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Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883.

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schwanken, Vorwärts- und Rückwärts-Gehen in der Wirthschafts-
Politik und dergleichen.

Vor Allem aber zeigt sich ein unverkennbarer Einfluß des
Krieges.

Wir sehen eine große Steigerung der Vagabondage während
des dreißigjährigen Krieges und nach demselben.

Desgleichen nach dem siebenjährigen Kriege.

In den Kriegsjahren zu Ende des vorigen Jahrhunderts
bilden sich, namentlich in dem südlichen und westlichen Deutsch-
land, große Vagabunden- und Räuberbanden; und erst der ganzen
Energie der französischen Verwaltung gelingt es, dieselben einiger-
maßen zu unterdrücken.

Als aber dort die Viel- und Kleinstaaterei wiederhergestellt
war, begann das Unwesen sein Haupt wieder zu erheben,
namentlich von den Theuerungsjahren ab, welche dadurch noch
eine Verschärfung erhielten, daß damals in Deutschland noch
die Zwischenzölle bestanden, so daß das Getreide in Posen nur
halb so viel kostete wie in der Rheinprovinz, aber nicht hin-
geführt wurde, weil die Zwischenzölle bestanden, die erst später,
1818, ganz beseitigt worden sind. Wenn Hr. v. Rauchhaupt im
Abgeordnetenhause sagt, daß die Vagabondage nicht von dem
Kriege herrühren könne, denn 1870/71 habe kein fremder Fuß
deutschen Boden betreten, so kann ich ihm als Exempel anfüh-
ren das Jahr 1859; da hat auch kein fremder Fuß deutschen
Boden betreten, gleichwohl hatten wir in Süd- und Westdeutsch-
land eine so grimmige Vagabondage, wie wir sie vorher und
nachher lange Zeit nicht erlebt haben, das kam eben von dem
italienischen Kriege, der seinen Wellenschlag bis dahin erstreckte.

Wir sehen also, daß die Ursachen der Vagabondage ganz
andere sind, als wie die Herren glauben, die sich darüber im
Abgeordnetenhause geäußert haben. Ich habe da noch eine
Menge Notizen über die gegenwärtige Vagabondage in Frank-
reich, sowie über die Schriftsteller, die sich darüber verbreitet
haben, die allgemein constatiren, daß seit 1871 dort die Vaga-
bondage sich verzehnfacht hat und die ehrlich genug sind, zu
sagen, das rührt von dem Krieg her. Sie schieben die Vaga-
bondage auch nicht ihrer Gesetzgebung in die Schuhe, sondern
leiten sie theils von dem Krieg und theils von der wirthschaft-
lichen Krisis ab; und wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen

schwanken, Vorwärts- und Rückwärts-Gehen in der Wirthschafts-
Politik und dergleichen.

Vor Allem aber zeigt sich ein unverkennbarer Einfluß des
Krieges.

Wir sehen eine große Steigerung der Vagabondage während
des dreißigjährigen Krieges und nach demselben.

Desgleichen nach dem siebenjährigen Kriege.

In den Kriegsjahren zu Ende des vorigen Jahrhunderts
bilden sich, namentlich in dem südlichen und westlichen Deutsch-
land, große Vagabunden- und Räuberbanden; und erst der ganzen
Energie der französischen Verwaltung gelingt es, dieselben einiger-
maßen zu unterdrücken.

Als aber dort die Viel- und Kleinstaaterei wiederhergestellt
war, begann das Unwesen sein Haupt wieder zu erheben,
namentlich von den Theuerungsjahren ab, welche dadurch noch
eine Verschärfung erhielten, daß damals in Deutschland noch
die Zwischenzölle bestanden, so daß das Getreide in Posen nur
halb so viel kostete wie in der Rheinprovinz, aber nicht hin-
geführt wurde, weil die Zwischenzölle bestanden, die erst später,
1818, ganz beseitigt worden sind. Wenn Hr. v. Rauchhaupt im
Abgeordnetenhause sagt, daß die Vagabondage nicht von dem
Kriege herrühren könne, denn 1870/71 habe kein fremder Fuß
deutschen Boden betreten, so kann ich ihm als Exempel anfüh-
ren das Jahr 1859; da hat auch kein fremder Fuß deutschen
Boden betreten, gleichwohl hatten wir in Süd- und Westdeutsch-
land eine so grimmige Vagabondage, wie wir sie vorher und
nachher lange Zeit nicht erlebt haben, das kam eben von dem
italienischen Kriege, der seinen Wellenschlag bis dahin erstreckte.

