50 Coconfäden, deren gesammte Länge also 7250000 Fuß betrug. Jeder dieser Fäden zeigte sich unter dem Microscop roth gefärbt, und wenn man also annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000 Theile sichtbar wurden, so konnte man 14500 Millionen sichtbare Theile als wirklich gefärbt wahrnehmen *). Welche zarte Bildun- gen die Natur uns, besonders in den organischen Körpern zeigt, wie in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkörnchens an Größe gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens- functionen wahrgenommen werden, ist aus Leuwenhoeks und andern Beobachtungen bekannt; und ebenso feine Theile, immer noch in regelmäßiger Anordnung, ein Entstehen aus noch zarteren Fasern und Gefäßen verrathend, zeigen uns die Vergrößerungs- gläser in den einzelnen Häuten und andern Theilen auch der grö- ßeren Thiere.
Aber selbst die Kunst ist im Stande, uns Beispiele von un- gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunst, feine Linien auf Glas oder Metall einzuschneiden und diese mit Hülfe einer ganz genau gleich fortrückenden Schraube so regelmäßig an einander zu zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmäßig ist, hat be- sonders Fraunhofer so weit getrieben, daß er die Theilung eines Zolles in Zehntausendtel als ganz genau, und die Theilung des Zolles in 32000 Theile als nur sehr wenig von der völligen Gleich- heit abweichend ansieht. Eine ähnliche Feinheit liefert die Kunst des Drathziehens, wenn man sie nach Wollastons Anleitung auf Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Länge, nach Reaumur's Bemerkung, in einen Drath von 110 französischen Meilen, das ist beinahe 16 Millionen Zoll aus, also zur 720000 maligen Länge, indem sie ihn nach und nach durch immer engere Löcher ziehen. Bohrt man nun in der Axe eines solchen Silbercylinders ein Loch, das genau den zehnten Theil des Durchmessers hält, und füllt dieses mit Gold oder Platina aus, so dehnt sich beim Drathziehen der den innern Kern des Cylinders ausmachende Körper mit dem Silber aus, und man kann auf diese Weise Golddrath erhalten, von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier-
*)Himly ophthalmolog. Bibliothek. 2 Th. 2 St. S. 400.
50 Coconfaͤden, deren geſammte Laͤnge alſo 7250000 Fuß betrug. Jeder dieſer Faͤden zeigte ſich unter dem Microſcop roth gefaͤrbt, und wenn man alſo annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000 Theile ſichtbar wurden, ſo konnte man 14500 Millionen ſichtbare Theile als wirklich gefaͤrbt wahrnehmen *). Welche zarte Bildun- gen die Natur uns, beſonders in den organiſchen Koͤrpern zeigt, wie in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkoͤrnchens an Groͤße gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens- functionen wahrgenommen werden, iſt aus Leuwenhoeks und andern Beobachtungen bekannt; und ebenſo feine Theile, immer noch in regelmaͤßiger Anordnung, ein Entſtehen aus noch zarteren Faſern und Gefaͤßen verrathend, zeigen uns die Vergroͤßerungs- glaͤſer in den einzelnen Haͤuten und andern Theilen auch der groͤ- ßeren Thiere.
