Der menschliche Körper ist in der Regel, so lange er von der einge- athmeten Luft nichts von sich läßt, etwas leichter als Wasser und nach Robertson's Bestimmung *) giebt es Menschen, die wenig über vier Fünftel des Wassers welches sie aus der Stelle treiben, wiegen. Die meisten Menschen sinken also nicht ganz unter, wenn sie sich ohne alle Anstrengung den Einwirkungen der Schwere über- lassen, aber sorgfältig sich hüten, ja kein Wasser zu verschlucken; -- im Seewasser, welches etwas schwerer als süßes Wasser ist, bleibt ein noch größerer Theil des Körpers über dem Wasser. Daß den- noch der Mensch sich nur mit Mühe gegen das Ertrinken sichert, rührt theils davon her, daß er nicht ganz im Stande ist, das Ein- dringen des Wassers durch Mund und Nase, wenn diese einmal untergetaucht sind, zu hindern, und daß Mangel an Geistesgegen- wart ihn oft unfähig macht, das Einschlucken von Wasser, dem er widerstehen könnte, zu wehren, theils ist es Folge nachtheiliger Be- mühungen, wozu Mangel an Ueberlegung und Mangel an richtiger Einsicht ihn antreibt. Wir strecken gern unsre Arme nach Hülfe aus, und so glaubt auch der ins Wasser Gefallene die Arme hervor- strecken zu müssen; aber da immer nur ein geringer Theil (bei den meisten Menschen lange kein Zehntel) des Körpers außer dem Was- ser bleiben kann, so sinkt unfehlbar der Kopf ins Wasser, wenn man die Arme herausstreckt, und jedes Hervorheben eines andern Theiles vergrößert die Gefahr des Ertrinkens. Hierin liegt ein Grund, warum bei plötzlichen Ueberschwemmungen zuweilen Kinder lebend ans Land geschwemmt werden, während Erwachsene, die sich zu helfen suchen, umkommen; jene nämlich schaden sich wenigstens nicht durch unrichtige, in der Angst angewandte Rettungsmittel. Nicholson erzählt, daß man einen ins Meer gefallenen Matrosen, der nicht schwimmen konnte, und dem man erst nach einiger Zeit, nach Vorbereitung des Bootes, zu Hülfe kommen konnte, einzig dadurch gerettet habe, daß man ihm von Zeit zu Zeit mit dem Sprachrohre zurief, die Hände unter Wasser zu halten. -- Hierin also besteht der Theil der Schwimmkunst, der bloß das Schwim- mend-Erhalten, das Vermeiden, daß der Körper nicht durch einge- schlucktes Wasser schwerer als Wasser werde, betrifft. Der zweite
*)Thomson's annais of Philos. Jan. 1816. p. 82.
Der menſchliche Koͤrper iſt in der Regel, ſo lange er von der einge- athmeten Luft nichts von ſich laͤßt, etwas leichter als Waſſer und nach Robertſon's Beſtimmung *) giebt es Menſchen, die wenig uͤber vier Fuͤnftel des Waſſers welches ſie aus der Stelle treiben, wiegen. Die meiſten Menſchen ſinken alſo nicht ganz unter, wenn ſie ſich ohne alle Anſtrengung den Einwirkungen der Schwere uͤber- laſſen, aber ſorgfaͤltig ſich huͤten, ja kein Waſſer zu verſchlucken; — im Seewaſſer, welches etwas ſchwerer als ſuͤßes Waſſer iſt, bleibt ein noch groͤßerer Theil des Koͤrpers uͤber dem Waſſer. Daß den- noch der Menſch ſich nur mit Muͤhe gegen das Ertrinken ſichert, ruͤhrt theils davon her, daß er nicht ganz im Stande iſt, das Ein- dringen des Waſſers durch Mund und Naſe, wenn dieſe einmal untergetaucht ſind, zu hindern, und daß Mangel an Geiſtesgegen- wart ihn oft unfaͤhig macht, das Einſchlucken von Waſſer, dem er widerſtehen koͤnnte, zu wehren, theils iſt es Folge nachtheiliger Be- muͤhungen, wozu Mangel an Ueberlegung und Mangel an richtiger Einſicht ihn antreibt. Wir ſtrecken gern unſre Arme nach Huͤlfe aus, und ſo glaubt auch der ins Waſſer Gefallene die Arme hervor- ſtrecken