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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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rächt sich das Leben an ihr, denn Siechthum und Krankheit sind die
unzertrennlichen Gefährten der Prostitution. Sie werden auch auf
das unschuldige Weib übertragen, sie rauben ihm die Gesundheit,
sie machen es unfruchtbar oder vergiften schon das ungeborene Leben.
Jeder fünfte Mann in Deutschland, der mit 30 Jahren heirathet, ist,
nach der Versicherung ärztlicher Autoritäten, mit einer Geschlechts-
krankheit behaftet, durch die er Gattin und Kinder zu Grunde richten,
seine Nachkommen zu Verbrechern und Geisteskranken machen kann.
Die herrschende Gesellschaft aber schließt, sobald es sich um Ver-
mögensvortheile handelt, die Augen vor diesen Folgen und führt
immer neue Schaaren unglückseliger Mädchen und Frauen jenem
Heere zu, das mehr als Krieg, Hunger und Pestilenz Länder zerstört
und Völker vernichtet.

Die unseligen Wirkungen der Wucherpolitik sind aber damit
noch nicht erschöpft. Ein drohendes Schreckgespenst für jeden Arbeiter,
der die giftigen Dünste, den Staub und den Schmutz seiner Arbeits-
stätte einathmen muß, ist die Lungenschwindsucht. Alle Gelehrten
sind darüber einig, daß ihrer Ausbreitung kein besserer Damm
entgegengesetzt werden kann als eine den Forderungen der Hygiene
entsprechende Lebenslage, das heißt mit anderen Worten: helle,
geräumige Wohnungen und kräftige Kost. Beides können sich nur
die bestgestellten Arbeiter leisten, in Zukunft aber werden nicht
einmal diese dazu im Stande sein; die mörderische Krankheit, diese
Geißel des Proletariats, wird daher immer mehr Opfer fordern.
Dieses Schicksal droht Mann und Weib, es droht vor allem den
Kindern, deren Eltern davon betroffen wurden, und macht sie wider-
standsunfähig gegenüber den Gefahren des Lebens. Und doch ist
es eine einfache Forderung der Logik wie der Gerechtigkeit, daß
Menschen, die schon durch ihre Geburt zu einem Leben voll an-
dauernder harter Arbeit verurteilt sind, wenigstens mit all den
dafür nöthigen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet werden.

Es ist festgestellt worden, daß der Prozentsatz der Proletarier-
kinder, die im ersten Lebensjahre sterben, ein unvergleichlich höherer
ist als der der Kinder der wohlhabenden Bevölkerung. Das wird
Niemanden Wunder nehmen. Daß aber dieser traurige Zustand
nun noch gesteigert werden soll, muß jedes Weib vor allem auf das
Aeußerste empören; und er wird unzweifelhaft gesteigert, sobald die
hohen Lebensmittelzölle in Kraft treten. Denn je schlechter sich die
Mütter nähren, je mehr sie durch die Noth gezwungen sind, sich bis
zur Erschöpfung im Kampf ums Dasein abzurackern, desto mehr
wird ihre Fähigkeit, gesunde Kinder zu gebären, abnehmen und der
Lebensquell, den die Natur ihnen für sie mitgab, versiegen.

Giebt es wirklich eine Frau, die dann noch in ihrer Stumpfheit
und Jnteressenlosigkeit verharrt, wenn die Politik mit so rohen
Händen in das geheiligte Zentrum ihres Wesens, ihre Mutterliebe,
eingreift? Die weder durch die Schande ihrer Geschlechtsgenossinnen,

rächt sich das Leben an ihr, denn Siechthum und Krankheit sind die
unzertrennlichen Gefährten der Prostitution. Sie werden auch auf
das unschuldige Weib übertragen, sie rauben ihm die Gesundheit,
sie machen es unfruchtbar oder vergiften schon das ungeborene Leben.
Jeder fünfte Mann in Deutschland, der mit 30 Jahren heirathet, ist,
nach der Versicherung ärztlicher Autoritäten, mit einer Geschlechts-
krankheit behaftet, durch die er Gattin und Kinder zu Grunde richten,
seine Nachkommen zu Verbrechern und Geisteskranken machen kann.
Die herrschende Gesellschaft aber schließt, sobald es sich um Ver-
mögensvortheile handelt, die Augen vor diesen Folgen und führt
immer neue Schaaren unglückseliger Mädchen und Frauen jenem
Heere zu, das mehr als Krieg, Hunger und Pestilenz Länder zerstört
und Völker vernichtet.

Die unseligen Wirkungen der Wucherpolitik sind aber damit
noch nicht erschöpft. Ein drohendes Schreckgespenst für jeden Arbeiter,
der die giftigen Dünste, den Staub und den Schmutz seiner Arbeits-
stätte einathmen muß, ist die Lungenschwindsucht. Alle Gelehrten
sind darüber einig, daß ihrer Ausbreitung kein besserer Damm
entgegengesetzt werden kann als eine den Forderungen der Hygiene
entsprechende Lebenslage, das heißt mit anderen Worten: helle,
geräumige Wohnungen und kräftige Kost. Beides können sich nur
die bestgestellten Arbeiter leisten, in Zukunft aber werden nicht
einmal diese dazu im Stande sein; die mörderische Krankheit, diese
Geißel des Proletariats, wird daher immer mehr Opfer fordern.
Dieses Schicksal droht Mann und Weib, es droht vor allem den
Kindern, deren Eltern davon betroffen wurden, und macht sie wider-
standsunfähig gegenüber den Gefahren des Lebens. Und doch ist
es eine einfache Forderung der Logik wie der Gerechtigkeit, daß
Menschen, die schon durch ihre Geburt zu einem Leben voll an-
dauernder harter Arbeit verurteilt sind, wenigstens mit all den
dafür nöthigen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet werden.

