hinter dem Richter Heinrich Ramus zurück; denn dieser hat während seines Lebens nicht
weniger als 360 Tiger eigenhändig erlegt. Man hat gelernt, gegenwärtig die Jagd regelrecht zu be-
treiben und erzielt dadurch vortreffliche Erfolge. Jn früheren Zeiten hielten blos die Fürsten und
Kaiser Jndiens große Jagden ab, bei denen aber der Pomp und Lärm des Jagdzuges das Haupt-
sächlichste war. Gegen die Tiger wurde sehr wenig ausgerichtet. Noch heutigen Tags sendet der Kaiser
von China viele Tausende von Jägern in die Wälder, um Tiger, Panther, Löwen, Wölfe u. s. w.
zu erlegen; gleichwohl wurden in einem Jahre bei einem so gewaltigen Jagdzuge, an dem 5000 Mann
Theil genommen hatten, achtzig Menschen zerrissen. Jm 17. Jahrhundert zog nach dem Bericht des
Jesuiten Verbiest der Kaiser von China einmal mit Heeresmacht in die Provinz Leao-Tong, ließ
dort von seinen Soldaten große Strecken umstellen und den Kreis immer mehr und mehr verengern.
Bei der einen Jagd wurden auf einmal über tausend Hirsche, viele Bären, Wildschweine und
sechzig Tiger erlegt. Jm Jahre 1683 rückte der Kaiser mit 60,000 Mann und 10,000 Pferden zur
Jagd aus, ohne jedoch sonderlichen Erfolg zu erzielen. Aehnliche Jagden werden von den indischen
Fürsten noch heutigen Tags abgehalten, und für dieselben hegen und pflegen eben die Fürsten ihre
Tiger, wie bei uns zu Lande hohe Herren die ihren Unterthanen ebenfalls sehr schädlichen Wild-
schweine
oder Edelhirsche.

Möckern beschreibt eine große Jagd, welche der Nabob von Audh veranstaltete. Der
Fürst hatte ein ganzes Heer von Fußvolk, Reiterei, Geschütze, über tausend Elefanten, eine un-
übersehbare Reihe von Karren, Kamelen, Pferden und Tragochsen bei sich. Die Weiber saßen in
bedeckten Wagen. Jagdleoparden, Falken, Kampfhähne, Nachtigallen, Tauben, Bajaderen, Sänger,
Possenreißer und Marktschreier gehörten zu dem großen Gefolge. Nicht weit von der Nordgrenze
Jndiens wurde eine große Menge Wild erlegt. Endlich ward auch ein Tiger entdeckt und sein
Versteck augenblicklich mit 200 Elefauten umstellt. Beim Vorrücken hörte man ein Knurren und

