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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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gemacht, daß die Parteien, welche für die politische und wirth-
schaftliche Reaction eintreten, uns unterschieben, als sähen wir
das Vagabundenthum mit besonders milden und gleichsam pro-
tegirenden Augen an. Das ist ein Irrthum, der sich nur mit der
Ignoranz entschuldigen läßt. Denn die Partei der wirthschaft-
lichen Freiheit ist ja darüber einig, daß das Vagabundenthum
ein Uebel ist, namentlich ein wirthschaftliches Uebel.

Nach der Definition unserer Gesetze sind die Vagabunden
Menschen, die "mittel- und erwerbslos umherschweifen". Will
man aber die Definition nicht juristisch, sondern wirthschaftlich
und ad hominem formuliren, so muß man sagen: "Ein Vaga-
bund ist ein Mensch, der unter dem Vorwande Arbeit zu suchen,
der Arbeit mit Sorgfalt, Geflissenheit, Dreistigkeit und List aus
dem Wege geht." Ich glaube diese wirthschaftliche Definition
ist richtiger als die juristische.

Die Vagabondage ist eine Landplage, und sie ist es von
jeher gewesen, und zwar, weil sie absolut unwirthschaftlich ist,
und weil sie eine Pflanzschule ist für Bettelei, für Raub, für
Stehler und Hehler. Das Alles grenzt ja sehr nahe aneinander.
Das Betteln legt ja schon, wenn es mit einer gewissen Energie
betrieben wird, dem Angebettelten einen gewissen moralischen
Zwang auf; namentlich wenn es von mehreren Personen gemein-
sam verübt wird, grenzt es dicht an Erpressung, Nöthigung, Raub.
Ebenso entwickeln sich aus der Vagabondage leicht Räuber-
banden; denn wenn man mit der Güte nicht ausreicht, so pflegt
man überzugehen zu den Mitteln der Gewalt. Es ist dann eine
Art von Requisitionswesen im Frieden.

Nun hat man in neuerer Zeit, auch in unseren Parlamenten,
namentlich im preußischen Abgeordnetenhause sich den Kopf
darüber zerbrochen, welches die Ursachen des Zunehmens der
Vagabondage seien (ich sage des angeblichen Zunehmens),
und welches die besten Mittel zu deren Beseitigung seien. Man
ist gleichsam wie auf Verabredung ausgegangen von der Vor-
aussetzung, daß die gegenwärtigen Gesetze schlecht sind und
nicht ausreichen, dem Uebel zu steuern. Da möchte ich nun
doch erst einmal bitten, den Inhalt der gegenwärtig bestehenden
Strafgesetze ins Auge zu fassen und zu sehen, ob dieselben denn
in einer erschöpfenden Weise angewendet worden sind. Denn
die Regierung hat die Verpflichtung, die bestehenden Gesetze zu

gemacht, daß die Parteien, welche für die politische und wirth-
schaftliche Reaction eintreten, uns unterschieben, als sähen wir
das Vagabundenthum mit besonders milden und gleichsam pro-
tegirenden Augen an. Das ist ein Irrthum, der sich nur mit der
Ignoranz entschuldigen läßt. Denn die Partei der wirthschaft-
lichen Freiheit ist ja darüber einig, daß das Vagabundenthum
ein Uebel ist, namentlich ein wirthschaftliches Uebel.

Nach der Definition unserer Gesetze sind die Vagabunden
Menschen, die «mittel- und erwerbslos umherschweifen». Will
man aber die Definition nicht juristisch, sondern wirthschaftlich
und ad hominem formuliren, so muß man sagen: «Ein Vaga-
bund ist ein Mensch, der unter dem Vorwande Arbeit zu suchen,
der Arbeit mit Sorgfalt, Geflissenheit, Dreistigkeit und List aus
dem Wege geht.» Ich glaube diese wirthschaftliche Definition
ist richtiger als die juristische.

