Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

Gelingt es mir aber jede Woche etwa einmal, daß
ich mich auf ein paar Stunden entfernen kann, so
-- ich will es nur gestehen -- geh' ich dann lieber
sonst irgend einem unschuldigen Vergnügen nach, das
mir den Kopf aufräumt, anstatt ihn, mitten unter
allem Hausgelerm, an meinem Pulte noch mehr zu
erhitzen. Einzig wird es mir von Zeit zu Zeit, etwa
an einem Sonntag oder Feyerabend, noch zu gut,
ein schönes Büchelgen zu überschnappen, das ich aber,
eh' ich's recht ausgelesen, weiter bestellen muß. In-
zwischen giebt's denn wieder so ein herziges Ding, dem
ich ebenfalls nicht widerstehen kann. Und so bleibt
mir vollends oft wochenlang zum Schreiben nicht ein
Augenblick übrig, so sehr ich auch den Lust und Wil-
len hätte, diese und jene zufälligen Gedanken und
Empfindungen aufs Papier zu werfen; bis etwa nach
der Hand sich eine schickliche Viertelstunde darbietet,
wo aber dann das Beßte gutentheils wieder verraucht,
und auf immer verloren ist. Dann denk' ich (frey-
lich vielleicht wie der Fuchs in der Fabel): "Und
"wozu am End alle dieß Dinten verderben? Wirst
"doch dein Lebtag kein eigentlicher Autor werden"!
Und wirklich daran kam mir oft Jahre lang nur der
Sinn nie -- Wenn ich zumal in irgend einem guten
Schriftsteller las, mocht' ich mein Geschmier vollends
nicht mehr anseh'n, und bin zugleich überzeugt, daß
ich in meinen alten Tagen, es besser zu machen kaum
mehr lernen, sondern halt so fortfahren werde, ohne
Kopf und Schwanz, bisweilen auch ohne Punkt und
Comma, Schwarz auf Weiß zu klecksen, so lang mei-

Gelingt es mir aber jede Woche etwa einmal, daß
ich mich auf ein paar Stunden entfernen kann, ſo
— ich will es nur geſtehen — geh’ ich dann lieber
ſonſt irgend einem unſchuldigen Vergnuͤgen nach, das
mir den Kopf aufraͤumt, anſtatt ihn, mitten unter
allem Hausgelerm, an meinem Pulte noch mehr zu
erhitzen. Einzig wird es mir von Zeit zu Zeit, etwa
an einem Sonntag oder Feyerabend, noch zu gut,
ein ſchoͤnes Buͤchelgen zu uͤberſchnappen, das ich aber,
eh’ ich’s recht ausgeleſen, weiter beſtellen muß. In-
zwiſchen giebt’s denn wieder ſo ein herziges Ding, dem
ich ebenfalls nicht widerſtehen kann. Und ſo bleibt
mir vollends oft wochenlang zum Schreiben nicht ein
Augenblick uͤbrig, ſo ſehr ich auch den Luſt und Wil-
len haͤtte, dieſe und jene zufaͤlligen Gedanken und
Empfindungen aufs Papier zu werfen; bis etwa nach
der Hand ſich eine ſchickliche Viertelſtunde darbietet,
wo aber dann das Beßte gutentheils wieder verraucht,
und auf immer verloren iſt. Dann denk’ ich (frey-
lich vielleicht wie der Fuchs in der Fabel): „Und
„wozu am End alle dieß Dinten verderben? Wirſt
„doch dein Lebtag kein eigentlicher Autor werden„!
