Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

jung, wenn ich an diese Dinge denke. Ich weiß
alles noch so lebhaft, wie's mir war, wie's mich
deuchte; empfinde noch jedes selige Weilchen, das
ich mit meinem Aennchen zubrachte -- möchte
jeden Tritt beschreiben, den ich an ihrer Seite that.
Verzeiht mir's, und überschlagt's, wenn's Euch eckelt.

Aennchens Stiefäti war ein leichtsinniger Brenz-
wirth; ihm galt's gleichviel, wer kam und ihm sein
Brenz absoff. Ich war nun in Kurzem bey seinem
Töchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann
und wann ein herrliches Viertelstündchen bey ihr.
Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er
sprach mir ernstlich zu; es half aber alles nichts;
Aennchen war mir viel zu lieb. Fürchterlich schimpft'
er bisweilen auf dieß verdammte Brenznest, wie er
es nannte; und Anne sah' er für eine liederliche
Dirn' an -- und doch, Gott weiß es! das war sie --
wenigstens damals nicht; das redlichste brävste Mäd-
chen das ich je untern Händen gehabt, fast meiner
Länge, so schlank und hübsch geformt, daß es eine
Lust war. Aber ja, schwätzen konnt' sie wie eine
Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen.
Sie war immer munter und allert; um und um
lauter Leben; und das macht' es eben, daß mancher
Sauertopf so schlimm von ihr dachte. Wenn meine
Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Bessern
belehrt, er hätt' mit Stock und Stein drein ge-
schlagen.

So verstrich der Sommer. Noch in keinem hat-
ten mir die Vögel, die ich alle Morgen mit Ent-

jung, wenn ich an dieſe Dinge denke. Ich weiß
alles noch ſo lebhaft, wie’s mir war, wie’s mich
deuchte; empfinde noch jedes ſelige Weilchen, das
ich mit meinem Aennchen zubrachte — moͤchte
jeden Tritt beſchreiben, den ich an ihrer Seite that.
Verzeiht mir’s, und uͤberſchlagt’s, wenn’s Euch eckelt.

Aennchens Stiefaͤti war ein leichtſinniger Brenz-
wirth; ihm galt’s gleichviel, wer kam und ihm ſein
Brenz abſoff. Ich war nun in Kurzem bey ſeinem
Toͤchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann
und wann ein herrliches Viertelſtuͤndchen bey ihr.
Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er
ſprach mir ernſtlich zu; es half aber alles nichts;
Aennchen war mir viel zu lieb. Fuͤrchterlich ſchimpft’
er bisweilen auf dieß verdammte Brenzneſt, wie er
es nannte; und Anne ſah’ er fuͤr eine liederliche
Dirn’ an — und doch, Gott weiß es! das war ſie —
wenigſtens damals nicht; das redlichſte braͤvſte Maͤd-
chen das ich je untern Haͤnden gehabt, faſt meiner
Laͤnge, ſo ſchlank und huͤbſch geformt, daß es eine
Luſt war. Aber ja, ſchwaͤtzen konnt’ ſie wie eine
Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen.
Sie war immer munter und allert; um und um
lauter Leben; und das macht’ es eben, daß mancher
Sauertopf ſo ſchlimm von ihr dachte. Wenn meine
Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Beſſern
belehrt, er haͤtt’ mit Stock und Stein drein ge-
ſchlagen.

