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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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Denk doch, eine ganze Stund weit! und bey Don-
ner und Hagel, oder wenn sonst die Nacht einfällt,
nie wissen, wo er ist. Das ist mein Tod, und Du
mußt's verantworten.

Ich. Nein, nein, Mutter! Ich will schon Sorg
haben, und kann ja drein schlagen wann ein Thier
kommt, und vor'm Wetter untern Felsen kreuchen,
und, wenn's nachtet, heimfahren; und die Geissen
will ich, was gilt's, schon paschgen.

Vater. Hörst jetzt! Eine Woche mußt' mir erst
mit dem Geißbub gehen. Dann gieb wohl Achtung
wie er's macht; wie er die Geissen alle heißt, und
ihnen lockt und pfeift; wo er durchfahrt, und wo
sie die beßte Waid finden.

Ja, ja! sagt' ich, sprang hoch auf, und dacht':
Im Kohlwald da bist du frey; da wird dir der Va-
ter nicht immer pfeifen, und dich von einer Arbeit
zur andern jagen. Ich gieng also etliche Tag mit
unserm Beckle hin; so hieß der Bub; ein rauher,
wilder, aber doch ehrlicher Bursche. Denkt doch!
Er stuhnd eines Tags wegen einer Mordthat im Ver-
dacht, da man eine alte Frau, welche wahrscheinlich
über einen Felsen hinunterstürzte, auf der Creutzegg
todt gefunden. Der Amtsdiener holte ihn aus dem
Bett nach Lichtensteig. Man merkte aber bald,
daß er ganz unschuldig war, und er kam zu meiner
grossen Freud noch denselben Abend wieder heim. --
Nun trat ich mein neues Ehrenamt an. Der Va-
ter wollte zwar den Veckle als Knecht behalten;
aber die Arbeit war ihm zu streng, und er nahm

Denk doch, eine ganze Stund weit! und bey Don-
ner und Hagel, oder wenn ſonſt die Nacht einfaͤllt,
nie wiſſen, wo er iſt. Das iſt mein Tod, und Du
mußt’s verantworten.

Ich. Nein, nein, Mutter! Ich will ſchon Sorg
haben, und kann ja drein ſchlagen wann ein Thier
kommt, und vor’m Wetter untern Felſen kreuchen,
und, wenn’s nachtet, heimfahren; und die Geiſſen
will ich, was gilt’s, ſchon paſchgen.

Vater. Hoͤrſt jetzt! Eine Woche mußt’ mir erſt
mit dem Geißbub gehen. Dann gieb wohl Achtung
wie er’s macht; wie er die Geiſſen alle heißt, und
ihnen lockt und pfeift; wo er durchfahrt, und wo
ſie die beßte Waid finden.

Ja, ja! ſagt’ ich, ſprang hoch auf, und dacht’:
Im Kohlwald da biſt du frey; da wird dir der Va-
ter nicht immer pfeifen, und dich von einer Arbeit
zur andern jagen. Ich gieng alſo etliche Tag mit
unſerm Beckle hin; ſo hieß der Bub; ein rauher,
wilder, aber doch ehrlicher Burſche. Denkt doch!
Er ſtuhnd eines Tags wegen einer Mordthat im Ver-
dacht, da man eine alte Frau, welche wahrſcheinlich
uͤber einen Felſen hinunterſtuͤrzte, auf der Creutzegg
todt gefunden. Der Amtsdiener holte ihn aus dem
Bett nach Lichtenſteig. Man merkte aber bald,
daß er ganz unſchuldig war, und er kam zu meiner
groſſen Freud noch denſelben Abend wieder heim. —
Nun trat ich mein neues Ehrenamt an. Der Va-
ter wollte zwar den Veckle als Knecht behalten;
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[24/0040] Denk doch, eine ganze Stund weit! und bey Don- ner und Hagel, oder wenn ſonſt die Nacht einfaͤllt, nie wiſſen, wo er iſt. Das iſt mein Tod, und Du mußt’s verantworten. Ich. Nein, nein, Mutter! Ich will ſchon Sorg haben, und kann ja drein ſchlagen wann ein Thier kommt, und vor’m Wetter untern Felſen kreuchen, und, wenn’s nachtet, heimfahren; und die Geiſſen will ich, was gilt’s, ſchon paſchgen. Vater. Hoͤrſt jetzt! Eine Woche mußt’ mir erſt mit dem Geißbub gehen. Dann gieb wohl Achtung wie er’s macht; wie er die Geiſſen alle heißt, und ihnen lockt und pfeift; wo er durchfahrt, und wo ſie die beßte Waid finden. Ja, ja! ſagt’ ich, ſprang hoch auf, und dacht’: Im Kohlwald da biſt du frey; da wird dir der Va- ter nicht immer pfeifen, und dich von einer Arbeit zur andern jagen. Ich gieng alſo etliche Tag mit unſerm Beckle hin; ſo hieß der Bub; ein rauher, wilder, aber doch ehrlicher Burſche. Denkt doch! Er ſtuhnd eines Tags wegen einer Mordthat im Ver- dacht, da man eine alte Frau, welche wahrſcheinlich uͤber einen Felſen hinunterſtuͤrzte, auf der Creutzegg todt gefunden. Der Amtsdiener holte ihn aus dem Bett nach Lichtenſteig. Man merkte aber bald, daß er ganz unſchuldig war, und er kam zu meiner groſſen Freud noch denſelben Abend wieder heim. — Nun trat ich mein neues Ehrenamt an. Der Va- ter wollte zwar den Veckle als Knecht behalten; aber die Arbeit war ihm zu ſtreng, und er nahm

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/40>, abgerufen am 18.04.2024.