Der jagende Löwe. Seine Nahrung. Schmarotzer an der königlichen Tafel.
vereinigte Kraft ein Kamel mittendurchzureißen vermöchten. Soviel ist übrigens auch gewiß, daß der Löwe ein Kamel wenigstens ein Stück weit fortzuschleppen sucht. Dies habe ich bei dem Dorfe Melbeß in Kordofahn am Morgen nach der Tödtung des Kamels selbst gesehen. Das Thier war etwa hundert Schritte weit geschleppt worden, und der Löwe hatte dann nur einen sehr geringen Theil vom Rücken abgefressen, wahrscheinlich, weil ihm die Nähe des Dorfes zu große Unruhe gemacht hatte. Mit einem ein- oder zweijährigen Kalbe läuft ein starker Löwe noch im Trabe davon. Thompson versichert, daß berittene Jäger einen so belasteten Löwen fünf Stunden lang verfolgt hatten, ohne ihn einholen zu können.
Der Löwe zieht unbedingt größere Thiere den kleineren vor, obgleich er diese, wenn er sie nahe haben kann, auch nicht verschmäht. Soll er doch, wie bestimmt versichert wird, bisweilen sich sogar mit Heuschrecken begnügen! Alle Hordenthiere des Menschen, die wilden Zebras und sämmt- liche Antilopen, sowie die Wildschweine bleiben unter allen Umständen seine Hauptnahrung. Gewöhnlich frißt der Löwe blos selbst erlegte Beute, in gewisser Beschränkung geht er jedoch auch das Aas an und zumal solches, welches von einem durch ihn erlegten Thiere herrührt. Er kehrt, wenn er Beute gemacht, in der nächstfolgenden Nacht zu ihr zurück, in der dritten Nacht erscheint er aber nie- mals wieder am Aase und würde wohl auch vergeblich dahin zurückkehren. Denn gewöhnlich sinden sich schon in der Nacht, in welcher die Beute gemacht wurde, eine namhafte Anzahl von Schmarotzern ein, welche die günstige Gelegenheit wahrnehmen, um von des Königs Tafel zu schmausen. Die faule und feige Hiäne und alle eigentlichen Hundearten erachten es für sehr bequem, einen Andern für sich Beute machen zu lassen, und fressen, sobald der Löwe das Mahl verläßt, sich daran toll und voll. Freilich duldet sie der König nicht immer gern an seinem Tische, sondern es kommen, wie bestimmt erwiesen worden ist, zuweilen tüchtige Beißereien vor. So feig auch die Hiänen dem Löwen aus- weichen, wenn sie ihm begegnen, so tolldreist werden sie, wenn ihnen ein leckeres Mahl winkt.
Einer meiner Jäger im Ostsudahn beobachtete einmal bei hellem Tage einen Kampf zwischen einem Löwen und drei Hiänen, welchem eine derartige Ursache zu Grunde liegen mochte. Der Löwe saß nach Hundeart an einer Waldlichtung hart am Flußufer und erwartete mit der größten Seelenruhe drei gefleckte Hiänen, welche sich ihm knurrend und kläffend mehr und mehr näherten. Nach und nach wurden die Thiere immer unverschämter und gingen näher und näher an den Gewaltigen heran. Endlich fiel es auch einer von ihnen ein, ihm beißend nach der Brust zu fahren. Jn demselben Augen- blicke aber bekam sie einen Schlag mit der linken Pranke, daß sie augenblicklich auf den Rücken stürzte und wie leblos liegen blieb; die übrigen zogen sich dann in das Dickicht des Waldes zurück.
Andere Beobachter versichern, daß zwischen den Löwen selbst zuweilen aus Futterneid Kämpfe entständen, und englische Jäger wollen sogar gesehen haben, daß ein männlicher Löwe die von ihm getödtete Löwin zerfleischt und theilweise gefressen habe. Jn wieweit letztere Beobachtung richtig ist, wage ich nicht zu entscheiden; mir kommt die Sache außerordentlich unwahrscheinlich vor, obgleich ich wiederholt gesehen habe, daß andere große Katzenpaare, namentlich der Tiger unseres Thiergartens, durch das blose Erschauen einer vermeintlichen Beute in hohem Grade erregt wurden und wüthend mit einander kämpften, so friedlich sie auch sonst zusammen lebten.
