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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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würde uns entgleitend aus den Händen fallen; wir bemerken dies
an sehr glatten Körpern, die wir nur durch heftiges Zusammendrücken
der Finger erhalten, weil, wenn die Reibung vielleicht nur ein Zwölf-
tel der drückenden Kraft beträgt, meine Finger mit 12 Pfund Kraft
drücken müssen, um 1 Pfund zu erhalten, statt daß ich da, wo die
Reibung ein Drittel der drückenden Kraft betrüge, mit drei Pfund
Kraft ausreichte. -- Diese Schwierigkeit, einen hinreichend großen
Druck auszuüben, und so die Reibung hinreichend zu vermehren, ist
es, wodurch das Hinaufklettern an dem Stamme eines Baums,
den man mit Armen und Beinen fest umklammert, so schwer und
nur dem möglich wird, der viele Kraft besitzt; er muß nämlich einen
so großen Druck ausüben, daß die daraus hervorgehende, bei einem
glatten Baume einen geringen Theil der Kraft betragende, Reibung,
so viel als das ganze Gewicht seines Körpers ausmacht.

Auch von Zerlegung der Kräfte finden wir hier Beispiele. Das
aufs beste polirte Glas läßt sich mit einem Drucke der Finger gegen
einander noch wohl festhalten, wenn es bei mäßiger Dicke zwei pa-
rallele Seitenflächen hat, gegen welche unsre Finger senkrecht pres-
send wirken können; aber ein keilförmiges Glas, ein gleichseitiges
Glasprisma LMN (Fig. 14. b.) werden wir, selbst bei dem ange-
strengtesten Andrücken der Finger gegen die beiden schiefen Flächen,
nicht halten können, wenn die Finger diese gegen einander geneigten
Flächen von oben ergreifen. Hier nämlich drücken wir unsre Finger
in horizontaler Richtung (Fig. 14. b.) gegen einander; von dieser
nach AB gerichteten Kraft wird nur ein Theil, nach Verhältniß
durch AC ausgedrückt und ungefehr 7/8 der Kraft AB betragend,
senkrecht auf die Fläche drückend angewandt, und mit einer Kraft halb
so groß als AB schiebt unser Finger sich auf der Ebne BC fort; die
Reibung müßte daher schon über die Hälfte des Druckes betragen,
wenn die Reibung dieser fortschiebenden Kraft widerstehen sollte, und
da das Gewicht des Prisma's überdies noch getragen werden muß,
so ist es nicht möglich, das Prisma so aufzuheben.

Es gäbe noch unzählige Beispiele von der nützlichen und von
der nachtheiligen Wirkung der Reibung; aber ich breche diese Be-
trachtung ab, um Ihre Geduld nicht zu ermüden.




I. D

wuͤrde uns entgleitend aus den Haͤnden fallen; wir bemerken dies
an ſehr glatten Koͤrpern, die wir nur durch heftiges Zuſammendruͤcken
der Finger erhalten, weil, wenn die Reibung vielleicht nur ein Zwoͤlf-
tel der druͤckenden Kraft betraͤgt, meine Finger mit 12 Pfund Kraft
druͤcken muͤſſen, um 1 Pfund zu erhalten, ſtatt daß ich da, wo die
Reibung ein Drittel der druͤckenden Kraft betruͤge, mit drei Pfund
Kraft ausreichte. — Dieſe Schwierigkeit, einen hinreichend großen
Druck auszuuͤben, und ſo die Reibung hinreichend zu vermehren, iſt
es, wodurch das Hinaufklettern an dem Stamme eines Baums,
den man mit Armen und Beinen feſt umklammert, ſo ſchwer und
nur dem moͤglich wird, der viele Kraft beſitzt; er muß naͤmlich einen
ſo großen Druck ausuͤben, daß die daraus hervorgehende, bei einem
glatten Baume einen geringen Theil der Kraft betragende, Reibung,
ſo viel als das ganze Gewicht ſeines Koͤrpers ausmacht.