zu muͤſſen; aber da immer nur ein geringer Theil (bei den meiſten Menſchen lange kein Zehntel) des Koͤrpers außer dem Waſ- ſer bleiben kann, ſo ſinkt unfehlbar der Kopf ins Waſſer, wenn man die Arme herausſtreckt, und jedes Hervorheben eines andern Theiles vergroͤßert die Gefahr des Ertrinkens. Hierin liegt ein Grund, warum bei ploͤtzlichen Ueberſchwemmungen zuweilen Kinder lebend ans Land geſchwemmt werden, waͤhrend Erwachſene, die ſich zu helfen ſuchen, umkommen; jene naͤmlich ſchaden ſich wenigſtens nicht durch unrichtige, in der Angſt angewandte Rettungsmittel. Nicholſon erzaͤhlt, daß man einen ins Meer gefallenen Matroſen, der nicht ſchwimmen konnte, und dem man erſt nach einiger Zeit, nach Vorbereitung des Bootes, zu Huͤlfe kommen konnte, einzig dadurch gerettet habe, daß man ihm von Zeit zu Zeit mit dem Sprachrohre zurief, die Haͤnde unter Waſſer zu halten. — Hierin alſo beſteht der Theil der Schwimmkunſt, der bloß das Schwim- mend-Erhalten, das Vermeiden, daß der Koͤrper nicht durch einge- ſchlucktes Waſſer ſchwerer als Waſſer werde, betrifft. Der zweite
*)Thomson's annais of Philos. Jan. 1816. p. 82.
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Der menſchliche Koͤrper iſt in der Regel, ſo lange er von der einge-
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ſie ſich ohne alle Anſtrengung den Einwirkungen der Schwere uͤber-
laſſen, aber ſorgfaͤltig ſich huͤten, ja kein Waſſer zu verſchlucken; —
im Seewaſſer, welches etwas ſchwerer als ſuͤßes Waſſer iſt, bleibt
ein noch groͤßerer Theil des Koͤrpers uͤber dem Waſſer. Daß den-
noch der Menſch ſich nur mit Muͤhe gegen das Ertrinken ſichert,
ruͤhrt theils davon her, daß er nicht ganz im Stande iſt, das Ein-
dringen des Waſſers durch Mund und Naſe, wenn dieſe einmal
untergetaucht ſind, zu hindern, und daß Mangel an Geiſtesgegen-
wart ihn oft unfaͤhig macht, das Einſchlucken von Waſſer, dem er
widerſtehen koͤnnte, zu wehren, theils iſt es Folge nachtheiliger Be-
muͤhungen, wozu Mangel an Ueberlegung und Mangel an richtiger
Einſicht ihn antreibt. Wir ſtrecken gern unſre Arme nach Huͤlfe
aus, und ſo glaubt auch der ins Waſſer Gefallene die Arme hervor-
ſtrecken zu muͤſſen; aber da immer nur ein geringer Theil (bei den
meiſten Menſchen lange kein Zehntel) des Koͤrpers außer dem Waſ-
ſer bleiben kann, ſo ſinkt unfehlbar der Kopf ins Waſſer, wenn man
die Arme herausſtreckt, und jedes Hervorheben eines andern Theiles
vergroͤßert die Gefahr des Ertrinkens. Hierin liegt ein Grund,
warum bei ploͤtzlichen Ueberſchwemmungen zuweilen Kinder lebend
ans Land geſchwemmt werden, waͤhrend Erwachſene, die ſich zu
helfen ſuchen, umkommen; jene naͤmlich ſchaden ſich wenigſtens
nicht durch unrichtige, in der Angſt angewandte Rettungsmittel.
Nicholſon erzaͤhlt, daß man einen ins Meer gefallenen Matroſen,
der nicht ſchwimmen konnte, und dem man erſt nach einiger Zeit,
nach Vorbereitung des Bootes, zu Huͤlfe kommen konnte, einzig
dadurch gerettet habe, daß man ihm von Zeit zu Zeit mit dem
Sprachrohre zurief, die Haͤnde unter Waſſer zu halten. — Hierin
alſo beſteht der Theil der Schwimmkunſt, der bloß das Schwim-
mend-Erhalten, das Vermeiden, daß der Koͤrper nicht durch einge-
ſchlucktes Waſſer ſchwerer als Waſſer werde, betrifft. Der zweite
*) Thomson's annais of Philos. Jan. 1816. p. 82.
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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/174>, abgerufen am 22.11.2024.
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