Den Menschen greift der Löwe nur äußerst selten an. Die hohe Gestalt eines Mannes scheint ihm Ehrfurcht einzuflößen. Jn Sudahn wenigstens, wo doch der Löwe in manchen Gegenden sehr häufig ist, sind so gut als gar keine Fälle bekannt, daß ein Mensch von einem Löwen gefressen worden wäre. Dort fallen den Krokodilen, ja selbst den Hiänen, weit mehr Menschen zum Opfer, als dem Löwen. Jn Südafrika soll es anders sein; doch fügt man auch hinzu, daß die Kaffern daran hauptsächlich selbst schuld wären. Bei den beständigen Kriegen dieser Völkerschaften kommt es nämlich häufig vor, daß die oft genug heimtückisch erschlagenen Feinde mitten im Walde liegen bleiben, da, wo sie das tödliche Geschoß ereilte. Kommt nun der Löwe des Nachts an einen solchen Leichnam, so lange dieser noch frisch ist, so findet er es erklärlicher Weise sehr bequem, an ihm seinen Hunger zu stillen; hat er einmal Menschenfleisch gekostet, so erfährt er, daß dasselbe dem andern doch vorzuziehen
Der jagende Löwe. Seine Nahrung. Schmarotzer an der königlichen Tafel.
vereinigte Kraft ein Kamel mittendurchzureißen vermöchten. Soviel iſt übrigens auch gewiß, daß der Löwe ein Kamel wenigſtens ein Stück weit fortzuſchleppen ſucht. Dies habe ich bei dem Dorfe Melbeß in Kordofahn am Morgen nach der Tödtung des Kamels ſelbſt geſehen. Das Thier war etwa hundert Schritte weit geſchleppt worden, und der Löwe hatte dann nur einen ſehr geringen Theil vom Rücken abgefreſſen, wahrſcheinlich, weil ihm die Nähe des Dorfes zu große Unruhe gemacht hatte. Mit einem ein- oder zweijährigen Kalbe läuft ein ſtarker Löwe noch im Trabe davon. Thompſon verſichert, daß berittene Jäger einen ſo belaſteten Löwen fünf Stunden lang verfolgt hatten, ohne ihn einholen zu können.
Der Löwe zieht unbedingt größere Thiere den kleineren vor, obgleich er dieſe, wenn er ſie nahe haben kann, auch nicht verſchmäht. Soll er doch, wie beſtimmt verſichert wird, bisweilen ſich ſogar mit Heuſchrecken begnügen! Alle Hordenthiere des Menſchen, die wilden Zebras und ſämmt- liche Antilopen, ſowie die Wildſchweine bleiben unter allen Umſtänden ſeine Hauptnahrung. Gewöhnlich frißt der Löwe blos ſelbſt erlegte Beute, in gewiſſer Beſchränkung geht er jedoch auch das Aas an und zumal ſolches, welches von einem durch ihn erlegten Thiere herrührt. Er kehrt, wenn er Beute gemacht, in der nächſtfolgenden Nacht zu ihr zurück, in der dritten Nacht erſcheint er aber nie- mals wieder am Aaſe und würde wohl auch vergeblich dahin zurückkehren. Denn gewöhnlich ſinden ſich ſchon in der Nacht, in welcher die Beute gemacht wurde, eine namhafte Anzahl von Schmarotzern ein, welche die günſtige Gelegenheit wahrnehmen, um von des Königs Tafel zu ſchmauſen. Die faule und feige Hiäne und alle eigentlichen Hundearten erachten es für ſehr bequem, einen Andern für ſich Beute machen zu laſſen, und freſſen, ſobald der Löwe das Mahl verläßt, ſich daran toll und voll. Freilich duldet ſie der König nicht immer gern an ſeinem Tiſche, ſondern es kommen, wie beſtimmt erwieſen worden iſt, zuweilen tüchtige Beißereien vor. So feig auch die Hiänen dem Löwen aus- weichen, wenn ſie ihm begegnen, ſo tolldreiſt werden ſie, wenn ihnen ein leckeres Mahl winkt.
