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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831.

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Die Bildung der Salzcrystalle, sie mögen nun beim Ab-
dampfen, oder beim Erkalten in den Fällen, wo die kalte Auflösung
nicht so viel Salz als die warme Auflösung enthält, entstehen, ist
im Allgemeinen bekannt genug. Die Crystalle bilden sich desto
größer aus, je langsamer die Zurückführung in den festen Zu-
stand statt findet, und je mehr die Flüssigkeit dabei in Ruhe bleibt.
Merkwürdig ist dabei, daß, so weit unsere Beobachtungen gehen,
die Gestalt der Crystalle gleich vom kleinsten Anfange an dieselbe
ist, wie bei der nachherigen Vergrößerung, und daß man die
Ausbildung dieser Form selbst unter dem Microscop nicht eigentlich
verfolgen kann.

Welche Kräfte wir uns hier als wirkend denken müssen, was
für Eigenschaften die kleinsten Theilchen besitzen müssen, um sich
gerade in so bestimmter Ordnung an einander anzulegen, das scheint
dem Scharfsinn der Naturforscher noch ganz und gar ein Räthsel
zu sein. Es ist offenbar, daß wir die ganze Natur der festen
Körper, die Ursache ihrer mannigfaltigen Bildung, den Grund ihres
in gewissen Richtungen größern, in andern Richtungen geringern
Zusammenhanges verstehen würden, wenn wir eine Einsicht in die
Wirkungs-Art dieser Kräfte besäßen.

Aber selbst über das näher liegende, über die verschiedenen
Formen, die bei der Crystallisirung statt finden, über die systema-
tische Uebersicht dieser Crystallformen u. s. w. kann ich Sie hier
nicht unterhalten, weil der Gegenstand viel zu weitläufig ist, um
hier eingeschaltet zu werden, und in der That die Crystallographie
zu einer ziemlich schwer zu übersehenden, ausgedehnten Wissenschaft
geworden ist. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, die
Haüy zuerst als Begründung einer vollkommenen Crystallographie
gemacht hat, daß aus einerlei Grundform sehr ungleiche Crystalle
durch bloße Zusammensetzung aus jener Grundform hervorgehen
können.

Die Crystalle lassen sich in gewissen Richtungen sehr leicht,
in andern Richtungen schwer zerlegen, und bieten daher natürliche
Durchgangsschichten dar. Wenn man diese Blättchen nach und
nach abhebt, so findet man sie nicht allemal den Seitenflächen
parallel, sondern sie können zum Beispiel bei einem pyramidalisch
zugespitzten Theile gar wohl gegen die Axe dieser Pyramide senkrecht

Die Bildung der Salzcryſtalle, ſie moͤgen nun beim Ab-
dampfen, oder beim Erkalten in den Faͤllen, wo die kalte Aufloͤſung
nicht ſo viel Salz als die warme Aufloͤſung enthaͤlt, entſtehen, iſt
im Allgemeinen bekannt genug. Die Cryſtalle bilden ſich deſto
groͤßer aus, je langſamer die Zuruͤckfuͤhrung in den feſten Zu-
ſtand ſtatt findet, und je mehr die Fluͤſſigkeit dabei in Ruhe bleibt.
Merkwuͤrdig iſt dabei, daß, ſo weit unſere Beobachtungen gehen,
die Geſtalt der Cryſtalle gleich vom kleinſten Anfange an dieſelbe
iſt, wie bei der nachherigen Vergroͤßerung, und daß man die
Ausbildung dieſer Form ſelbſt unter dem Microſcop nicht eigentlich
verfolgen kann.

Welche Kraͤfte wir uns hier als wirkend denken muͤſſen, was
fuͤr Eigenſchaften die kleinſten Theilchen beſitzen muͤſſen, um ſich
gerade in ſo beſtimmter Ordnung an einander anzulegen, das ſcheint
dem Scharfſinn der Naturforſcher noch ganz und gar ein Raͤthſel
zu ſein. Es iſt offenbar, daß wir die ganze Natur der feſten
Koͤrper, die Urſache ihrer mannigfaltigen Bildung, den Grund ihres
in gewiſſen Richtungen groͤßern, in andern Richtungen geringern
Zuſammenhanges verſtehen wuͤrden, wenn wir eine Einſicht in die
Wirkungs-Art dieſer Kraͤfte beſaͤßen.

