Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Halbaffen. Kurzfüßer. -- Der schlanke Lori.
schmeichelten, und auch ganz Fremden sprang er ohne alle Umstände in den Schoß. Gegen Abend
sprang oder tanzte er wohl eine halbe Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er
sich auf ein Bret über der Thüre und spann sich in Schlaf. Jn seiner Jugend fraß er alles Genieß-
bare und trank auch Wein; in seinem Alter wurde er wählerischer und damit verständiger und stiller.

Von den weißstirnigen Makis besaß man zu Paris ein Paar, welches sich sehr lieb gewann und
schließlich begattete. Nach viermonatlicher Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Ratten-
größe und mit offenen Augen. Das Thierchen klammerte sich sogleich an die Mutter an und zwar
quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel so in die Höhe, daß sie es fast ganz bedeckte
und vor den Blicken verbarg. Wenn sich Menschen näherten, drehte sie denselben immer den Rücken
zu, damit ihr Kind nicht gesehen werden sollte. Sie war außerordentlich zahm gewesen; nachdem sie
aber das Junge erhalten hatte, drohte sie Jedermann, der sich ihr nähern wollte, mit den Zähnen.
Sechs Wochen nach seiner Geburt hatte das Thierchen schon ganz den Pelz und die Färbung, wie

[Abbildung] Der Mongoz (Lemur Mongoz).
seine Mutter. Um diese Zeit fing es auch an, die ihm hingestellte Nahrung zu versuchen: aber erst
im sechsten Monat seines Alters entwöhnte es sich.

Ein Vari desselben Thiergartens lebte mit einem seiner Gattungsverwandten lange Zeit ganz
friedlich in einem Käfig, bis man beide zufällig an einen andern Ort brachte. Hier änderte sich die
Sache; der starke Vari tödtete seinen Gefährten in der ersten Nacht.

Auf das Angegebene beschränkt sich die Kenntniß, welche wir von dem Leben der gefangenen
Makis besitzen; hinsichtlich ihres Freilebens harren die Thiere noch ihres Rengger. --



Während die Makis sammt und sonders, wenigstens zu gewissen Zeiten, eine große Regsamkeit
und Beweglichkeit kundgeben, zeichnen sich die Loris (Stenops) hauptsächlich durch die entgegen-
gesetzten Eigenschaften aus. Sie sind die Faulthiere unter den Vierhändern und werden auch geradezu

Die Halbaffen. Kurzfüßer. — Der ſchlanke Lori.
ſchmeichelten, und auch ganz Fremden ſprang er ohne alle Umſtände in den Schoß. Gegen Abend
ſprang oder tanzte er wohl eine halbe Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er
ſich auf ein Bret über der Thüre und ſpann ſich in Schlaf. Jn ſeiner Jugend fraß er alles Genieß-
bare und trank auch Wein; in ſeinem Alter wurde er wähleriſcher und damit verſtändiger und ſtiller.

Von den weißſtirnigen Makis beſaß man zu Paris ein Paar, welches ſich ſehr lieb gewann und
ſchließlich begattete. Nach viermonatlicher Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Ratten-
größe und mit offenen Augen. Das Thierchen klammerte ſich ſogleich an die Mutter an und zwar
quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel ſo in die Höhe, daß ſie es faſt ganz bedeckte
und vor den Blicken verbarg. Wenn ſich Menſchen näherten, drehte ſie denſelben immer den Rücken
zu, damit ihr Kind nicht geſehen werden ſollte. Sie war außerordentlich zahm geweſen; nachdem ſie
aber das Junge erhalten hatte, drohte ſie Jedermann, der ſich ihr nähern wollte, mit den Zähnen.
Sechs Wochen nach ſeiner Geburt hatte das Thierchen ſchon ganz den Pelz und die Färbung, wie

[Abbildung] Der Mongoz (Lemur Mongoz).
ſeine Mutter. Um dieſe Zeit fing es auch an, die ihm hingeſtellte Nahrung zu verſuchen: aber erſt
im ſechſten Monat ſeines Alters entwöhnte es ſich.

Ein Vari deſſelben Thiergartens lebte mit einem ſeiner Gattungsverwandten lange Zeit ganz
friedlich in einem Käfig, bis man beide zufällig an einen andern Ort brachte. Hier änderte ſich die
Sache; der ſtarke Vari tödtete ſeinen Gefährten in der erſten Nacht.

Auf das Angegebene beſchränkt ſich die Kenntniß, welche wir von dem Leben der gefangenen
Makis beſitzen; hinſichtlich ihres Freilebens harren die Thiere noch ihres Rengger.