Aber ſelbſt die Kunſt iſt im Stande, uns Beiſpiele von un- gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunſt, feine Linien auf Glas oder Metall einzuſchneiden und dieſe mit Huͤlfe einer ganz genau gleich fortruͤckenden Schraube ſo regelmaͤßig an einander zu zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmaͤßig iſt, hat be- ſonders Fraunhofer ſo weit getrieben, daß er die Theilung eines Zolles in Zehntauſendtel als ganz genau, und die Theilung des Zolles in 32000 Theile als nur ſehr wenig von der voͤlligen Gleich- heit abweichend anſieht. Eine aͤhnliche Feinheit liefert die Kunſt des Drathziehens, wenn man ſie nach Wollaſtons Anleitung auf Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Laͤnge, nach Reaumur's Bemerkung, in einen Drath von 110 franzoͤſiſchen Meilen, das iſt beinahe 16 Millionen Zoll aus, alſo zur 720000 maligen Laͤnge, indem ſie ihn nach und nach durch immer engere Loͤcher ziehen. Bohrt man nun in der Axe eines ſolchen Silbercylinders ein Loch, das genau den zehnten Theil des Durchmeſſers haͤlt, und fuͤllt dieſes mit Gold oder Platina aus, ſo dehnt ſich beim Drathziehen der den innern Kern des Cylinders ausmachende Koͤrper mit dem Silber aus, und man kann auf dieſe Weiſe Golddrath erhalten, von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier-
*)Himly ophthalmolog. Bibliothek. 2 Th. 2 St. S. 400.
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50 Coconfaͤden, deren geſammte Laͤnge alſo 7250000 Fuß betrug.
Jeder dieſer Faͤden zeigte ſich unter dem Microſcop roth gefaͤrbt,
und wenn man alſo annimmt, daß in jedem Fuße auch nur 2000
Theile ſichtbar wurden, ſo konnte man 14500 Millionen ſichtbare
Theile als wirklich gefaͤrbt wahrnehmen *). Welche zarte Bildun-
gen die Natur uns, beſonders in den organiſchen Koͤrpern zeigt, wie
in den Thierchen, die nur dem Milliontel eines Sandkoͤrnchens an
Groͤße gleich kommen, noch Theile zu Unterhaltung der Lebens-
functionen wahrgenommen werden, iſt aus Leuwenhoeks und
andern Beobachtungen bekannt; und ebenſo feine Theile, immer
noch in regelmaͤßiger Anordnung, ein Entſtehen aus noch zarteren
Faſern und Gefaͤßen verrathend, zeigen uns die Vergroͤßerungs-
glaͤſer in den einzelnen Haͤuten und andern Theilen auch der groͤ-
ßeren Thiere.
Aber ſelbſt die Kunſt iſt im Stande, uns Beiſpiele von un-
gemein feiner Theilung zu liefern. Die Kunſt, feine Linien auf
Glas oder Metall einzuſchneiden und dieſe mit Huͤlfe einer ganz
genau gleich fortruͤckenden Schraube ſo regelmaͤßig an einander zu
zeichnen, daß die Eintheilung vollkommen gleichmaͤßig iſt, hat be-
ſonders Fraunhofer ſo weit getrieben, daß er die Theilung eines
Zolles in Zehntauſendtel als ganz genau, und die Theilung des
Zolles in 32000 Theile als nur ſehr wenig von der voͤlligen Gleich-
heit abweichend anſieht. Eine aͤhnliche Feinheit liefert die Kunſt
des Drathziehens, wenn man ſie nach Wollaſtons Anleitung auf
Gold und Platina von Silber umgeben anwendet. Die Drathzieher
dehnen einen Silbercylinder von 22 Zoll Laͤnge, nach Reaumur's
Bemerkung, in einen Drath von 110 franzoͤſiſchen Meilen, das
iſt beinahe 16 Millionen Zoll aus, alſo zur 720000 maligen Laͤnge,
indem ſie ihn nach und nach durch immer engere Loͤcher ziehen.
Bohrt man nun in der Axe eines ſolchen Silbercylinders ein Loch,
das genau den zehnten Theil des Durchmeſſers haͤlt, und fuͤllt dieſes
mit Gold oder Platina aus, ſo dehnt ſich beim Drathziehen der
den innern Kern des Cylinders ausmachende Koͤrper mit dem
Silber aus, und man kann auf dieſe Weiſe Golddrath erhalten,
von welchem 500 Fuß nur 1 Gran wiegen. Berechnet man hier-
*) Himly ophthalmolog. Bibliothek. 2 Th. 2 St. S. 400.
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/37>, abgerufen am 23.11.2024.
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