Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

ganz nahe an einander anliegen dürfen, und es ist leicht zu über-
sehen, wie man (Fig. 161.) den Drath LM bei M krümmen und
in hinreichender bedeutender Entfernung hinauf leiten, dann dicht
neben LM wieder herableiten und dies mehrmals wiederholen
könnte, um in LM einen vervielfachten herabgehenden Strom zu
erhalten. Dieser Strom übt eine verstärkte Wirkung aus; da-
gegen verliert der Strom alle Kraft, wenn man ihn von L nach M
herab und nahe an LM anliegend von M nach L hinauf leiten
wollte, woraus dann zugleich erhellt, daß die anziehende Kraft
paralleler gleichlaufender Ströme genau so groß ist als die abstoßende
Kraft paralleler entgegengesetzter Ströme.

Hieraus erhellt die Möglichkeit, einem electrischen Strome
seine Wirksamkeit nach gewissen Richtungen ganz zu rauben, wäh-
rend sie in anderer Beziehung fortbesteht. Ist zum Beispiel (Fig.
168.
) AB ein Leitungsdrath, dessen Krümmungen alle in einer
Ebne liegen, so geht der Strom in AC eben so weit rechts als in
CD links, und da diese Ströme einander sehr nahe und entgegen-
gesetzt sind, so würden sie zusammen auf einen neben ihnen hori-
zontal vorbei fließenden Strom gar keine Wirkung der Anziehung
oder Abstoßung ausüben; aber da der Strom in diesen Krümmun-
gen von A nach D herabwärts gelangt, so wird ein verticaler,
gleichfalls herabwärts gehender Strom keinesweges unwirksam sein,
sondern diese Ströme ziehen sich an. Daß diese letztere Wirkung
eben so statt finde, als ob der Strom vertical von A nach D herab-
ginge, hat Ampere durch einen eignen Versuch nachgewiesen, in-
dem er einen graden verticalen Strom, der, wie CD Fig. 161,
beweglich war, zwischen zwei verticalen Strömen aufstellte, deren
einer grade herab ging, der andre sich in einer Ebne hin und her
krümmte, welche senkrecht gegen die Ebne war, in der die zwei
graden Ströme und die Hauptrichtung des gekrümmten lagen.
Hier fand er, daß der grade Strom an der einen Seite und der
eben so entfernte, gekrümmte Strom an der andern Seite mit
gleicher Kraft auf den beweglichen Strom einwirkten, so daß dieser
nach keiner Seite angezogen ward. Dieser Versuch führte zu dem
Satze, daß die Wirkung der electrischen Ströme genau eben so sich
zerlegen lasse, wie es die Statik von andern Kräften lehrt, daß
nämlich ein (Fig. 165.) von A nach C fließender Strom so wirke,

ganz nahe an einander anliegen duͤrfen, und es iſt leicht zu uͤber-
ſehen, wie man (Fig. 161.) den Drath LM bei M kruͤmmen und
in hinreichender bedeutender Entfernung hinauf leiten, dann dicht
neben LM wieder herableiten und dies mehrmals wiederholen
koͤnnte, um in LM einen vervielfachten herabgehenden Strom zu
erhalten. Dieſer Strom uͤbt eine verſtaͤrkte Wirkung aus; da-
gegen verliert der Strom alle Kraft, wenn man ihn von L nach M
herab und nahe an LM anliegend von M nach L hinauf leiten
wollte, woraus dann zugleich erhellt, daß die anziehende Kraft
paralleler gleichlaufender Stroͤme genau ſo groß iſt als die abſtoßende
Kraft paralleler entgegengeſetzter Stroͤme.

Hieraus erhellt die Moͤglichkeit, einem electriſchen Strome
ſeine Wirkſamkeit nach gewiſſen Richtungen ganz zu rauben, waͤh-
rend ſie in anderer Beziehung fortbeſteht. Iſt zum Beiſpiel (Fig.
168.
) AB ein Leitungsdrath, deſſen Kruͤmmungen alle in einer
Ebne liegen, ſo geht der Strom in AC eben ſo weit rechts als in
CD links, und da dieſe Stroͤme einander ſehr nahe und entgegen-
geſetzt ſind, ſo wuͤrden ſie zuſammen auf einen neben ihnen hori-
zontal vorbei fließenden Strom gar keine Wirkung der Anziehung
oder Abſtoßung ausuͤben; aber da der Strom in dieſen Kruͤmmun-
gen von A nach D herabwaͤrts gelangt, ſo wird ein verticaler,
gleichfalls herabwaͤrts gehender Strom keinesweges unwirkſam ſein,
ſondern dieſe Stroͤme ziehen ſich an. Daß dieſe letztere Wirkung
eben ſo ſtatt finde, als ob der Strom vertical von A nach D herab-
ginge, hat Ampère durch einen eignen Verſuch nachgewieſen, in-
dem er einen graden verticalen Strom, der, wie CD Fig. 161,
beweglich war, zwiſchen zwei verticalen Stroͤmen aufſtellte, deren
einer grade herab ging, der andre ſich in einer Ebne hin und her
kruͤmmte, welche ſenkrecht gegen die Ebne war, in der die zwei
graden Stroͤme und die Hauptrichtung des gekruͤmmten lagen.
