Die große Hufeisennase kommt in dem größten Theile des gemäßigten und südlichen Theiles Europas vor, auch fand man sie in Asien, am Libanon. Jn den Gebirgen geht sie im Sommer bis 6000 Fuß in die Höhe. Sie lebt gern gesellig, doch giebt es andere Arten ihrer Familie, welche in noch weit größeren Mengen zusammen vorkommen. Bisweilen findet man sie auch mit anderen ihrer Art vereinigt. Jhre Schlafplätze und Winterherbergen sind die gewöhnlichen. Jm Frühjahr erscheint sie bald, im Winter aber nur selten. Abends kommt sie erst spät. Jhre Fluggewandtheit ist im Ver- gleich mit anderen ihrer Familie nicht eben bedeutend, und sie erhebt sich keineswegs besonders hoch.
Die wirklichen Vampire leben in Amerika und gehören mehreren besonderen Sippen an. Sie kennzeichnen sich durch einen dicken Kopf mit langer, dicker und abgestutzter Schnauze, scharfkantige, am Rande mit Wärzchen besetzte, inwendig gezackte Lippen, einen dreiseitigen, bewarzten Fleck am Kinn und einen ziemlich kreisförmigen Saum unter den schiefen Nasenlöchern. Das Nasenblatt erhebt sich stielartig von der Nasenscheidewand und ist durch zwei Fugen in drei Felder getheilt, ganz ähnlich, wie bei den Hufeisennasen. Die dicke, fleischige Zunge kann wenig vorgestreckt werden und ist hinten und vorn mit runden, in der Mitte mit rückwärts gewendeten, spitzen Warzen versehen. Die Ohren sind von mittlerer Größe und stets weit von einander getrennt, die Flughäute sind sehr groß, der Schwanz und die Schenkelhaut aber verschieden gebildet.
Die sehr zahlreichen Arten bewohnen Südamerika und das südliche Nordamerika und gehörten bereits zu den Vorweltsthieren dieses Erdtheils. Sie leben mehr einzeln, als gesellig, in Wäldern, nähren sich vorzüglich von Kerbthieren, von faftigen Früchten und viele auch vom Blutsaugen.
Unter ihnen ist diejenige Art, welcher die Wissenschaft den Namen Vampir (Phyllostoma Spectrum) gelassen hat, für uns die merkwürdigste. Der Vampir ist der größte aller brasilianischen Blutsauger, hat einen dicken und langen Kopf mit sehr vorgezogener Schnauze, große, länglichrunde, schwach gebaute Ohren mit einem schmalen Ohrläppchen und ein kleines, schmales, lanzettenartiges Nasenplättchen auf breitem Stiele. Die Oberlippe ist glatt, die Unterlippe hat vorn zwei große, nackte Warzen. Der weiche und zarte Pelz ist oben dunkelkastanienbraun, unten gelblichgraubraun. die Flughaut, welche bis zu den Zehenwurzeln hinabreicht, ist braun. Die Körperlänge beträgt 51/2 Zoll und die Flugweite 15 Zoll.
Hauptsächlich Guiana ist die Heimat des Vampirs. Er wird in den einsamen Urwäldern ge- troffen und umschwärmt nicht selten die nahegelegenen Hütten der Eingebornen; ja er verbirgt sich hier oft unter den dichten Palmendächern derselben während des Tages. Des Nachts jagt er den Kerbthieren nach, und diese bilden seine hauptsächliche Nahrung. Nebenbei soll er auch Früchte ver- zehren. "Bei hellem Mondschein," sagt Waterton, "konnte ich den Vampir nach den mit reifen Früchten beschwerten Bäumen hinfliegen und diese Früchte ihn essen sehen. Aus dem Walde brachte er in das Gehöft dann und wann eine runde Frucht von der Größe einer Muskatnuß, welche der wilden Guava glich, und als der Sawarrinußbaum blühte, trieb er sich um diesen herum. Jn einer mondhellen Nacht sah ich verschiedene Vampire um die Gipfel dieser Bäume flattern und beobachtete daß von Zeit zu Zeit eine Blüthe in das Wasser fiel. Ohne Ursache geschah Dies sicher nicht: denn alle Blüthen, welche ich prüfte, waren frisch und gesund. So schloß ich, daß sie von den Vampiren ge- pflückt wurden, entweder, um die beginnende Frucht oder um die Kerbthiere zu verspeisen, welche so oft ihren Wohnort in Blumen nehmen." Wenn der Vampir aber Mangel leidet, fällt er größere Geschöpfe, namentlich Vögel und Säugethiere an, sucht sich eine Stelle aus, wo er leicht die Haut durchbeißen kann, und saugt sich hier voll Blut. Hierüber sind alle Beobachter einstimmig. Schon der Spanier Azara, welcher ihn "Mordedor", zu deutsch Beißer, nennt, berichtet Folgendes: "Zuweilen beißen sie sich in den Kamm und die Kinnlappen der schlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszufaugen, und die Hühner sterben daran gewöhnlich, zumal wenn sich die Wunden, wie fast immer geschieht, entzünden. Ebenso beißen sie Pferde, Esel, Maulthiere und Kühe regelmäßig in die Seiten, die
Kennzeichen. Heimat. Nahrung, Blutſaugen.