Einer meiner Jäger im Oſtſudahn beobachtete einmal bei hellem Tage einen Kampf zwiſchen einem Löwen und drei Hiänen, welchem eine derartige Urſache zu Grunde liegen mochte. Der Löwe ſaß nach Hundeart an einer Waldlichtung hart am Flußufer und erwartete mit der größten Seelenruhe drei gefleckte Hiänen, welche ſich ihm knurrend und kläffend mehr und mehr näherten. Nach und nach wurden die Thiere immer unverſchämter und gingen näher und näher an den Gewaltigen heran. Endlich fiel es auch einer von ihnen ein, ihm beißend nach der Bruſt zu fahren. Jn demſelben Augen- blicke aber bekam ſie einen Schlag mit der linken Pranke, daß ſie augenblicklich auf den Rücken ſtürzte und wie leblos liegen blieb; die übrigen zogen ſich dann in das Dickicht des Waldes zurück.
Andere Beobachter verſichern, daß zwiſchen den Löwen ſelbſt zuweilen aus Futterneid Kämpfe entſtänden, und engliſche Jäger wollen ſogar geſehen haben, daß ein männlicher Löwe die von ihm getödtete Löwin zerfleiſcht und theilweiſe gefreſſen habe. Jn wieweit letztere Beobachtung richtig iſt, wage ich nicht zu entſcheiden; mir kommt die Sache außerordentlich unwahrſcheinlich vor, obgleich ich wiederholt geſehen habe, daß andere große Katzenpaare, namentlich der Tiger unſeres Thiergartens, durch das bloſe Erſchauen einer vermeintlichen Beute in hohem Grade erregt wurden und wüthend mit einander kämpften, ſo friedlich ſie auch ſonſt zuſammen lebten.
Den Menſchen greift der Löwe nur äußerſt ſelten an. Die hohe Geſtalt eines Mannes ſcheint ihm Ehrfurcht einzuflößen. Jn Sudahn wenigſtens, wo doch der Löwe in manchen Gegenden ſehr häufig iſt, ſind ſo gut als gar keine Fälle bekannt, daß ein Menſch von einem Löwen gefreſſen worden wäre. Dort fallen den Krokodilen, ja ſelbſt den Hiänen, weit mehr Menſchen zum Opfer, als dem Löwen. Jn Südafrika ſoll es anders ſein; doch fügt man auch hinzu, daß die Kaffern daran hauptſächlich ſelbſt ſchuld wären. Bei den beſtändigen Kriegen dieſer Völkerſchaften kommt es nämlich häufig vor, daß die oft genug heimtückiſch erſchlagenen Feinde mitten im Walde liegen bleiben, da, wo ſie das tödliche Geſchoß ereilte. Kommt nun der Löwe des Nachts an einen ſolchen Leichnam, ſo lange dieſer noch friſch iſt, ſo findet er es erklärlicher Weiſe ſehr bequem, an ihm ſeinen Hunger zu ſtillen; hat er einmal Menſchenfleiſch gekoſtet, ſo erfährt er, daß daſſelbe dem andern doch vorzuziehen
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[199/0259]
Der jagende Löwe. Seine Nahrung. Schmarotzer an der königlichen Tafel.
vereinigte Kraft ein Kamel mittendurchzureißen vermöchten. Soviel iſt übrigens auch gewiß, daß der
Löwe ein Kamel wenigſtens ein Stück weit fortzuſchleppen ſucht. Dies habe ich bei dem Dorfe
Melbeß in Kordofahn am Morgen nach der Tödtung des Kamels ſelbſt geſehen. Das Thier war
etwa hundert Schritte weit geſchleppt worden, und der Löwe hatte dann nur einen ſehr geringen Theil
vom Rücken abgefreſſen, wahrſcheinlich, weil ihm die Nähe des Dorfes zu große Unruhe gemacht
hatte. Mit einem ein- oder zweijährigen Kalbe läuft ein ſtarker Löwe noch im Trabe davon.
Thompſon verſichert, daß berittene Jäger einen ſo belaſteten Löwen fünf Stunden lang verfolgt
hatten, ohne ihn einholen zu können.
Der Löwe zieht unbedingt größere Thiere den kleineren vor, obgleich er dieſe, wenn er ſie
nahe haben kann, auch nicht verſchmäht. Soll er doch, wie beſtimmt verſichert wird, bisweilen ſich
ſogar mit Heuſchrecken begnügen! Alle Hordenthiere des Menſchen, die wilden Zebras und ſämmt-
liche Antilopen, ſowie die Wildſchweine bleiben unter allen Umſtänden ſeine Hauptnahrung.