Hier fand er, daß der grade Strom an der einen Seite und der
eben ſo entfernte, gekruͤmmte Strom an der andern Seite mit
gleicher Kraft auf den beweglichen Strom einwirkten, ſo daß dieſer
nach keiner Seite angezogen ward. Dieſer Verſuch fuͤhrte zu dem
Satze, daß die Wirkung der electriſchen Stroͤme genau eben ſo ſich
zerlegen laſſe, wie es die Statik von andern Kraͤften lehrt, daß
naͤmlich ein (Fig. 165.) von A nach C fließender Strom ſo wirke,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0498" n="484"/>
ganz nahe an einander anliegen du&#x0364;rfen, und es i&#x017F;t leicht zu u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;ehen, wie man (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig. 161.</hi></hi>) den Drath <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">LM</hi></hi> bei <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">M</hi></hi> kru&#x0364;mmen und<lb/>
in hinreichender bedeutender Entfernung hinauf leiten, dann dicht<lb/>
neben <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">LM</hi></hi> wieder herableiten und dies mehrmals wiederholen<lb/>
ko&#x0364;nnte, um in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">LM</hi></hi> einen vervielfachten herabgehenden Strom zu<lb/>
erhalten. Die&#x017F;er Strom u&#x0364;bt eine ver&#x017F;ta&#x0364;rkte Wirkung aus; da-<lb/>
gegen verliert der Strom alle Kraft, wenn man ihn von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">L</hi></hi> nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">M</hi></hi><lb/>
herab und nahe an <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">LM</hi></hi> anliegend von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">M</hi></hi> nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">L</hi></hi> hinauf leiten<lb/>
wollte, woraus dann zugleich erhellt, daß die anziehende Kraft<lb/>
paralleler gleichlaufender Stro&#x0364;me genau &#x017F;o groß i&#x017F;t als die ab&#x017F;toßende<lb/>
Kraft paralleler entgegenge&#x017F;etzter Stro&#x0364;me.</p><lb/>
          <p>Hieraus erhellt die Mo&#x0364;glichkeit, einem electri&#x017F;chen Strome<lb/>
&#x017F;eine Wirk&#x017F;amkeit nach gewi&#x017F;&#x017F;en Richtungen ganz zu rauben, wa&#x0364;h-<lb/>
rend &#x017F;ie in anderer Beziehung fortbe&#x017F;teht. I&#x017F;t zum Bei&#x017F;piel (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig.<lb/>
168.</hi></hi>) <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">AB</hi></hi> ein Leitungsdrath, de&#x017F;&#x017F;en Kru&#x0364;mmungen alle in <hi rendition="#g">einer</hi><lb/>
Ebne liegen, &#x017F;o geht der Strom in <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">AC</hi></hi> eben &#x017F;o weit rechts als in<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">CD</hi></hi> links, und da die&#x017F;e Stro&#x0364;me einander &#x017F;ehr nahe und entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzt &#x017F;ind, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie zu&#x017F;ammen auf einen neben ihnen hori-<lb/>
zontal vorbei fließenden Strom gar keine Wirkung der Anziehung<lb/>
oder Ab&#x017F;toßung ausu&#x0364;ben; aber da der Strom in die&#x017F;en Kru&#x0364;mmun-<lb/>
gen von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">A</hi></hi> nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">D</hi></hi> herabwa&#x0364;rts gelangt, &#x017F;o wird ein verticaler,<lb/>
gleichfalls herabwa&#x0364;rts gehender Strom keinesweges unwirk&#x017F;am &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;ondern die&#x017F;e Stro&#x0364;me ziehen &#x017F;ich an. Daß die&#x017F;e letztere Wirkung<lb/>
eben &#x017F;o &#x017F;tatt finde, als ob der Strom vertical von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">A</hi></hi> nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">D</hi></hi> herab-<lb/>
ginge, hat <hi rendition="#g">Ampère</hi> durch einen eignen Ver&#x017F;uch nachgewie&#x017F;en, in-<lb/>