Aber ſelbſt uͤber das naͤher liegende, uͤber die verſchiedenen
Formen, die bei der Cryſtalliſirung ſtatt finden, uͤber die ſyſtema-
tiſche Ueberſicht dieſer Cryſtallformen u. ſ. w. kann ich Sie hier
nicht unterhalten, weil der Gegenſtand viel zu weitlaͤufig iſt, um
hier eingeſchaltet zu werden, und in der That die Cryſtallographie
zu einer ziemlich ſchwer zu uͤberſehenden, ausgedehnten Wiſſenſchaft
geworden iſt. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, die
Hauͤy zuerſt als Begruͤndung einer vollkommenen Cryſtallographie
gemacht hat, daß aus einerlei Grundform ſehr ungleiche Cryſtalle
durch bloße Zuſammenſetzung aus jener Grundform hervorgehen
koͤnnen.

Die Cryſtalle laſſen ſich in gewiſſen Richtungen ſehr leicht,
in andern Richtungen ſchwer zerlegen, und bieten daher natuͤrliche
Durchgangsſchichten dar. Wenn man dieſe Blaͤttchen nach und
nach abhebt, ſo findet man ſie nicht allemal den Seitenflaͤchen
parallel, ſondern ſie koͤnnen zum Beiſpiel bei einem pyramidaliſch
zugeſpitzten Theile gar wohl gegen die Axe dieſer Pyramide ſenkrecht

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[40/0054] Die Bildung der Salzcryſtalle, ſie moͤgen nun beim Ab- dampfen, oder beim Erkalten in den Faͤllen, wo die kalte Aufloͤſung nicht ſo viel Salz als die warme Aufloͤſung enthaͤlt, entſtehen, iſt im Allgemeinen bekannt genug. Die Cryſtalle bilden ſich deſto groͤßer aus, je langſamer die Zuruͤckfuͤhrung in den feſten Zu- ſtand ſtatt findet, und je mehr die Fluͤſſigkeit dabei in Ruhe bleibt. Merkwuͤrdig iſt dabei, daß, ſo weit unſere Beobachtungen gehen, die Geſtalt der Cryſtalle gleich vom kleinſten Anfange an dieſelbe iſt, wie bei der nachherigen Vergroͤßerung, und daß man die Ausbildung dieſer Form ſelbſt unter dem Microſcop nicht eigentlich verfolgen kann. Welche Kraͤfte wir uns hier als wirkend denken muͤſſen, was fuͤr Eigenſchaften die kleinſten Theilchen beſitzen muͤſſen, um ſich gerade in ſo beſtimmter Ordnung an einander anzulegen, das ſcheint dem Scharfſinn der Naturforſcher noch ganz und gar ein Raͤthſel zu ſein. Es iſt offenbar, daß wir die ganze Natur der feſten Koͤrper, die Urſache ihrer mannigfaltigen Bildung, den Grund ihres in gewiſſen Richtungen groͤßern, in andern Richtungen geringern Zuſammenhanges verſtehen wuͤrden, wenn wir eine Einſicht in die Wirkungs-Art dieſer Kraͤfte beſaͤßen. Aber ſelbſt uͤber das naͤher liegende, uͤber die verſchiedenen Formen, die bei der Cryſtalliſirung ſtatt finden, uͤber die ſyſtema- tiſche Ueberſicht dieſer Cryſtallformen u. ſ. w. kann ich Sie hier nicht unterhalten, weil der Gegenſtand viel zu weitlaͤufig iſt, um hier eingeſchaltet zu werden, und in der That die Cryſtallographie zu einer ziemlich ſchwer zu uͤberſehenden, ausgedehnten Wiſſenſchaft geworden iſt. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, die Hauͤy zuerſt als Begruͤndung einer vollkommenen Cryſtallographie gemacht hat, daß aus einerlei Grundform ſehr ungleiche Cryſtalle durch bloße Zuſammenſetzung aus jener Grundform hervorgehen koͤnnen. Die Cryſtalle laſſen ſich in gewiſſen Richtungen ſehr leicht, in andern Richtungen ſchwer zerlegen, und bieten daher natuͤrliche Durchgangsſchichten dar. Wenn man dieſe Blaͤttchen nach und nach abhebt, ſo findet man ſie nicht allemal den Seitenflaͤchen parallel, ſondern ſie koͤnnen zum Beiſpiel bei einem pyramidaliſch zugeſpitzten Theile gar wohl gegen die Axe dieſer Pyramide ſenkrecht

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1831, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre02_1831/54>, abgerufen am 11.05.2024.