Gewöhnlich frißt der Löwe blos ſelbſt erlegte Beute, in gewiſſer Beſchränkung geht er jedoch auch das
Aas an und zumal ſolches, welches von einem durch ihn erlegten Thiere herrührt. Er kehrt, wenn er
Beute gemacht, in der nächſtfolgenden Nacht zu ihr zurück, in der dritten Nacht erſcheint er aber nie-
mals wieder am Aaſe und würde wohl auch vergeblich dahin zurückkehren. Denn gewöhnlich ſinden
ſich ſchon in der Nacht, in welcher die Beute gemacht wurde, eine namhafte Anzahl von Schmarotzern
ein, welche die günſtige Gelegenheit wahrnehmen, um von des Königs Tafel zu ſchmauſen. Die faule
und feige Hiäne und alle eigentlichen Hundearten erachten es für ſehr bequem, einen Andern für ſich
Beute machen zu laſſen, und freſſen, ſobald der Löwe das Mahl verläßt, ſich daran toll und voll.
Freilich duldet ſie der König nicht immer gern an ſeinem Tiſche, ſondern es kommen, wie beſtimmt
erwieſen worden iſt, zuweilen tüchtige Beißereien vor. So feig auch die Hiänen dem Löwen aus-
weichen, wenn ſie ihm begegnen, ſo tolldreiſt werden ſie, wenn ihnen ein leckeres Mahl winkt.
Einer meiner Jäger im Oſtſudahn beobachtete einmal bei hellem Tage einen Kampf zwiſchen
einem Löwen und drei Hiänen, welchem eine derartige Urſache zu Grunde liegen mochte. Der Löwe
ſaß nach Hundeart an einer Waldlichtung hart am Flußufer und erwartete mit der größten Seelenruhe
drei gefleckte Hiänen, welche ſich ihm knurrend und kläffend mehr und mehr näherten. Nach und
nach wurden die Thiere immer unverſchämter und gingen näher und näher an den Gewaltigen heran.
Endlich fiel es auch einer von ihnen ein, ihm beißend nach der Bruſt zu fahren. Jn demſelben Augen-
blicke aber bekam ſie einen Schlag mit der linken Pranke, daß ſie augenblicklich auf den Rücken ſtürzte
und wie leblos liegen blieb; die übrigen zogen ſich dann in das Dickicht des Waldes zurück.
Andere Beobachter verſichern, daß zwiſchen den Löwen ſelbſt zuweilen aus Futterneid Kämpfe
entſtänden, und engliſche Jäger wollen ſogar geſehen haben, daß ein männlicher Löwe die von ihm
getödtete Löwin zerfleiſcht und theilweiſe gefreſſen habe. Jn wieweit letztere Beobachtung richtig iſt,
wage ich nicht zu entſcheiden; mir kommt die Sache außerordentlich unwahrſcheinlich vor, obgleich ich
wiederholt geſehen habe, daß andere große Katzenpaare, namentlich der Tiger unſeres Thiergartens,
durch das bloſe Erſchauen einer vermeintlichen Beute in hohem Grade erregt wurden und wüthend
mit einander kämpften, ſo friedlich ſie auch ſonſt zuſammen lebten.
Den Menſchen greift der Löwe nur äußerſt ſelten an. Die hohe Geſtalt eines Mannes ſcheint
ihm Ehrfurcht einzuflößen. Jn Sudahn wenigſtens, wo doch der Löwe in manchen Gegenden ſehr
häufig iſt, ſind ſo gut als gar keine Fälle bekannt, daß ein Menſch von einem Löwen gefreſſen worden
wäre. Dort fallen den Krokodilen, ja ſelbſt den Hiänen, weit mehr Menſchen zum Opfer, als
dem Löwen. Jn Südafrika ſoll es anders ſein; doch fügt man auch hinzu, daß die Kaffern daran
hauptſächlich ſelbſt ſchuld wären. Bei den beſtändigen Kriegen dieſer Völkerſchaften kommt es nämlich
häufig vor, daß die oft genug heimtückiſch erſchlagenen Feinde mitten im Walde liegen bleiben, da,
wo ſie das tödliche Geſchoß ereilte. Kommt nun der Löwe des Nachts an einen ſolchen Leichnam, ſo
lange dieſer noch friſch iſt, ſo findet er es erklärlicher Weiſe ſehr bequem, an ihm ſeinen Hunger zu
ſtillen; hat er einmal Menſchenfleiſch gekoſtet, ſo erfährt er, daß daſſelbe dem andern doch vorzuziehen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/259>, abgerufen am 22.11.2024.
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