Während die Makis ſammt und ſonders, wenigſtens zu gewiſſen Zeiten, eine große Regſamkeit
und Beweglichkeit kundgeben, zeichnen ſich die Loris (Stenops) hauptſächlich durch die entgegen-
geſetzten Eigenſchaften aus. Sie ſind die Faulthiere unter den Vierhändern und werden auch geradezu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="2">
        <div n="3">
          <p><pb facs="#f0196" n="138"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Die Halbaffen.</hi> Kurzfüßer. &#x2014; <hi rendition="#g">Der &#x017F;chlanke Lori.</hi></fw><lb/>
&#x017F;chmeichelten, und auch ganz Fremden &#x017F;prang er ohne alle Um&#x017F;tände in den Schoß. Gegen Abend<lb/>
&#x017F;prang oder tanzte er wohl eine halbe Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er<lb/>
&#x017F;ich auf ein Bret über der Thüre und &#x017F;pann &#x017F;ich in Schlaf. Jn &#x017F;einer Jugend fraß er alles Genieß-<lb/>
bare und trank auch Wein; in &#x017F;einem Alter wurde er wähleri&#x017F;cher und damit ver&#x017F;tändiger und &#x017F;tiller.</p><lb/>
          <p>Von den weiß&#x017F;tirnigen Makis be&#x017F;aß man zu Paris ein Paar, welches &#x017F;ich &#x017F;ehr lieb gewann und<lb/>
&#x017F;chließlich begattete. Nach viermonatlicher Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Ratten-<lb/>
größe und mit offenen Augen. Das Thierchen klammerte &#x017F;ich &#x017F;ogleich an die Mutter an und zwar<lb/>
quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel &#x017F;o in die Höhe, daß &#x017F;ie es fa&#x017F;t ganz bedeckte<lb/>
und vor den Blicken verbarg. Wenn &#x017F;ich Men&#x017F;chen näherten, drehte &#x017F;ie den&#x017F;elben immer den Rücken<lb/>
zu, damit ihr Kind nicht ge&#x017F;ehen werden &#x017F;ollte. Sie war außerordentlich zahm gewe&#x017F;en; nachdem &#x017F;ie<lb/>
aber das Junge erhalten hatte, drohte &#x017F;ie Jedermann, der &#x017F;ich ihr nähern wollte, mit den Zähnen.<lb/>
Sechs Wochen nach &#x017F;einer Geburt hatte das Thierchen &#x017F;chon ganz den Pelz und die Färbung, wie<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Mongoz</hi> (<hi rendition="#aq">Lemur Mongoz</hi>).</hi></head></figure><lb/>
&#x017F;eine Mutter. Um die&#x017F;e Zeit fing es auch an, die ihm hinge&#x017F;tellte Nahrung zu ver&#x017F;uchen: aber er&#x017F;t<lb/>
im &#x017F;ech&#x017F;ten Monat &#x017F;eines Alters entwöhnte es &#x017F;ich.</p><lb/>
          <p>Ein <hi rendition="#g">Vari</hi> de&#x017F;&#x017F;elben Thiergartens lebte mit einem &#x017F;einer Gattungsverwandten lange Zeit ganz<lb/>
friedlich in einem Käfig, bis man beide zufällig an einen andern Ort brachte. Hier änderte &#x017F;ich die<lb/>
Sache; der &#x017F;tarke Vari tödtete &#x017F;einen Gefährten in der er&#x017F;ten Nacht.</p><lb/>
          <p>Auf das Angegebene be&#x017F;chränkt &#x017F;ich die Kenntniß, welche wir von dem Leben der gefangenen<lb/>
Makis be&#x017F;itzen; hin&#x017F;ichtlich ihres Freilebens harren die Thiere noch ihres <hi rendition="#g">Rengger.</hi> &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Während die <hi rendition="#g">Makis</hi> &#x017F;ammt und &#x017F;onders, wenig&#x017F;tens zu gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten, eine große Reg&#x017F;amkeit<lb/>
und Beweglichkeit kundgeben, zeichnen &#x017F;ich die <hi rendition="#g">Loris</hi> (<hi rendition="#aq">Stenops</hi>) haupt&#x017F;ächlich durch die entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzten Eigen&#x017F;chaften aus. Sie &#x017F;ind die Faulthiere unter den Vierhändern und werden auch geradezu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0196] Die Halbaffen. Kurzfüßer. — Der ſchlanke Lori. ſchmeichelten, und auch ganz Fremden ſprang er ohne alle Umſtände in den Schoß. Gegen Abend ſprang oder tanzte er wohl eine halbe Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er ſich auf ein Bret über der Thüre und ſpann ſich in Schlaf. Jn ſeiner Jugend fraß er alles Genieß- bare und trank auch Wein; in ſeinem Alter wurde er wähleriſcher und damit verſtändiger und ſtiller. Von den weißſtirnigen Makis beſaß man zu Paris ein Paar, welches ſich ſehr lieb gewann und ſchließlich begattete. Nach viermonatlicher Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Ratten- größe und mit offenen Augen. Das Thierchen klammerte ſich ſogleich an die Mutter an und zwar quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel ſo in die Höhe, daß ſie es faſt ganz bedeckte und vor den Blicken verbarg. Wenn ſich Menſchen näherten, drehte ſie denſelben immer den Rücken zu, damit ihr Kind nicht geſehen werden ſollte. Sie war außerordentlich zahm geweſen; nachdem ſie aber das Junge erhalten hatte, drohte ſie Jedermann, der ſich ihr nähern wollte, mit den Zähnen. Sechs Wochen nach ſeiner Geburt hatte das Thierchen ſchon ganz den Pelz und die Färbung, wie [Abbildung Der Mongoz (Lemur Mongoz).] ſeine Mutter. Um dieſe Zeit fing es auch an, die ihm hingeſtellte Nahrung zu verſuchen: aber erſt im ſechſten Monat ſeines Alters entwöhnte es ſich. Ein Vari deſſelben Thiergartens lebte mit einem ſeiner Gattungsverwandten lange Zeit ganz friedlich in einem Käfig, bis man beide zufällig an einen andern Ort brachte. Hier änderte ſich die Sache; der ſtarke Vari tödtete ſeinen Gefährten in der erſten Nacht. Auf das Angegebene beſchränkt ſich die Kenntniß, welche wir von dem Leben der gefangenen Makis beſitzen; hinſichtlich ihres Freilebens harren die Thiere noch ihres Rengger. — Während die Makis ſammt und ſonders, wenigſtens zu gewiſſen Zeiten, eine große Regſamkeit und Beweglichkeit kundgeben, zeichnen ſich die Loris (Stenops) hauptſächlich durch die entgegen- geſetzten Eigenſchaften aus. Sie ſind die Faulthiere unter den Vierhändern und werden auch geradezu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/196
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/196>, abgerufen am 04.05.2024.