Die Raubthiere. Katzen. — Tiger.
fällt, ſo wird er als ein Sünder und ſein Tod als ein gottgerechter betrachtet. Früher ging man
noch weiter. Jn Siam nämlich fanden noch vor etwa ſechzig Jahren Tigerproben zur Ermittlung
des Schuldigen ſtatt. Man warf zwei Gleichverdächtige einem Tiger vor, und derjenige, welchen er
fraß, galt für ſchuldig! Dieſer abſcheuliche Aberglaube iſt natürlich nur geeignet, die Tiger zu ver-
mehren. Ebenſo gute Gelegenheiten zur Vermehrung bieten ihm die beſtändigen Kriege, welche in
Jndien geführt werden, und namentlich Hyder Ali hat ſich durch ſeine Kriege auch hierin einen
Namen gemacht; denn während der Zeit ſeiner Berüchtigung nahmen die Tiger in unglaublicher
Weiſe überhand. Einige Fürſten Jndiens verbieten noch heutigen Tags die Tigerjagd, indem ſie
dieſelbe als ein königliches Vergnügen für ſich ſelbſt aufſparen, ganz unbekümmert darum, ob ſolchem
Vergnügen Hunderte oder Tauſende von ihren Unterthanen aufgeopfert werden oder nicht. So iſt
es erklärlich, daß in der einzigen Provinz Candeſch in Dekan in dem kurzen Zeitraume von vier
Jahren durch die Engländer 1032 Tiger erlegt werden konnten. Noch häuſiger, als hier, ſollen die
Tiger in Siam und Birma ſein, zumal an den Rohrwäldern am Jrawaddi. Auf Java und Sumatra
leben die Eingebornen der Ueberzeugung, daß die Tiger blos die Hüllen verſtorbener Menſchen ſind,
und wagen es deshalb gar nicht, ſie zu tödten. Hierzu kommt nun noch die Unzulänglichkeit der
Waffen, welche die Eingebornen beſitzen. Der Menſch ohne Feuerwaffen iſt vollkommen macht- und
wehrlos dem furchtbaren Feinde gegenüber; laufen doch ſelbſt Wohlbewaffnete immer noch Gefahr.
Jn neuerer Zeit hat die engliſche Regierung in den ihr unterworfenen Landſtrichen viel für Ver-
minderung der Tiger gethan; aber noch immer giebt es deren gerade genug. Man bezahlt ſeit ge-
raumer Zeit zehn Rupien für jeden Tigerkopf, und ſchon vor ungefähr ſechzig Jahren hatte man auf
dieſe Weiſe 30,000 Pf. St. verausgabt. Dieſe Summe hat übrigens Zinſen getragen, wie kaum
eine andere; denn in allen Gegenden, wo ſich viel engliſche Niederlaſſungen befinden und von den
Engländern die Ausrottung ernſtlich betrieben wird, iſt der Tiger faſt vernichtet. Die Jnſel Coſſin-
bazar
iſt durch den unerſchütterlichen Muth eines Deutſchen, welcher mehrere Male in einem einzigen
Tage fünf von den Ungeheuern tödtete, vollkommen gereinigt worden. Aber dieſer Held ſteht immer
noch hinter dem Richter Heinrich Ramus zurück; denn dieſer hat während ſeines Lebens nicht
weniger als 360 Tiger eigenhändig erlegt. Man hat gelernt, gegenwärtig die Jagd regelrecht zu be-
treiben und erzielt dadurch vortreffliche Erfolge. Jn früheren Zeiten hielten blos die Fürſten und
Kaiſer Jndiens große Jagden ab, bei denen aber der Pomp und Lärm des Jagdzuges das Haupt-
ſächlichſte war. Gegen die Tiger wurde ſehr wenig ausgerichtet. Noch heutigen Tags ſendet der Kaiſer
von China viele Tauſende von Jägern in die Wälder, um Tiger, Panther, Löwen, Wölfe u. ſ. w.
zu erlegen; gleichwohl wurden in einem Jahre bei einem ſo gewaltigen Jagdzuge, an dem 5000 Mann
Theil genommen hatten, achtzig Menſchen zerriſſen. Jm 17. Jahrhundert zog nach dem Bericht des
Jeſuiten Verbieſt der Kaiſer von China einmal mit Heeresmacht in die Provinz Leao-Tong, ließ
dort von ſeinen Soldaten große Strecken umſtellen und den Kreis immer mehr und mehr verengern.
Bei der einen Jagd wurden auf einmal über tauſend Hirſche, viele Bären, Wildſchweine und
ſechzig Tiger erlegt. Jm Jahre 1683 rückte der Kaiſer mit 60,000 Mann und 10,000 Pferden zur
Jagd aus, ohne jedoch ſonderlichen Erfolg zu erzielen. Aehnliche Jagden werden von den indiſchen
Fürſten noch heutigen Tags abgehalten, und für dieſelben hegen und pflegen eben die Fürſten ihre
Tiger, wie bei uns zu Lande hohe Herren die ihren Unterthanen ebenfalls ſehr ſchädlichen Wild-
ſchweine
oder Edelhirſche.

Möckern beſchreibt eine große Jagd, welche der Nabob von Audh veranſtaltete. Der
Fürſt hatte ein ganzes Heer von Fußvolk, Reiterei, Geſchütze, über tauſend Elefanten, eine un-
überſehbare Reihe von Karren, Kamelen, Pferden und Tragochſen bei ſich. Die Weiber ſaßen in
bedeckten Wagen. Jagdleoparden, Falken, Kampfhähne, Nachtigallen, Tauben, Bajaderen, Sänger,
Poſſenreißer und Marktſchreier gehörten zu dem großen Gefolge. Nicht weit von der Nordgrenze
Jndiens wurde eine große Menge Wild erlegt. Endlich ward auch ein Tiger entdeckt und ſein
Verſteck augenblicklich mit 200 Elefauten umſtellt. Beim Vorrücken hörte man ein Knurren und