Die große Hufeiſennaſe kommt in dem größten Theile des gemäßigten und ſüdlichen Theiles Europas vor, auch fand man ſie in Aſien, am Libanon. Jn den Gebirgen geht ſie im Sommer bis 6000 Fuß in die Höhe. Sie lebt gern geſellig, doch giebt es andere Arten ihrer Familie, welche in noch weit größeren Mengen zuſammen vorkommen. Bisweilen findet man ſie auch mit anderen ihrer Art vereinigt. Jhre Schlafplätze und Winterherbergen ſind die gewöhnlichen. Jm Frühjahr erſcheint ſie bald, im Winter aber nur ſelten. Abends kommt ſie erſt ſpät. Jhre Fluggewandtheit iſt im Ver- gleich mit anderen ihrer Familie nicht eben bedeutend, und ſie erhebt ſich keineswegs beſonders hoch.
Die wirklichen Vampire leben in Amerika und gehören mehreren beſonderen Sippen an. Sie kennzeichnen ſich durch einen dicken Kopf mit langer, dicker und abgeſtutzter Schnauze, ſcharfkantige, am Rande mit Wärzchen beſetzte, inwendig gezackte Lippen, einen dreiſeitigen, bewarzten Fleck am Kinn und einen ziemlich kreisförmigen Saum unter den ſchiefen Naſenlöchern. Das Naſenblatt erhebt ſich ſtielartig von der Naſenſcheidewand und iſt durch zwei Fugen in drei Felder getheilt, ganz ähnlich, wie bei den Hufeiſennaſen. Die dicke, fleiſchige Zunge kann wenig vorgeſtreckt werden und iſt hinten und vorn mit runden, in der Mitte mit rückwärts gewendeten, ſpitzen Warzen verſehen. Die Ohren ſind von mittlerer Größe und ſtets weit von einander getrennt, die Flughäute ſind ſehr groß, der Schwanz und die Schenkelhaut aber verſchieden gebildet.
Die ſehr zahlreichen Arten bewohnen Südamerika und das ſüdliche Nordamerika und gehörten bereits zu den Vorweltsthieren dieſes Erdtheils. Sie leben mehr einzeln, als geſellig, in Wäldern, nähren ſich vorzüglich von Kerbthieren, von faftigen Früchten und viele auch vom Blutſaugen.
Unter ihnen iſt diejenige Art, welcher die Wiſſenſchaft den Namen Vampir (Phyllostoma Spectrum) gelaſſen hat, für uns die merkwürdigſte. Der Vampir iſt der größte aller braſilianiſchen Blutſauger, hat einen dicken und langen Kopf mit ſehr vorgezogener Schnauze, große, länglichrunde, ſchwach gebaute Ohren mit einem ſchmalen Ohrläppchen und ein kleines, ſchmales, lanzettenartiges Naſenplättchen auf breitem Stiele. Die Oberlippe iſt glatt, die Unterlippe hat vorn zwei große, nackte Warzen. Der weiche und zarte Pelz iſt oben dunkelkaſtanienbraun, unten gelblichgraubraun. die Flughaut, welche bis zu den Zehenwurzeln hinabreicht, iſt braun. Die Körperlänge beträgt 5½ Zoll und die Flugweite 15 Zoll.
