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Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903.

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Streitigkeiten mit den Unternehmern ebenso zum Austrag gelangen
sollen, wie die der männlichen Arbeiter, können sie weder wählen,
noch gewählt werden. Ebenso wenig zu den Gemeindevertretungen,
deren Verhandlungen und Beschlüsse mindestens ebenso nahe die
Jnteressen der Frauen berühren, als die der Männer. Wie für die
Gesundheit gesorgt, wie Kranke und Arme gepflegt, welche Steuern
erhoben werden - das Alles ist für die Frauen von größter Wichtig-
keit. Und von welch einschneidender Bedeutung für die Mütter des
Volkes sind alle Fragen, die das Wohl und die körperliche und
geistige Erziehung der Kinder berühren! Gäbe es keine anderen
als diese Fragen, zu deren Entscheidung die Frauen fähig wären,
so müßten sie allein ihretwegen in den städtischen Verwaltungen
Sitz und Stimme haben. Wer kann es besser als die Mutter be-
urtheilen, was dem Kinde noth thut, wer empfindet es schmerzlicher
als sie, wenn es unter schlechten Schulverhältnissen leidet, wer hat
mehr Liebe, mehr Kraft, mehr Ueberlegung als eine Mutter, wenn
es gilt, ihren Lieblingen eine glückliche, ungefährdete Jugend zu
sichern?

Die Volksvertretungen ihres engeren Vaterlandes, die Land-
tage, sind von nicht geringerem Einfluß auf ihre Existenzbedingungen
und die ihrer Kinder. Vor allem kann es ihr nicht einerlei sein, ob
sie sich in der Hauptsache aus Leuten zusammensetzen, die kraft der
Macht des Geldsackes auf Grund des Dreiklassen-Wahlrechts ge-
wählt wurden, oder nicht. Sie kann nicht gleichgültig bleiben, wenn
sie sieht, daß Werth und Bedeutung der Jnteressen nach diesem
Maßstab gemessen werden; sie kann nicht ruhig zusehen, wenn die
Stimme eines Mannes, dessen einziger Vorzug vielleicht darin be-
steht, daß er Hunderttausende von seinem Vater ererbte, mehr
gilt als die des Arbeiters, der von früh bis spät im Schweiße seines
Angesichts sein Brot verdient.

Je weiter der Machtbereich der gesetzgebenden Körperschaften
gesteckt ist, desto stärker muß ihre Antheilnahme an ihrer Zusammen-
setzung und ihren Leistungen wachsen. Der Reichstag bestimmt in
letzter Linie über Recht und Gesetz, über Steuern und Zölle. Nur
die Frauen, die den Reichthum der Nation schaffen helfen, die kraft
ihrer Arbeit zu selbständigen Bürgern des Staates wurden, sind
rechtlos auch hier. Länder jüngerer Kultur - Amerika, Australien -
haben ihnen die Bürgerrechte zuerkannt. Europa, in seinem grauen
Alter, fürchtet alle Neuerungen; es träumt noch von den Frauen von
einst: den Fürstendirnen, die von den Hintertreppen und Schlaf-
zimmern aus die Fäden der Politik in Händen hielten, den
Sklavinnen, die wort- und willenlos alle Lasten der Menschheit
schleppten, den guten Hausmütterchen, deren Gedanken und deren
Arbeit über Keller und Küche, Haus und Hof nicht hinausgingen.
An uns ist's, an uns Frauen, daß es vollends wach werde, wir
haben den Sturm mit zu entfachen, der ihm den Staub der Jahr-

Streitigkeiten mit den Unternehmern ebenso zum Austrag gelangen
sollen, wie die der männlichen Arbeiter, können sie weder wählen,
noch gewählt werden. Ebenso wenig zu den Gemeindevertretungen,
deren Verhandlungen und Beschlüsse mindestens ebenso nahe die
Jnteressen der Frauen berühren, als die der Männer. Wie für die
Gesundheit gesorgt, wie Kranke und Arme gepflegt, welche Steuern
erhoben werden – das Alles ist für die Frauen von größter Wichtig-
keit. Und von welch einschneidender Bedeutung für die Mütter des
Volkes sind alle Fragen, die das Wohl und die körperliche und
geistige Erziehung der Kinder berühren! Gäbe es keine anderen
als diese Fragen, zu deren Entscheidung die Frauen fähig wären,
so müßten sie allein ihretwegen in den städtischen Verwaltungen
Sitz und Stimme haben. Wer kann es besser als die Mutter be-
urtheilen, was dem Kinde noth thut, wer empfindet es schmerzlicher
als sie, wenn es unter schlechten Schulverhältnissen leidet, wer hat
mehr Liebe, mehr Kraft, mehr Ueberlegung als eine Mutter, wenn
es gilt, ihren Lieblingen eine glückliche, ungefährdete Jugend zu
sichern?