Wir sehen also, daß die Ursachen der Vagabondage ganz
andere sind, als wie die Herren glauben, die sich darüber im
Abgeordnetenhause geäußert haben. Ich habe da noch eine
Menge Notizen über die gegenwärtige Vagabondage in Frank-
reich, sowie über die Schriftsteller, die sich darüber verbreitet
haben, die allgemein constatiren, daß seit 1871 dort die Vaga-
bondage sich verzehnfacht hat und die ehrlich genug sind, zu
sagen, das rührt von dem Krieg her. Sie schieben die Vaga-
bondage auch nicht ihrer Gesetzgebung in die Schuhe, sondern
leiten sie theils von dem Krieg und theils von der wirthschaft-
lichen Krisis ab; und wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen

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[34/0036] schwanken, Vorwärts- und Rückwärts-Gehen in der Wirthschafts- Politik und dergleichen. Vor Allem aber zeigt sich ein unverkennbarer Einfluß des Krieges. Wir sehen eine große Steigerung der Vagabondage während des dreißigjährigen Krieges und nach demselben. Desgleichen nach dem siebenjährigen Kriege. In den Kriegsjahren zu Ende des vorigen Jahrhunderts bilden sich, namentlich in dem südlichen und westlichen Deutsch- land, große Vagabunden- und Räuberbanden; und erst der ganzen Energie der französischen Verwaltung gelingt es, dieselben einiger- maßen zu unterdrücken. Als aber dort die Viel- und Kleinstaaterei wiederhergestellt war, begann das Unwesen sein Haupt wieder zu erheben, namentlich von den Theuerungsjahren ab, welche dadurch noch eine Verschärfung erhielten, daß damals in Deutschland noch die Zwischenzölle bestanden, so daß das Getreide in Posen nur halb so viel kostete wie in der Rheinprovinz, aber nicht hin- geführt wurde, weil die Zwischenzölle bestanden, die erst später, 1818, ganz beseitigt worden sind. Wenn Hr. v. Rauchhaupt im Abgeordnetenhause sagt, daß die Vagabondage nicht von dem Kriege herrühren könne, denn 1870/71 habe kein fremder Fuß deutschen Boden betreten, so kann ich ihm als Exempel anfüh- ren das Jahr 1859; da hat auch kein fremder Fuß deutschen Boden betreten, gleichwohl hatten wir in Süd- und Westdeutsch- land eine so grimmige Vagabondage, wie wir sie vorher und nachher lange Zeit nicht erlebt haben, das kam eben von dem italienischen Kriege, der seinen Wellenschlag bis dahin erstreckte. Wir sehen also, daß die Ursachen der Vagabondage ganz andere sind, als wie die Herren glauben, die sich darüber im Abgeordnetenhause geäußert haben. Ich habe da noch eine Menge Notizen über die gegenwärtige Vagabondage in Frank- reich, sowie über die Schriftsteller, die sich darüber verbreitet haben, die allgemein constatiren, daß seit 1871 dort die Vaga- bondage sich verzehnfacht hat und die ehrlich genug sind, zu sagen, das rührt von dem Krieg her. Sie schieben die Vaga- bondage auch nicht ihrer Gesetzgebung in die Schuhe, sondern leiten sie theils von dem Krieg und theils von der wirthschaft- lichen Krisis ab; und wenn wir ehrlich sein wollen, so müssen

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Zitationshilfe: Braun, Karl: Die Vagabundenfrage. Berlin, 1883, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_vagabundenfrage_1883/36>, abgerufen am 28.03.2024.