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[228/0292] Die Raubthiere. Katzen. — Tiger. fällt, ſo wird er als ein Sünder und ſein Tod als ein gottgerechter betrachtet. Früher ging man noch weiter. Jn Siam nämlich fanden noch vor etwa ſechzig Jahren Tigerproben zur Ermittlung des Schuldigen ſtatt. Man warf zwei Gleichverdächtige einem Tiger vor, und derjenige, welchen er fraß, galt für ſchuldig! Dieſer abſcheuliche Aberglaube iſt natürlich nur geeignet, die Tiger zu ver- mehren. Ebenſo gute Gelegenheiten zur Vermehrung bieten ihm die beſtändigen Kriege, welche in Jndien geführt werden, und namentlich Hyder Ali hat ſich durch ſeine Kriege auch hierin einen Namen gemacht; denn während der Zeit ſeiner Berüchtigung nahmen die Tiger in unglaublicher Weiſe überhand. Einige Fürſten Jndiens verbieten noch heutigen Tags die Tigerjagd, indem ſie dieſelbe als ein königliches Vergnügen für ſich ſelbſt aufſparen, ganz unbekümmert darum, ob ſolchem Vergnügen Hunderte oder Tauſende von ihren Unterthanen aufgeopfert werden oder nicht. So iſt es erklärlich, daß in der einzigen Provinz Candeſch in Dekan in dem kurzen Zeitraume von vier Jahren durch die Engländer 1032 Tiger erlegt werden konnten. Noch häuſiger, als hier, ſollen die Tiger in Siam und Birma ſein, zumal an den Rohrwäldern am Jrawaddi. Auf Java und Sumatra leben die Eingebornen der Ueberzeugung, daß die Tiger blos die Hüllen verſtorbener Menſchen ſind, und wagen es deshalb gar nicht, ſie zu tödten. Hierzu kommt nun noch die Unzulänglichkeit der Waffen, welche die Eingebornen beſitzen. Der Menſch ohne Feuerwaffen iſt vollkommen macht- und wehrlos dem furchtbaren Feinde gegenüber; laufen doch ſelbſt Wohlbewaffnete immer noch Gefahr. Jn neuerer Zeit hat die engliſche Regierung in den ihr unterworfenen Landſtrichen viel für Ver- minderung der Tiger gethan; aber noch immer giebt es deren gerade genug. Man bezahlt ſeit ge- raumer Zeit zehn Rupien für jeden Tigerkopf, und ſchon vor ungefähr ſechzig Jahren hatte man auf dieſe Weiſe 30,000 Pf. St. verausgabt. Dieſe Summe hat übrigens Zinſen getragen, wie kaum eine andere; denn in allen Gegenden, wo ſich viel engliſche Niederlaſſungen befinden und von den Engländern die Ausrottung ernſtlich betrieben wird, iſt der Tiger faſt vernichtet. Die Jnſel Coſſin- bazar iſt durch den unerſchütterlichen Muth eines Deutſchen, welcher mehrere Male in einem einzigen Tage fünf von den Ungeheuern tödtete, vollkommen gereinigt worden. Aber dieſer Held ſteht immer noch hinter dem Richter Heinrich Ramus zurück; denn dieſer hat während ſeines Lebens nicht weniger als 360 Tiger eigenhändig erlegt. Man hat gelernt, gegenwärtig die Jagd regelrecht zu be- treiben und erzielt dadurch vortreffliche Erfolge. Jn früheren Zeiten hielten blos die Fürſten und Kaiſer Jndiens große Jagden ab, bei denen aber der Pomp und Lärm des Jagdzuges das Haupt- ſächlichſte war. Gegen die Tiger wurde ſehr wenig ausgerichtet. Noch heutigen Tags ſendet der Kaiſer von China viele Tauſende von Jägern in die Wälder, um Tiger, Panther, Löwen, Wölfe u. ſ. w. zu erlegen; gleichwohl wurden in einem Jahre bei einem ſo gewaltigen Jagdzuge, an dem 5000 Mann Theil genommen hatten, achtzig Menſchen zerriſſen. Jm 17. Jahrhundert zog nach dem Bericht des Jeſuiten Verbieſt der Kaiſer von China einmal mit Heeresmacht in die Provinz Leao-Tong, ließ dort von ſeinen Soldaten große Strecken umſtellen und den Kreis immer mehr und mehr verengern. Bei der einen Jagd wurden auf einmal über tauſend Hirſche, viele Bären, Wildſchweine und ſechzig Tiger erlegt. Jm Jahre 1683 rückte der Kaiſer mit 60,000 Mann und 10,000 Pferden zur Jagd aus, ohne jedoch ſonderlichen Erfolg zu erzielen. Aehnliche Jagden werden von den indiſchen Fürſten noch heutigen Tags abgehalten, und für dieſelben hegen und pflegen eben die Fürſten ihre Tiger, wie bei uns zu Lande hohe Herren die ihren Unterthanen ebenfalls ſehr ſchädlichen Wild- ſchweine oder Edelhirſche. Möckern beſchreibt eine große Jagd, welche der Nabob von Audh veranſtaltete. Der Fürſt hatte ein ganzes Heer von Fußvolk, Reiterei, Geſchütze, über tauſend Elefanten, eine un- überſehbare Reihe von Karren, Kamelen, Pferden und Tragochſen bei ſich. Die Weiber ſaßen in bedeckten Wagen. Jagdleoparden, Falken, Kampfhähne, Nachtigallen, Tauben, Bajaderen, Sänger, Poſſenreißer und Marktſchreier gehörten zu dem großen Gefolge. Nicht weit von der Nordgrenze Jndiens wurde eine große Menge Wild erlegt. Endlich ward auch ein Tiger entdeckt und ſein Verſteck augenblicklich mit 200 Elefauten umſtellt. Beim Vorrücken hörte man ein Knurren und

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/292>, abgerufen am 17.05.2024.