Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.Aber das schien mir schon zu viel gewagt. Dort *) Halbe Maaß Wein. **) Mein Seel'!
Aber das ſchien mir ſchon zu viel gewagt. Dort *) Halbe Maaß Wein. **) Mein Seel’!
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="62"/> Aber das ſchien mir ſchon zu viel gewagt. Dort<lb/> ſah ich ſie eins herumſchlaͤngeln. Herodes mag das<lb/> Herz nicht ſo gepocht haben, als er Herodias Toch-<lb/> ter taͤnzeln ſah! Ach! ſo ein ſchoͤnes, ſchlankes, nettes<lb/> Kind, in der allerliebſten Zuͤrchbietler-Tracht! Wie<lb/> ihm die goldfarbnen Zoͤpf ſo fein herunterhiengen! —<lb/> Ich ſtellte mich in einen Winkel, um meine Augen<lb/> im Verborgnen an ihr waiden zu koͤnnen. Da ſagt’<lb/> ich zu mir ſelbſt: Ah! in deinem Leben wirſt du,<lb/> Luͤmmel, nie das Gluͤck haben, ein ſolch Kind zu<lb/> bekommen! Sie iſt viel viel zu gut fuͤr dich! Hundert<lb/> andre weit beſſre Kerls werden ſie lang lang vor dir<lb/> erhaſchen. So dacht’ ich, als <hi rendition="#fr">Aennchen,</hi> die mich<lb/> und meine Schuͤchternheit ſchon eine geraume Zeit<lb/> mochte bemerkt haben, auf mich zukam, mich freund-<lb/> lich bey der Hand nahm, und ſagte: „<hi rendition="#fr">Uli!</hi> fuͤhr’<lb/> „du mich auch Eins herum„! Ich feuerroth erwie-<lb/> derte: „Ich kann’s nicht, <hi rendition="#fr">Aennchen!</hi> gewiß ich kann’s<lb/> „nicht„! „So zahl’ mir denn eine <hi rendition="#fr">Halbe</hi> <note place="foot" n="*)">Halbe Maaß Wein.</note>„,<lb/> verſetzte ſie, ich wußt’ nicht recht ob im Schimpf<lb/> oder Ernſt. „Es iſt dir nicht Ernſt, Schleppſack„,<lb/> erwiedert’ ich darum. Und ſie: „<hi rendition="#fr">Mi See</hi> <note place="foot" n="**)">Mein Seel’!</note> s’iſt<lb/> „mir Ernſt„! Ich todtblaß: „Mi See, <hi rendition="#fr">Aennchen,</hi><lb/> „ich darf heut nicht! Ein andermal. Gwuͤß ich<lb/> „moͤcht’ gern, aber ich darf nicht„! Das mocht<lb/> ihr ein wenig in den Kopf ſteigen; ſie ließ ſich’s<lb/> aber nicht merken, trat, mir nix dir nix, ruͤckwerts,<lb/> und machte ihre Sachen wie zuvor. So auch ich —<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [62/0078]
Aber das ſchien mir ſchon zu viel gewagt. Dort
ſah ich ſie eins herumſchlaͤngeln. Herodes mag das
Herz nicht ſo gepocht haben, als er Herodias Toch-
ter taͤnzeln ſah! Ach! ſo ein ſchoͤnes, ſchlankes, nettes
Kind, in der allerliebſten Zuͤrchbietler-Tracht! Wie
ihm die goldfarbnen Zoͤpf ſo fein herunterhiengen! —
Ich ſtellte mich in einen Winkel, um meine Augen
im Verborgnen an ihr waiden zu koͤnnen. Da ſagt’
ich zu mir ſelbſt: Ah! in deinem Leben wirſt du,
Luͤmmel, nie das Gluͤck haben, ein ſolch Kind zu
bekommen! Sie iſt viel viel zu gut fuͤr dich! Hundert
andre weit beſſre Kerls werden ſie lang lang vor dir
erhaſchen. So dacht’ ich, als Aennchen, die mich
und meine Schuͤchternheit ſchon eine geraume Zeit
mochte bemerkt haben, auf mich zukam, mich freund-
lich bey der Hand nahm, und ſagte: „Uli! fuͤhr’
„du mich auch Eins herum„! Ich feuerroth erwie-
derte: „Ich kann’s nicht, Aennchen! gewiß ich kann’s
„nicht„! „So zahl’ mir denn eine Halbe *)„,
verſetzte ſie, ich wußt’ nicht recht ob im Schimpf
oder Ernſt. „Es iſt dir nicht Ernſt, Schleppſack„,
erwiedert’ ich darum. Und ſie: „Mi See **) s’iſt
„mir Ernſt„! Ich todtblaß: „Mi See, Aennchen,
„ich darf heut nicht! Ein andermal. Gwuͤß ich
„moͤcht’ gern, aber ich darf nicht„! Das mocht
ihr ein wenig in den Kopf ſteigen; ſie ließ ſich’s
aber nicht merken, trat, mir nix dir nix, ruͤckwerts,
und machte ihre Sachen wie zuvor. So auch ich —
*) Halbe Maaß Wein.
**) Mein Seel’!
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