Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

Bild:
<< vorherige Seite

schreibsel, und nahm von dieser Stund' an meine Zu-
flucht einzig zu Gott, als meinem mächtigsten Freund
und sichersten Erretter, klagte demselben meine Noth,
befahl ihm alle meine Sachen, und betete innbrün-
stig -- nicht um ein Wunder zu meinem Beßten,
sondern um Gelassenheit, alles abzuwarten wie es
kommen möchte. Freylich wandelten auch im Verfolge
mich noch öftre Anfälle von meinem eingewurzelten
Kummerfieber an; aber dann eräugnete sich auch wie-
der manches, das meine Hoffnung stärkte. Ich wand-
te nämlich alle meine Leibs- und Seelenkräfte an,
meine kleinen Geschäfte zu vermehren; sah' überall
selber zu meinen Sachen; stellte mich gegen jeder-
mann nichts weniger als muthlos, sondern that im-
mer lustig und guter Dingen. Meinen Gläubigern
gab ich die beßten Worte, zahlte die ältern, und
borgte wieder bey andern. In der benachbarten Ge-
meinde Ganterschweil sah ich mich nach neuen
Spinnern um, so viel ich derselben aufzutreiben wuß-
te. Das Jahr 1778. gab mir ganz besondern Muth
und Zuversicht; mein Händelchen gieng damals vor-
trefflich von statten, und bald konnt' ich glauben,
daß ich mit Zeit und Weile mich vollkommen wieder
erholen und von meinem ganzen Schuldenlast entle-
digen würde. Aber die Angst will ich doch mein Ta-
ge nicht vergessen, die mich auch itzt noch zum öf-
tern quälte, wenn ich so den Geschäften nach trau-
rig meine Strasse gieng, und mich dem Comptor ei-
nes überlegenen Handelsmanns oder der Thür' eines
harten Gläubigers nahte, wie es mir da zu Muthe

P

ſchreibſel, und nahm von dieſer Stund’ an meine Zu-
flucht einzig zu Gott, als meinem maͤchtigſten Freund
und ſicherſten Erretter, klagte demſelben meine Noth,
befahl ihm alle meine Sachen, und betete innbruͤn-
ſtig -- nicht um ein Wunder zu meinem Beßten,
ſondern um Gelaſſenheit, alles abzuwarten wie es
kommen moͤchte. Freylich wandelten auch im Verfolge
mich noch oͤftre Anfaͤlle von meinem eingewurzelten
Kummerfieber an; aber dann eraͤugnete ſich auch wie-
der manches, das meine Hoffnung ſtaͤrkte. Ich wand-
te naͤmlich alle meine Leibs- und Seelenkraͤfte an,
meine kleinen Geſchaͤfte zu vermehren; ſah’ uͤberall
ſelber zu meinen Sachen; ſtellte mich gegen jeder-
mann nichts weniger als muthlos, ſondern that im-
mer luſtig und guter Dingen. Meinen Glaͤubigern
gab ich die beßten Worte, zahlte die aͤltern, und
borgte wieder bey andern. In der benachbarten Ge-
meinde Ganterſchweil ſah ich mich nach neuen
Spinnern um, ſo viel ich derſelben aufzutreiben wuß-
te. Das Jahr 1778. gab mir ganz beſondern Muth
und Zuverſicht; mein Haͤndelchen gieng damals vor-
trefflich von ſtatten, und bald konnt’ ich glauben,
daß ich mit Zeit und Weile mich vollkommen wieder
erholen und von meinem ganzen Schuldenlaſt entle-
digen wuͤrde. Aber die Angſt will ich doch mein Ta-
ge nicht vergeſſen, die mich auch itzt noch zum oͤf-
tern quaͤlte, wenn ich ſo den Geſchaͤften nach trau-
rig meine Straſſe gieng, und mich dem Comptor ei-
nes uͤberlegenen Handelsmanns oder der Thuͤr’ eines
harten Glaͤubigers nahte, wie es mir da zu Muthe