dem er einen graden verticalen Strom, der, wie <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">CD Fig. 161</hi></hi>,<lb/>
beweglich war, zwi&#x017F;chen zwei verticalen Stro&#x0364;men auf&#x017F;tellte, deren<lb/>
einer grade herab ging, der andre &#x017F;ich in einer Ebne hin und her<lb/>
kru&#x0364;mmte, welche &#x017F;enkrecht gegen die Ebne war, in der die zwei<lb/>
graden Stro&#x0364;me und die Hauptrichtung des gekru&#x0364;mmten lagen.<lb/>
Hier fand er, daß der grade Strom an der einen Seite und der<lb/>
eben &#x017F;o entfernte, gekru&#x0364;mmte Strom an der andern Seite mit<lb/>
gleicher Kraft auf den beweglichen Strom einwirkten, &#x017F;o daß die&#x017F;er<lb/>
nach keiner Seite angezogen ward. Die&#x017F;er Ver&#x017F;uch fu&#x0364;hrte zu dem<lb/>
Satze, daß die Wirkung der electri&#x017F;chen Stro&#x0364;me genau eben &#x017F;o &#x017F;ich<lb/>
zerlegen la&#x017F;&#x017F;e, wie es die Statik von andern Kra&#x0364;ften lehrt, daß<lb/>
na&#x0364;mlich ein (<hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">Fig. 165.</hi></hi>) von <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">A</hi></hi> nach <hi rendition="#aq"><hi rendition="#b">C</hi></hi> fließender Strom &#x017F;o wirke,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[484/0498] ganz nahe an einander anliegen duͤrfen, und es iſt leicht zu uͤber- ſehen, wie man (Fig. 161.) den Drath LM bei M kruͤmmen und in hinreichender bedeutender Entfernung hinauf leiten, dann dicht neben LM wieder herableiten und dies mehrmals wiederholen koͤnnte, um in LM einen vervielfachten herabgehenden Strom zu erhalten. Dieſer Strom uͤbt eine verſtaͤrkte Wirkung aus; da- gegen verliert der Strom alle Kraft, wenn man ihn von L nach M herab und nahe an LM anliegend von M nach L hinauf leiten wollte, woraus dann zugleich erhellt, daß die anziehende Kraft paralleler gleichlaufender Stroͤme genau ſo groß iſt als die abſtoßende Kraft paralleler entgegengeſetzter Stroͤme. Hieraus erhellt die Moͤglichkeit, einem electriſchen Strome ſeine Wirkſamkeit nach gewiſſen Richtungen ganz zu rauben, waͤh- rend ſie in anderer Beziehung fortbeſteht. Iſt zum Beiſpiel (Fig. 168.) AB ein Leitungsdrath, deſſen Kruͤmmungen alle in einer Ebne liegen, ſo geht der Strom in AC eben ſo weit rechts als in CD links, und da dieſe Stroͤme einander ſehr nahe und entgegen- geſetzt ſind, ſo wuͤrden ſie zuſammen auf einen neben ihnen hori- zontal vorbei fließenden Strom gar keine Wirkung der Anziehung oder Abſtoßung ausuͤben; aber da der Strom in dieſen Kruͤmmun- gen von A nach D herabwaͤrts gelangt, ſo wird ein verticaler, gleichfalls herabwaͤrts gehender Strom keinesweges unwirkſam ſein, ſondern dieſe Stroͤme ziehen ſich an. Daß dieſe letztere Wirkung eben ſo ſtatt finde, als ob der Strom vertical von A nach D herab- ginge, hat Ampère durch einen eignen Verſuch nachgewieſen, in- dem er einen graden verticalen Strom, der, wie CD Fig. 161, beweglich war, zwiſchen zwei verticalen Stroͤmen aufſtellte, deren einer grade herab ging, der andre ſich in einer Ebne hin und her kruͤmmte, welche ſenkrecht gegen die Ebne war, in der die zwei graden Stroͤme und die Hauptrichtung des gekruͤmmten lagen. Hier fand er, daß der grade Strom an der einen Seite und der eben ſo entfernte, gekruͤmmte Strom an der andern Seite mit gleicher Kraft auf den beweglichen Strom einwirkten, ſo daß dieſer nach keiner Seite angezogen ward. Dieſer Verſuch fuͤhrte zu dem Satze, daß die Wirkung der electriſchen Stroͤme genau eben ſo ſich zerlegen laſſe, wie es die Statik von andern Kraͤften lehrt, daß naͤmlich ein (Fig. 165.) von A nach C fließender Strom ſo wirke,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/498
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1832, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre03_1832/498>, abgerufen am 22.11.2024.