Hauptſächlich Guiana iſt die Heimat des Vampirs. Er wird in den einſamen Urwäldern ge- troffen und umſchwärmt nicht ſelten die nahegelegenen Hütten der Eingebornen; ja er verbirgt ſich hier oft unter den dichten Palmendächern derſelben während des Tages. Des Nachts jagt er den Kerbthieren nach, und dieſe bilden ſeine hauptſächliche Nahrung. Nebenbei ſoll er auch Früchte ver- zehren. „Bei hellem Mondſchein,‟ ſagt Waterton, „konnte ich den Vampir nach den mit reifen Früchten beſchwerten Bäumen hinfliegen und dieſe Früchte ihn eſſen ſehen. Aus dem Walde brachte er in das Gehöft dann und wann eine runde Frucht von der Größe einer Muskatnuß, welche der wilden Guava glich, und als der Sawarrinußbaum blühte, trieb er ſich um dieſen herum. Jn einer mondhellen Nacht ſah ich verſchiedene Vampire um die Gipfel dieſer Bäume flattern und beobachtete daß von Zeit zu Zeit eine Blüthe in das Waſſer fiel. Ohne Urſache geſchah Dies ſicher nicht: denn alle Blüthen, welche ich prüfte, waren friſch und geſund. So ſchloß ich, daß ſie von den Vampiren ge- pflückt wurden, entweder, um die beginnende Frucht oder um die Kerbthiere zu verſpeiſen, welche ſo oft ihren Wohnort in Blumen nehmen.‟ Wenn der Vampir aber Mangel leidet, fällt er größere Geſchöpfe, namentlich Vögel und Säugethiere an, ſucht ſich eine Stelle aus, wo er leicht die Haut durchbeißen kann, und ſaugt ſich hier voll Blut. Hierüber ſind alle Beobachter einſtimmig. Schon der Spanier Azara, welcher ihn „Mordedor‟, zu deutſch Beißer, nennt, berichtet Folgendes: „Zuweilen beißen ſie ſich in den Kamm und die Kinnlappen der ſchlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszufaugen, und die Hühner ſterben daran gewöhnlich, zumal wenn ſich die Wunden, wie faſt immer geſchieht, entzünden. Ebenſo beißen ſie Pferde, Eſel, Maulthiere und Kühe regelmäßig in die Seiten, die
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Kennzeichen. Heimat. Nahrung, Blutſaugen.
Die große Hufeiſennaſe kommt in dem größten Theile des gemäßigten und ſüdlichen Theiles
Europas vor, auch fand man ſie in Aſien, am Libanon. Jn den Gebirgen geht ſie im Sommer bis
6000 Fuß in die Höhe. Sie lebt gern geſellig, doch giebt es andere Arten ihrer Familie, welche in
noch weit größeren Mengen zuſammen vorkommen. Bisweilen findet man ſie auch mit anderen ihrer
Art vereinigt. Jhre Schlafplätze und Winterherbergen ſind die gewöhnlichen. Jm Frühjahr erſcheint
ſie bald, im Winter aber nur ſelten. Abends kommt ſie erſt ſpät. Jhre Fluggewandtheit iſt im Ver-
gleich mit anderen ihrer Familie nicht eben bedeutend, und ſie erhebt ſich keineswegs beſonders hoch.
Die wirklichen Vampire leben in Amerika und gehören mehreren beſonderen Sippen an. Sie
kennzeichnen ſich durch einen dicken Kopf mit langer, dicker und abgeſtutzter Schnauze, ſcharfkantige,
am Rande mit Wärzchen beſetzte, inwendig gezackte Lippen, einen dreiſeitigen, bewarzten Fleck am
Kinn und einen ziemlich kreisförmigen Saum unter den ſchiefen Naſenlöchern. Das Naſenblatt erhebt
ſich ſtielartig von der Naſenſcheidewand und iſt durch zwei Fugen in drei Felder getheilt, ganz ähnlich,
wie bei den Hufeiſennaſen. Die dicke, fleiſchige Zunge kann wenig vorgeſtreckt werden und iſt hinten
und vorn mit runden, in der Mitte mit rückwärts gewendeten, ſpitzen Warzen verſehen. Die Ohren
ſind von mittlerer Größe und ſtets weit von einander getrennt, die Flughäute ſind ſehr groß, der
Schwanz und die Schenkelhaut aber verſchieden gebildet.
