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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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des weiblichen Geschlechts vom männlichen, die des weiblichen
Proletariats vom Unternehmerthum zu lockern. So traten sie bei
den Berathungen des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Prinzip der
Gütergemeinschaft, d. h. dafür ein, daß das Vermögen der Ehefrau
dem Manne zur Verwaltung überliefert wird, ebenso für die Er-
schwerung der Ehescheidung und für jene allem gesunden Gefühl
widersprechende Bestimmung, wonach der Vater des unehelichen
Kindes als nicht mit ihm verwandt gilt, und die Mutter es zwar er-
ziehen, niemals aber sein Vormund werden darf. Sie sind die
schärfsten Gegner eines freien Vereins- und Versammlungsrechts
für die Frauen, sie stimmten gegen das Frauenwahlrecht für die
Gewerbegerichte, sie beantworteten jede Erwähnung des politischen
Wahlrechts für das weibliche Geschlecht mit Hohn und Spott, gerade
als ob für sie die Millionen Frauen nicht existirten, die im öffent-
lichen Kampf ums Dasein stehen genau wie der Mann. Und bei
alledem haben sie noch die Stirn, sich bei jeder Gelegenheit als die
einzigen Ritter des "schwachen Geschlechts" aufzuspielen.

Aber sie zeigen sich nicht nur als Gegner der Frauen, wo es
sich ausschließlich um Fraueninteressen handelt. Sie haben zwar
vielfach den Regierungsvorschlägen zugestimmt, soweit es sich um den
gesetzlichen Schutz der Jndustrie-Arbeiter handelte, weil sie glaubten,
der Entwickelung der Großindustrie, die ihnen, den Vertretern der
Landwirthschaft, des Agrarier- und des Junkerthums, ein Dorn im
Auge ist, einen Hemmschuh anzulegen, aber sie tragen die schwere
Verantwortung dafür, daß sich die leitenden Männer an die Aus-
dehnung des Arbeiterschutzes auf Landarbeiter und Dienstboten noch
nicht einmal heranwagten, und sie - über die Hälfte aller Arbeiter -
von den Vortheilen der obligatorischen Krankenversicherung, die
häuslichen Dienstboten sogar auch von der Unfallversicherung immer
noch abschließen. Daß die Unfall- und Jnvalidenversicherung diese
armen Stiefkinder der sozialpolitischen Gesetzgebung noch erreichte, ist
den Konservativen ein dauerndes Aergerniß und sie haben alle Hebel
in Bewegung gesetzt, diese "Last, die die Landwirthschaft nicht tragen
kann", von sich abzuschütteln. Wo ihr Vortheil in Betracht kommt,
da treten all ihre schönen Grundsätze in den Hintergrund. "Richtet
Euch nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Thaten" - das
gilt zu allererst im Hinblick auf sie. Sie reden von der Heiligkeit
des Familienlebens, während sie es thatsächlich zerstören helfen,
nicht nur indem sie die ländlichen Arbeiter - Weib und Mann -
zu endloser Arbeitszeit zwingen, so daß ihr Heim ihnen zur bloßen
Schlafstelle wird, sie sind auch die Fürsprecher der rücksichtslosen
Ausbeutung der Kinderarbeit, um ihretwillen machte das neue Kinder-
schutz-Gesetz vor der Landarbeit der Kinder Halt.

Aber damit nicht genug. Wenn es zum großen Theil die
Konservativen sind, durch deren Schuld die Gesinde-Ordnungen nach
wie vor bestehen und Dienstboten und Landarbeiter noch immer

des weiblichen Geschlechts vom männlichen, die des weiblichen
Proletariats vom Unternehmerthum zu lockern. So traten sie bei
den Berathungen des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Prinzip der
Gütergemeinschaft, d. h. dafür ein, daß das Vermögen der Ehefrau
dem Manne zur Verwaltung überliefert wird, ebenso für die Er-
schwerung der Ehescheidung und für jene allem gesunden Gefühl
widersprechende Bestimmung, wonach der Vater des unehelichen
Kindes als nicht mit ihm verwandt gilt, und die Mutter es zwar er-
ziehen, niemals aber sein Vormund werden darf. Sie sind die
schärfsten Gegner eines freien Vereins- und Versammlungsrechts
für die Frauen, sie stimmten gegen das Frauenwahlrecht für die
Gewerbegerichte, sie beantworteten jede Erwähnung des politischen
Wahlrechts für das weibliche Geschlecht mit Hohn und Spott, gerade
als ob für sie die Millionen Frauen nicht existirten, die im öffent-
lichen Kampf ums Dasein stehen genau wie der Mann. Und bei
alledem haben sie noch die Stirn, sich bei jeder Gelegenheit als die
einzigen Ritter des „schwachen Geschlechts“ aufzuspielen.