Und wirklich daran kam mir oft Jahre lang nur der
Sinn nie — Wenn ich zumal in irgend einem guten
Schriftſteller las, mocht’ ich mein Geſchmier vollends
nicht mehr anſeh’n, und bin zugleich uͤberzeugt, daß
ich in meinen alten Tagen, es beſſer zu machen kaum
mehr lernen, ſondern halt ſo fortfahren werde, ohne
Kopf und Schwanz, bisweilen auch ohne Punkt und
Comma, Schwarz auf Weiß zu kleckſen, ſo lang mei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="229"/>
Gelingt es mir aber jede Woche etwa einmal, daß<lb/>
ich mich auf ein paar Stunden entfernen kann, &#x017F;o<lb/>
&#x2014; ich will es nur ge&#x017F;tehen &#x2014; geh&#x2019; ich dann lieber<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t irgend einem un&#x017F;chuldigen Vergnu&#x0364;gen nach, das<lb/>
mir den Kopf aufra&#x0364;umt, an&#x017F;tatt ihn, mitten unter<lb/>
allem Hausgelerm, an meinem Pulte noch mehr zu<lb/>
erhitzen. Einzig wird es mir von Zeit zu Zeit, etwa<lb/>
an einem Sonntag oder Feyerabend, noch zu gut,<lb/>
ein &#x017F;cho&#x0364;nes Bu&#x0364;chelgen zu u&#x0364;ber&#x017F;chnappen, das ich aber,<lb/>
eh&#x2019; ich&#x2019;s recht ausgele&#x017F;en, weiter be&#x017F;tellen muß. In-<lb/>
zwi&#x017F;chen giebt&#x2019;s denn wieder &#x017F;o ein herziges Ding, dem<lb/>
ich ebenfalls nicht wider&#x017F;tehen kann. Und &#x017F;o bleibt<lb/>
mir vollends oft wochenlang zum Schreiben nicht ein<lb/>
Augenblick u&#x0364;brig, &#x017F;o &#x017F;ehr ich auch den Lu&#x017F;t und Wil-<lb/>
len ha&#x0364;tte, die&#x017F;e und jene zufa&#x0364;lligen Gedanken und<lb/>
Empfindungen aufs Papier zu werfen; bis etwa nach<lb/>
der Hand &#x017F;ich eine &#x017F;chickliche Viertel&#x017F;tunde darbietet,<lb/>
wo aber dann das Beßte gutentheils wieder verraucht,<lb/>
und auf immer verloren i&#x017F;t. Dann denk&#x2019; ich (frey-<lb/>
lich vielleicht wie der Fuchs in der Fabel): &#x201E;Und<lb/>
&#x201E;wozu am End alle dieß Dinten verderben? Wir&#x017F;t<lb/>
&#x201E;doch dein Lebtag kein eigentlicher Autor werden&#x201E;!<lb/>
Und wirklich daran kam mir oft Jahre lang nur der<lb/>
Sinn nie &#x2014; Wenn ich zumal in irgend einem guten<lb/>
Schrift&#x017F;teller las, mocht&#x2019; ich mein Ge&#x017F;chmier vollends<lb/>
nicht mehr an&#x017F;eh&#x2019;n, und bin zugleich u&#x0364;berzeugt, daß<lb/>
ich in meinen alten Tagen, es be&#x017F;&#x017F;er zu machen kaum<lb/>
mehr lernen, &#x017F;ondern halt &#x017F;o fortfahren werde, ohne<lb/>
Kopf und Schwanz, bisweilen auch ohne Punkt und<lb/>
Comma, Schwarz auf Weiß zu kleck&#x017F;en, &#x017F;o lang mei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[229/0245] Gelingt es mir aber jede Woche etwa einmal, daß ich mich auf ein paar Stunden entfernen kann, ſo — ich will es nur geſtehen — geh’ ich dann lieber ſonſt irgend einem unſchuldigen Vergnuͤgen nach, das mir den Kopf aufraͤumt, anſtatt ihn, mitten unter allem Hausgelerm, an meinem Pulte noch mehr zu erhitzen. Einzig wird es mir von Zeit zu Zeit, etwa an einem Sonntag oder Feyerabend, noch zu gut, ein ſchoͤnes Buͤchelgen zu uͤberſchnappen, das ich aber, eh’ ich’s recht ausgeleſen, weiter beſtellen muß. In- zwiſchen giebt’s denn wieder ſo ein herziges Ding, dem ich ebenfalls nicht widerſtehen kann. Und ſo bleibt mir vollends oft wochenlang zum Schreiben nicht ein Augenblick uͤbrig, ſo ſehr ich auch den Luſt und Wil- len haͤtte, dieſe und jene zufaͤlligen Gedanken und Empfindungen aufs Papier zu werfen; bis etwa nach der Hand ſich eine ſchickliche Viertelſtunde darbietet, wo aber dann das Beßte gutentheils wieder verraucht, und auf immer verloren iſt. Dann denk’ ich (frey- lich vielleicht wie der Fuchs in der Fabel): „Und „wozu am End alle dieß Dinten verderben? Wirſt „doch dein Lebtag kein eigentlicher Autor werden„! Und wirklich daran kam mir oft Jahre lang nur der Sinn nie — Wenn ich zumal in irgend einem guten Schriftſteller las, mocht’ ich mein Geſchmier vollends nicht mehr anſeh’n, und bin zugleich uͤberzeugt, daß ich in meinen alten Tagen, es beſſer zu machen kaum mehr lernen, ſondern halt ſo fortfahren werde, ohne Kopf und Schwanz, bisweilen auch ohne Punkt und Comma, Schwarz auf Weiß zu kleckſen, ſo lang mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/245
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/245>, abgerufen am 06.05.2024.