Die Vagabondage ist eine Landplage, und sie ist es von
jeher gewesen, und zwar, weil sie absolut unwirthschaftlich ist,
und weil sie eine Pflanzschule ist für Bettelei, für Raub, für
Stehler und Hehler. Das Alles grenzt ja sehr nahe aneinander.
Das Betteln legt ja schon, wenn es mit einer gewissen Energie
betrieben wird, dem Angebettelten einen gewissen moralischen
Zwang auf; namentlich wenn es von mehreren Personen gemein-
sam verübt wird, grenzt es dicht an Erpressung, Nöthigung, Raub.
Ebenso entwickeln sich aus der Vagabondage leicht Räuber-
banden; denn wenn man mit der Güte nicht ausreicht, so pflegt
man überzugehen zu den Mitteln der Gewalt. Es ist dann eine
Art von Requisitionswesen im Frieden.

Nun hat man in neuerer Zeit, auch in unseren Parlamenten,
namentlich im preußischen Abgeordnetenhause sich den Kopf
darüber zerbrochen, welches die Ursachen des Zunehmens der
Vagabondage seien (ich sage des angeblichen Zunehmens),
und welches die besten Mittel zu deren Beseitigung seien. Man
ist gleichsam wie auf Verabredung ausgegangen von der Vor-
aussetzung, daß die gegenwärtigen Gesetze schlecht sind und
nicht ausreichen, dem Uebel zu steuern. Da möchte ich nun
doch erst einmal bitten, den Inhalt der gegenwärtig bestehenden
Strafgesetze ins Auge zu fassen und zu sehen, ob dieselben denn
in einer erschöpfenden Weise angewendet worden sind. Denn
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[5/0007] gemacht, daß die Parteien, welche für die politische und wirth- schaftliche Reaction eintreten, uns unterschieben, als sähen wir das Vagabundenthum mit besonders milden und gleichsam pro- tegirenden Augen an. Das ist ein Irrthum, der sich nur mit der Ignoranz entschuldigen läßt. Denn die Partei der wirthschaft- lichen Freiheit ist ja darüber einig, daß das Vagabundenthum ein Uebel ist, namentlich ein wirthschaftliches Uebel. Nach der Definition unserer Gesetze sind die Vagabunden Menschen, die «mittel- und erwerbslos umherschweifen». Will man aber die Definition nicht juristisch, sondern wirthschaftlich und ad hominem formuliren, so muß man sagen: «Ein Vaga- bund ist ein Mensch, der unter dem Vorwande Arbeit zu suchen, der Arbeit mit Sorgfalt, Geflissenheit, Dreistigkeit und List aus dem Wege geht.» Ich glaube diese wirthschaftliche Definition ist richtiger als die juristische. Die Vagabondage ist eine Landplage, und sie ist es von jeher gewesen, und zwar, weil sie absolut unwirthschaftlich ist, und weil sie eine Pflanzschule ist für Bettelei, für Raub, für Stehler und Hehler. Das Alles grenzt ja sehr nahe aneinander. Das Betteln legt ja schon, wenn es mit einer gewissen Energie betrieben wird, dem Angebettelten einen gewissen moralischen Zwang auf; namentlich wenn es von mehreren Personen gemein- sam verübt wird, grenzt es dicht an Erpressung, Nöthigung, Raub. Ebenso entwickeln sich aus der Vagabondage leicht Räuber- banden; denn wenn man mit der Güte nicht ausreicht, so pflegt man überzugehen zu den Mitteln der Gewalt. Es ist dann eine Art von Requisitionswesen im Frieden. Nun hat man in neuerer Zeit, auch in unseren Parlamenten, namentlich im preußischen Abgeordnetenhause sich den Kopf darüber zerbrochen, welches die Ursachen des Zunehmens der Vagabondage seien (ich sage des angeblichen Zunehmens), und welches die besten Mittel zu deren Beseitigung seien. Man ist gleichsam wie auf Verabredung ausgegangen von der Vor- aussetzung, daß die gegenwärtigen Gesetze schlecht sind und nicht ausreichen, dem Uebel zu steuern. Da möchte ich nun doch erst einmal bitten, den Inhalt der gegenwärtig bestehenden Strafgesetze ins Auge zu fassen und zu sehen, ob dieselben denn in einer erschöpfenden Weise angewendet worden sind. Denn die Regierung hat die Verpflichtung, die bestehenden Gesetze zu

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/7>, abgerufen am 28.03.2024.