Die Volksvertretungen ihres engeren Vaterlandes, die Land-
tage, sind von nicht geringerem Einfluß auf ihre Existenzbedingungen
und die ihrer Kinder. Vor allem kann es ihr nicht einerlei sein, ob
sie sich in der Hauptsache aus Leuten zusammensetzen, die kraft der
Macht des Geldsackes auf Grund des Dreiklassen-Wahlrechts ge-
wählt wurden, oder nicht. Sie kann nicht gleichgültig bleiben, wenn
sie sieht, daß Werth und Bedeutung der Jnteressen nach diesem
Maßstab gemessen werden; sie kann nicht ruhig zusehen, wenn die
Stimme eines Mannes, dessen einziger Vorzug vielleicht darin be-
steht, daß er Hunderttausende von seinem Vater ererbte, mehr
gilt als die des Arbeiters, der von früh bis spät im Schweiße seines
Angesichts sein Brot verdient.

Je weiter der Machtbereich der gesetzgebenden Körperschaften
gesteckt ist, desto stärker muß ihre Antheilnahme an ihrer Zusammen-
setzung und ihren Leistungen wachsen. Der Reichstag bestimmt in
letzter Linie über Recht und Gesetz, über Steuern und Zölle. Nur
die Frauen, die den Reichthum der Nation schaffen helfen, die kraft
ihrer Arbeit zu selbständigen Bürgern des Staates wurden, sind
rechtlos auch hier. Länder jüngerer Kultur – Amerika, Australien –
haben ihnen die Bürgerrechte zuerkannt. Europa, in seinem grauen
Alter, fürchtet alle Neuerungen; es träumt noch von den Frauen von
einst: den Fürstendirnen, die von den Hintertreppen und Schlaf-
zimmern aus die Fäden der Politik in Händen hielten, den
Sklavinnen, die wort- und willenlos alle Lasten der Menschheit
schleppten, den guten Hausmütterchen, deren Gedanken und deren
Arbeit über Keller und Küche, Haus und Hof nicht hinausgingen.
An uns ist's, an uns Frauen, daß es vollends wach werde, wir
haben den Sturm mit zu entfachen, der ihm den Staub der Jahr-

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[14/0013] Streitigkeiten mit den Unternehmern ebenso zum Austrag gelangen sollen, wie die der männlichen Arbeiter, können sie weder wählen, noch gewählt werden. Ebenso wenig zu den Gemeindevertretungen, deren Verhandlungen und Beschlüsse mindestens ebenso nahe die Jnteressen der Frauen berühren, als die der Männer. Wie für die Gesundheit gesorgt, wie Kranke und Arme gepflegt, welche Steuern erhoben werden – das Alles ist für die Frauen von größter Wichtig- keit. Und von welch einschneidender Bedeutung für die Mütter des Volkes sind alle Fragen, die das Wohl und die körperliche und geistige Erziehung der Kinder berühren! Gäbe es keine anderen als diese Fragen, zu deren Entscheidung die Frauen fähig wären, so müßten sie allein ihretwegen in den städtischen Verwaltungen Sitz und Stimme haben. Wer kann es besser als die Mutter be- urtheilen, was dem Kinde noth thut, wer empfindet es schmerzlicher als sie, wenn es unter schlechten Schulverhältnissen leidet, wer hat mehr Liebe, mehr Kraft, mehr Ueberlegung als eine Mutter, wenn es gilt, ihren Lieblingen eine glückliche, ungefährdete Jugend zu sichern? Die Volksvertretungen ihres engeren Vaterlandes, die Land- tage, sind von nicht geringerem Einfluß auf ihre Existenzbedingungen und die ihrer Kinder. Vor allem kann es ihr nicht einerlei sein, ob sie sich in der Hauptsache aus Leuten zusammensetzen, die kraft der Macht des Geldsackes auf Grund des Dreiklassen-Wahlrechts ge- wählt wurden, oder nicht. Sie kann nicht gleichgültig bleiben, wenn sie sieht, daß Werth und Bedeutung der Jnteressen nach diesem Maßstab gemessen werden; sie kann nicht ruhig zusehen, wenn die Stimme eines Mannes, dessen einziger Vorzug vielleicht darin be- steht, daß er Hunderttausende von seinem Vater ererbte, mehr gilt als die des Arbeiters, der von früh bis spät im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdient. Je weiter der Machtbereich der gesetzgebenden Körperschaften gesteckt ist, desto stärker muß ihre Antheilnahme an ihrer Zusammen- setzung und ihren Leistungen wachsen. Der Reichstag bestimmt in letzter Linie über Recht und Gesetz, über Steuern und Zölle. Nur die Frauen, die den Reichthum der Nation schaffen helfen, die kraft ihrer Arbeit zu selbständigen Bürgern des Staates wurden, sind rechtlos auch hier. Länder jüngerer Kultur – Amerika, Australien – haben ihnen die Bürgerrechte zuerkannt. Europa, in seinem grauen Alter, fürchtet alle Neuerungen; es träumt noch von den Frauen von einst: den Fürstendirnen, die von den Hintertreppen und Schlaf- zimmern aus die Fäden der Politik in Händen hielten, den Sklavinnen, die wort- und willenlos alle Lasten der Menschheit schleppten, den guten Hausmütterchen, deren Gedanken und deren Arbeit über Keller und Küche, Haus und Hof nicht hinausgingen. An uns ist's, an uns Frauen, daß es vollends wach werde, wir haben den Sturm mit zu entfachen, der ihm den Staub der Jahr-  

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Zitationshilfe: Braun, Lily: Die Frauen und die Politik. Berlin, 1903, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braun_frauen_1903/13>, abgerufen am 24.11.2024.