Aber sie zeigen sich nicht nur als Gegner der Frauen, wo es
sich ausschließlich um Fraueninteressen handelt. Sie haben zwar
vielfach den Regierungsvorschlägen zugestimmt, soweit es sich um den
gesetzlichen Schutz der Jndustrie-Arbeiter handelte, weil sie glaubten,
der Entwickelung der Großindustrie, die ihnen, den Vertretern der
Landwirthschaft, des Agrarier- und des Junkerthums, ein Dorn im
Auge ist, einen Hemmschuh anzulegen, aber sie tragen die schwere
Verantwortung dafür, daß sich die leitenden Männer an die Aus-
dehnung des Arbeiterschutzes auf Landarbeiter und Dienstboten noch
nicht einmal heranwagten, und sie – über die Hälfte aller Arbeiter –
von den Vortheilen der obligatorischen Krankenversicherung, die
häuslichen Dienstboten sogar auch von der Unfallversicherung immer
noch abschließen. Daß die Unfall- und Jnvalidenversicherung diese
armen Stiefkinder der sozialpolitischen Gesetzgebung noch erreichte, ist
den Konservativen ein dauerndes Aergerniß und sie haben alle Hebel
in Bewegung gesetzt, diese „Last, die die Landwirthschaft nicht tragen
kann“, von sich abzuschütteln. Wo ihr Vortheil in Betracht kommt,
da treten all ihre schönen Grundsätze in den Hintergrund. „Richtet
Euch nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Thaten“ – das
gilt zu allererst im Hinblick auf sie. Sie reden von der Heiligkeit
des Familienlebens, während sie es thatsächlich zerstören helfen,
nicht nur indem sie die ländlichen Arbeiter – Weib und Mann –
zu endloser Arbeitszeit zwingen, so daß ihr Heim ihnen zur bloßen
Schlafstelle wird, sie sind auch die Fürsprecher der rücksichtslosen
Ausbeutung der Kinderarbeit, um ihretwillen machte das neue Kinder-
schutz-Gesetz vor der Landarbeit der Kinder Halt.

Aber damit nicht genug. Wenn es zum großen Theil die
Konservativen sind, durch deren Schuld die Gesinde-Ordnungen nach
wie vor bestehen und Dienstboten und Landarbeiter noch immer

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[31/0030] des weiblichen Geschlechts vom männlichen, die des weiblichen Proletariats vom Unternehmerthum zu lockern. So traten sie bei den Berathungen des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Prinzip der Gütergemeinschaft, d. h. dafür ein, daß das Vermögen der Ehefrau dem Manne zur Verwaltung überliefert wird, ebenso für die Er- schwerung der Ehescheidung und für jene allem gesunden Gefühl widersprechende Bestimmung, wonach der Vater des unehelichen Kindes als nicht mit ihm verwandt gilt, und die Mutter es zwar er- ziehen, niemals aber sein Vormund werden darf. Sie sind die schärfsten Gegner eines freien Vereins- und Versammlungsrechts für die Frauen, sie stimmten gegen das Frauenwahlrecht für die Gewerbegerichte, sie beantworteten jede Erwähnung des politischen Wahlrechts für das weibliche Geschlecht mit Hohn und Spott, gerade als ob für sie die Millionen Frauen nicht existirten, die im öffent- lichen Kampf ums Dasein stehen genau wie der Mann. Und bei alledem haben sie noch die Stirn, sich bei jeder Gelegenheit als die einzigen Ritter des „schwachen Geschlechts“ aufzuspielen. Aber sie zeigen sich nicht nur als Gegner der Frauen, wo es sich ausschließlich um Fraueninteressen handelt. Sie haben zwar vielfach den Regierungsvorschlägen zugestimmt, soweit es sich um den gesetzlichen Schutz der Jndustrie-Arbeiter handelte, weil sie glaubten, der Entwickelung der Großindustrie, die ihnen, den Vertretern der Landwirthschaft, des Agrarier- und des Junkerthums, ein Dorn im Auge ist, einen Hemmschuh anzulegen, aber sie tragen die schwere Verantwortung dafür, daß sich die leitenden Männer an die Aus- dehnung des Arbeiterschutzes auf Landarbeiter und Dienstboten noch nicht einmal heranwagten, und sie – über die Hälfte aller Arbeiter – von den Vortheilen der obligatorischen Krankenversicherung, die häuslichen Dienstboten sogar auch von der Unfallversicherung immer noch abschließen. Daß die Unfall- und Jnvalidenversicherung diese armen Stiefkinder der sozialpolitischen Gesetzgebung noch erreichte, ist den Konservativen ein dauerndes Aergerniß und sie haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, diese „Last, die die Landwirthschaft nicht tragen kann“, von sich abzuschütteln. Wo ihr Vortheil in Betracht kommt, da treten all ihre schönen Grundsätze in den Hintergrund. „Richtet Euch nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Thaten“ – das gilt zu allererst im Hinblick auf sie. Sie reden von der Heiligkeit des Familienlebens, während sie es thatsächlich zerstören helfen, nicht nur indem sie die ländlichen Arbeiter – Weib und Mann – zu endloser Arbeitszeit zwingen, so daß ihr Heim ihnen zur bloßen Schlafstelle wird, sie sind auch die Fürsprecher der rücksichtslosen Ausbeutung der Kinderarbeit, um ihretwillen machte das neue Kinder- schutz-Gesetz vor der Landarbeit der Kinder Halt. Aber damit nicht genug. Wenn es zum großen Theil die Konservativen sind, durch deren Schuld die Gesinde-Ordnungen nach wie vor bestehen und Dienstboten und Landarbeiter noch immer

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/30>, abgerufen am 28.03.2024.