Die ſehr zahlreichen Arten bewohnen Südamerika und das ſüdliche Nordamerika und gehörten
bereits zu den Vorweltsthieren dieſes Erdtheils. Sie leben mehr einzeln, als geſellig, in Wäldern,
nähren ſich vorzüglich von Kerbthieren, von faftigen Früchten und viele auch vom Blutſaugen.
Unter ihnen iſt diejenige Art, welcher die Wiſſenſchaft den Namen Vampir (Phyllostoma
Spectrum) gelaſſen hat, für uns die merkwürdigſte. Der Vampir iſt der größte aller braſilianiſchen
Blutſauger, hat einen dicken und langen Kopf mit ſehr vorgezogener Schnauze, große, länglichrunde,
ſchwach gebaute Ohren mit einem ſchmalen Ohrläppchen und ein kleines, ſchmales, lanzettenartiges
Naſenplättchen auf breitem Stiele. Die Oberlippe iſt glatt, die Unterlippe hat vorn zwei große,
nackte Warzen. Der weiche und zarte Pelz iſt oben dunkelkaſtanienbraun, unten gelblichgraubraun.
die Flughaut, welche bis zu den Zehenwurzeln hinabreicht, iſt braun. Die Körperlänge beträgt
5½ Zoll und die Flugweite 15 Zoll.
Hauptſächlich Guiana iſt die Heimat des Vampirs. Er wird in den einſamen Urwäldern ge-
troffen und umſchwärmt nicht ſelten die nahegelegenen Hütten der Eingebornen; ja er verbirgt ſich
hier oft unter den dichten Palmendächern derſelben während des Tages. Des Nachts jagt er den
Kerbthieren nach, und dieſe bilden ſeine hauptſächliche Nahrung. Nebenbei ſoll er auch Früchte ver-
zehren. „Bei hellem Mondſchein,‟ ſagt Waterton, „konnte ich den Vampir nach den mit reifen
Früchten beſchwerten Bäumen hinfliegen und dieſe Früchte ihn eſſen ſehen. Aus dem Walde brachte
er in das Gehöft dann und wann eine runde Frucht von der Größe einer Muskatnuß, welche der
wilden Guava glich, und als der Sawarrinußbaum blühte, trieb er ſich um dieſen herum. Jn einer
mondhellen Nacht ſah ich verſchiedene Vampire um die Gipfel dieſer Bäume flattern und beobachtete
daß von Zeit zu Zeit eine Blüthe in das Waſſer fiel. Ohne Urſache geſchah Dies ſicher nicht: denn
alle Blüthen, welche ich prüfte, waren friſch und geſund. So ſchloß ich, daß ſie von den Vampiren ge-
pflückt wurden, entweder, um die beginnende Frucht oder um die Kerbthiere zu verſpeiſen, welche ſo oft
ihren Wohnort in Blumen nehmen.‟ Wenn der Vampir aber Mangel leidet, fällt er größere Geſchöpfe,
namentlich Vögel und Säugethiere an, ſucht ſich eine Stelle aus, wo er leicht die Haut durchbeißen
kann, und ſaugt ſich hier voll Blut. Hierüber ſind alle Beobachter einſtimmig. Schon der Spanier
Azara, welcher ihn „Mordedor‟, zu deutſch Beißer, nennt, berichtet Folgendes: „Zuweilen beißen
ſie ſich in den Kamm und die Kinnlappen der ſchlafenden Hühner ein, um ihnen Blut auszufaugen,
und die Hühner ſterben daran gewöhnlich, zumal wenn ſich die Wunden, wie faſt immer geſchieht,
entzünden. Ebenſo beißen ſie Pferde, Eſel, Maulthiere und Kühe regelmäßig in die Seiten, die
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/231>, abgerufen am 24.11.2024.
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