So verſtrich der Sommer. Noch in keinem hat-
ten mir die Voͤgel, die ich alle Morgen mit Ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="70"/>
jung, wenn ich an die&#x017F;e Dinge denke. Ich weiß<lb/>
alles noch &#x017F;o lebhaft, wie&#x2019;s mir war, wie&#x2019;s mich<lb/>
deuchte; empfinde noch jedes &#x017F;elige Weilchen, das<lb/>
ich mit meinem <hi rendition="#fr">Aennchen</hi> zubrachte &#x2014; mo&#x0364;chte<lb/>
jeden Tritt be&#x017F;chreiben, den ich an ihrer Seite that.<lb/>
Verzeiht mir&#x2019;s, und u&#x0364;ber&#x017F;chlagt&#x2019;s, wenn&#x2019;s Euch eckelt.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Aennchens</hi> Stiefa&#x0364;ti war ein leicht&#x017F;inniger Brenz-<lb/>
wirth; ihm galt&#x2019;s gleichviel, wer kam und ihm &#x017F;ein<lb/>
Brenz ab&#x017F;off. Ich war nun in Kurzem bey &#x017F;einem<lb/>
To&#x0364;chtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann<lb/>
und wann ein herrliches Viertel&#x017F;tu&#x0364;ndchen bey ihr.<lb/>
Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er<lb/>
&#x017F;prach mir ern&#x017F;tlich zu; es half aber alles nichts;<lb/><hi rendition="#fr">Aennchen</hi> war mir viel zu lieb. Fu&#x0364;rchterlich &#x017F;chimpft&#x2019;<lb/>
er bisweilen auf dieß verdammte Brenzne&#x017F;t, wie er<lb/>
es nannte; und <hi rendition="#fr">Anne</hi> &#x017F;ah&#x2019; er fu&#x0364;r eine liederliche<lb/>
Dirn&#x2019; an &#x2014; und doch, Gott weiß es! das war &#x017F;ie &#x2014;<lb/>
wenig&#x017F;tens damals nicht; das redlich&#x017F;te bra&#x0364;v&#x017F;te Ma&#x0364;d-<lb/>
chen das ich je untern Ha&#x0364;nden gehabt, fa&#x017F;t meiner<lb/>
La&#x0364;nge, &#x017F;o &#x017F;chlank und hu&#x0364;b&#x017F;ch geformt, daß es eine<lb/>
Lu&#x017F;t war. Aber ja, &#x017F;chwa&#x0364;tzen konnt&#x2019; &#x017F;ie wie eine<lb/>
Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen.<lb/>
Sie war immer munter und allert; um und um<lb/>
lauter Leben; und das macht&#x2019; es eben, daß mancher<lb/>
Sauertopf &#x017F;o &#x017F;chlimm von ihr dachte. Wenn meine<lb/>
Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Be&#x017F;&#x017F;ern<lb/>
belehrt, er ha&#x0364;tt&#x2019; mit Stock und Stein drein ge-<lb/>
&#x017F;chlagen.</p><lb/>
        <p>So ver&#x017F;trich der Sommer. Noch in keinem hat-<lb/>
ten mir die Vo&#x0364;gel, die ich alle Morgen mit Ent-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0086] jung, wenn ich an dieſe Dinge denke. Ich weiß alles noch ſo lebhaft, wie’s mir war, wie’s mich deuchte; empfinde noch jedes ſelige Weilchen, das ich mit meinem Aennchen zubrachte — moͤchte jeden Tritt beſchreiben, den ich an ihrer Seite that. Verzeiht mir’s, und uͤberſchlagt’s, wenn’s Euch eckelt. Aennchens Stiefaͤti war ein leichtſinniger Brenz- wirth; ihm galt’s gleichviel, wer kam und ihm ſein Brenz abſoff. Ich war nun in Kurzem bey ſeinem Toͤchtergen wieder wohl am Brett, und genoß dann und wann ein herrliches Viertelſtuͤndchen bey ihr. Das lag nun meinem Vater gar nicht recht. Er ſprach mir ernſtlich zu; es half aber alles nichts; Aennchen war mir viel zu lieb. Fuͤrchterlich ſchimpft’ er bisweilen auf dieß verdammte Brenzneſt, wie er es nannte; und Anne ſah’ er fuͤr eine liederliche Dirn’ an — und doch, Gott weiß es! das war ſie — wenigſtens damals nicht; das redlichſte braͤvſte Maͤd- chen das ich je untern Haͤnden gehabt, faſt meiner Laͤnge, ſo ſchlank und huͤbſch geformt, daß es eine Luſt war. Aber ja, ſchwaͤtzen konnt’ ſie wie eine Dohle. Ihre Stimme klang wie ein Orgelpfeifchen. Sie war immer munter und allert; um und um lauter Leben; und das macht’ es eben, daß mancher Sauertopf ſo ſchlimm von ihr dachte. Wenn meine Mutter meinen Vater nicht bisweilen eines Beſſern belehrt, er haͤtt’ mit Stock und Stein drein ge- ſchlagen. So verſtrich der Sommer. Noch in keinem hat- ten mir die Voͤgel, die ich alle Morgen mit Ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/86
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/86>, abgerufen am 24.11.2024.