Auch von Zerlegung der Kraͤfte finden wir hier Beiſpiele. Das
aufs beſte polirte Glas laͤßt ſich mit einem Drucke der Finger gegen
einander noch wohl feſthalten, wenn es bei maͤßiger Dicke zwei pa-
rallele Seitenflaͤchen hat, gegen welche unſre Finger ſenkrecht preſ-
ſend wirken koͤnnen; aber ein keilfoͤrmiges Glas, ein gleichſeitiges
Glasprisma LMN (Fig. 14. b.) werden wir, ſelbſt bei dem ange-
ſtrengteſten Andruͤcken der Finger gegen die beiden ſchiefen Flaͤchen,
nicht halten koͤnnen, wenn die Finger dieſe gegen einander geneigten
Flaͤchen von oben ergreifen. Hier naͤmlich druͤcken wir unſre Finger
in horizontaler Richtung (Fig. 14. b.) gegen einander; von dieſer
nach AB gerichteten Kraft wird nur ein Theil, nach Verhaͤltniß
durch AC ausgedruͤckt und ungefehr ⅞ der Kraft AB betragend,
ſenkrecht auf die Flaͤche druͤckend angewandt, und mit einer Kraft halb
ſo groß als AB ſchiebt unſer Finger ſich auf der Ebne BC fort; die
Reibung muͤßte daher ſchon uͤber die Haͤlfte des Druckes betragen,
wenn die Reibung dieſer fortſchiebenden Kraft widerſtehen ſollte, und
da das Gewicht des Prisma's uͤberdies noch getragen werden muß,
ſo iſt es nicht moͤglich, das Prisma ſo aufzuheben.

Es gaͤbe noch unzaͤhlige Beiſpiele von der nuͤtzlichen und von
der nachtheiligen Wirkung der Reibung; aber ich breche dieſe Be-
trachtung ab, um Ihre Geduld nicht zu ermuͤden.




I. D
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[49/0071] wuͤrde uns entgleitend aus den Haͤnden fallen; wir bemerken dies an ſehr glatten Koͤrpern, die wir nur durch heftiges Zuſammendruͤcken der Finger erhalten, weil, wenn die Reibung vielleicht nur ein Zwoͤlf- tel der druͤckenden Kraft betraͤgt, meine Finger mit 12 Pfund Kraft druͤcken muͤſſen, um 1 Pfund zu erhalten, ſtatt daß ich da, wo die Reibung ein Drittel der druͤckenden Kraft betruͤge, mit drei Pfund Kraft ausreichte. — Dieſe Schwierigkeit, einen hinreichend großen Druck auszuuͤben, und ſo die Reibung hinreichend zu vermehren, iſt es, wodurch das Hinaufklettern an dem Stamme eines Baums, den man mit Armen und Beinen feſt umklammert, ſo ſchwer und nur dem moͤglich wird, der viele Kraft beſitzt; er muß naͤmlich einen ſo großen Druck ausuͤben, daß die daraus hervorgehende, bei einem glatten Baume einen geringen Theil der Kraft betragende, Reibung, ſo viel als das ganze Gewicht ſeines Koͤrpers ausmacht. Auch von Zerlegung der Kraͤfte finden wir hier Beiſpiele. Das aufs beſte polirte Glas laͤßt ſich mit einem Drucke der Finger gegen einander noch wohl feſthalten, wenn es bei maͤßiger Dicke zwei pa- rallele Seitenflaͤchen hat, gegen welche unſre Finger ſenkrecht preſ- ſend wirken koͤnnen; aber ein keilfoͤrmiges Glas, ein gleichſeitiges Glasprisma LMN (Fig. 14. b.) werden wir, ſelbſt bei dem ange- ſtrengteſten Andruͤcken der Finger gegen die beiden ſchiefen Flaͤchen, nicht halten koͤnnen, wenn die Finger dieſe gegen einander geneigten Flaͤchen von oben ergreifen. Hier naͤmlich druͤcken wir unſre Finger in horizontaler Richtung (Fig. 14. b.) gegen einander; von dieſer nach AB gerichteten Kraft wird nur ein Theil, nach Verhaͤltniß durch AC ausgedruͤckt und ungefehr ⅞ der Kraft AB betragend, ſenkrecht auf die Flaͤche druͤckend angewandt, und mit einer Kraft halb ſo groß als AB ſchiebt unſer Finger ſich auf der Ebne BC fort; die Reibung muͤßte daher ſchon uͤber die Haͤlfte des Druckes betragen, wenn die Reibung dieſer fortſchiebenden Kraft widerſtehen ſollte, und da das Gewicht des Prisma's uͤberdies noch getragen werden muß, ſo iſt es nicht moͤglich, das Prisma ſo aufzuheben. Es gaͤbe noch unzaͤhlige Beiſpiele von der nuͤtzlichen und von der nachtheiligen Wirkung der Reibung; aber ich breche dieſe Be- trachtung ab, um Ihre Geduld nicht zu ermuͤden. I. D

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/71>, abgerufen am 21.11.2024.