Es ist festgestellt worden, daß der Prozentsatz der Proletarier-
kinder, die im ersten Lebensjahre sterben, ein unvergleichlich höherer
ist als der der Kinder der wohlhabenden Bevölkerung. Das wird
Niemanden Wunder nehmen. Daß aber dieser traurige Zustand
nun noch gesteigert werden soll, muß jedes Weib vor allem auf das
Aeußerste empören; und er wird unzweifelhaft gesteigert, sobald die
hohen Lebensmittelzölle in Kraft treten. Denn je schlechter sich die
Mütter nähren, je mehr sie durch die Noth gezwungen sind, sich bis
zur Erschöpfung im Kampf ums Dasein abzurackern, desto mehr
wird ihre Fähigkeit, gesunde Kinder zu gebären, abnehmen und der
Lebensquell, den die Natur ihnen für sie mitgab, versiegen.

Giebt es wirklich eine Frau, die dann noch in ihrer Stumpfheit
und Jnteressenlosigkeit verharrt, wenn die Politik mit so rohen
Händen in das geheiligte Zentrum ihres Wesens, ihre Mutterliebe,
eingreift? Die weder durch die Schande ihrer Geschlechtsgenossinnen,

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[29/0028] rächt sich das Leben an ihr, denn Siechthum und Krankheit sind die unzertrennlichen Gefährten der Prostitution. Sie werden auch auf das unschuldige Weib übertragen, sie rauben ihm die Gesundheit, sie machen es unfruchtbar oder vergiften schon das ungeborene Leben. Jeder fünfte Mann in Deutschland, der mit 30 Jahren heirathet, ist, nach der Versicherung ärztlicher Autoritäten, mit einer Geschlechts- krankheit behaftet, durch die er Gattin und Kinder zu Grunde richten, seine Nachkommen zu Verbrechern und Geisteskranken machen kann. Die herrschende Gesellschaft aber schließt, sobald es sich um Ver- mögensvortheile handelt, die Augen vor diesen Folgen und führt immer neue Schaaren unglückseliger Mädchen und Frauen jenem Heere zu, das mehr als Krieg, Hunger und Pestilenz Länder zerstört und Völker vernichtet. Die unseligen Wirkungen der Wucherpolitik sind aber damit noch nicht erschöpft. Ein drohendes Schreckgespenst für jeden Arbeiter, der die giftigen Dünste, den Staub und den Schmutz seiner Arbeits- stätte einathmen muß, ist die Lungenschwindsucht. Alle Gelehrten sind darüber einig, daß ihrer Ausbreitung kein besserer Damm entgegengesetzt werden kann als eine den Forderungen der Hygiene entsprechende Lebenslage, das heißt mit anderen Worten: helle, geräumige Wohnungen und kräftige Kost. Beides können sich nur die bestgestellten Arbeiter leisten, in Zukunft aber werden nicht einmal diese dazu im Stande sein; die mörderische Krankheit, diese Geißel des Proletariats, wird daher immer mehr Opfer fordern. Dieses Schicksal droht Mann und Weib, es droht vor allem den Kindern, deren Eltern davon betroffen wurden, und macht sie wider- standsunfähig gegenüber den Gefahren des Lebens. Und doch ist es eine einfache Forderung der Logik wie der Gerechtigkeit, daß Menschen, die schon durch ihre Geburt zu einem Leben voll an- dauernder harter Arbeit verurteilt sind, wenigstens mit all den dafür nöthigen Kräften und Fähigkeiten ausgestattet werden. Es ist festgestellt worden, daß der Prozentsatz der Proletarier- kinder, die im ersten Lebensjahre sterben, ein unvergleichlich höherer ist als der der Kinder der wohlhabenden Bevölkerung. Das wird Niemanden Wunder nehmen. Daß aber dieser traurige Zustand nun noch gesteigert werden soll, muß jedes Weib vor allem auf das Aeußerste empören; und er wird unzweifelhaft gesteigert, sobald die hohen Lebensmittelzölle in Kraft treten. Denn je schlechter sich die Mütter nähren, je mehr sie durch die Noth gezwungen sind, sich bis zur Erschöpfung im Kampf ums Dasein abzurackern, desto mehr wird ihre Fähigkeit, gesunde Kinder zu gebären, abnehmen und der Lebensquell, den die Natur ihnen für sie mitgab, versiegen. Giebt es wirklich eine Frau, die dann noch in ihrer Stumpfheit und Jnteressenlosigkeit verharrt, wenn die Politik mit so rohen Händen in das geheiligte Zentrum ihres Wesens, ihre Mutterliebe, eingreift? Die weder durch die Schande ihrer Geschlechtsgenossinnen,

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-08-30T16:52:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-08-30T16:52:29Z)

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/28>, abgerufen am 20.04.2024.