P
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0241" n="225"/>
&#x017F;chreib&#x017F;el, und nahm von die&#x017F;er Stund&#x2019; an meine Zu-<lb/>
flucht einzig zu Gott, als meinem ma&#x0364;chtig&#x017F;ten Freund<lb/>
und &#x017F;icher&#x017F;ten Erretter, klagte dem&#x017F;elben meine Noth,<lb/>
befahl ihm alle meine Sachen, und betete innbru&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;tig -- nicht um ein Wunder zu meinem Beßten,<lb/>
&#x017F;ondern um Gela&#x017F;&#x017F;enheit, alles abzuwarten wie es<lb/>
kommen mo&#x0364;chte. Freylich wandelten auch im Verfolge<lb/>
mich noch o&#x0364;ftre Anfa&#x0364;lle von meinem eingewurzelten<lb/>
Kummerfieber an; aber dann era&#x0364;ugnete &#x017F;ich auch wie-<lb/>
der manches, das meine Hoffnung &#x017F;ta&#x0364;rkte. Ich wand-<lb/>
te na&#x0364;mlich alle meine Leibs- und Seelenkra&#x0364;fte an,<lb/>
meine kleinen Ge&#x017F;cha&#x0364;fte zu vermehren; &#x017F;ah&#x2019; u&#x0364;berall<lb/>
&#x017F;elber zu meinen Sachen; &#x017F;tellte mich gegen jeder-<lb/>
mann nichts weniger als muthlos, &#x017F;ondern that im-<lb/>
mer lu&#x017F;tig und guter Dingen. Meinen Gla&#x0364;ubigern<lb/>
gab ich die beßten Worte, zahlte die a&#x0364;ltern, und<lb/>
borgte wieder bey andern. In der benachbarten Ge-<lb/>
meinde <hi rendition="#fr">Ganter&#x017F;chweil</hi> &#x017F;ah ich mich nach neuen<lb/>
Spinnern um, &#x017F;o viel ich der&#x017F;elben aufzutreiben wuß-<lb/>
te. Das Jahr 1778. gab mir ganz be&#x017F;ondern Muth<lb/>
und Zuver&#x017F;icht; mein Ha&#x0364;ndelchen gieng damals vor-<lb/>
trefflich von &#x017F;tatten, und bald konnt&#x2019; ich glauben,<lb/>
daß ich mit Zeit und Weile mich vollkommen wieder<lb/>
erholen und von meinem ganzen Schuldenla&#x017F;t entle-<lb/>
digen wu&#x0364;rde. Aber die Ang&#x017F;t will ich doch mein Ta-<lb/>
ge nicht verge&#x017F;&#x017F;en, die mich auch itzt noch zum o&#x0364;f-<lb/>
tern qua&#x0364;lte, wenn ich &#x017F;o den Ge&#x017F;cha&#x0364;ften nach trau-<lb/>
rig meine Stra&#x017F;&#x017F;e gieng, und mich dem Comptor ei-<lb/>
nes u&#x0364;berlegenen Handelsmanns oder der Thu&#x0364;r&#x2019; eines<lb/>
harten Gla&#x0364;ubigers nahte, wie es mir da zu Muthe<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0241] ſchreibſel, und nahm von dieſer Stund’ an meine Zu- flucht einzig zu Gott, als meinem maͤchtigſten Freund und ſicherſten Erretter, klagte demſelben meine Noth, befahl ihm alle meine Sachen, und betete innbruͤn- ſtig -- nicht um ein Wunder zu meinem Beßten, ſondern um Gelaſſenheit, alles abzuwarten wie es kommen moͤchte. Freylich wandelten auch im Verfolge mich noch oͤftre Anfaͤlle von meinem eingewurzelten Kummerfieber an; aber dann eraͤugnete ſich auch wie- der manches, das meine Hoffnung ſtaͤrkte. Ich wand- te naͤmlich alle meine Leibs- und Seelenkraͤfte an, meine kleinen Geſchaͤfte zu vermehren; ſah’ uͤberall ſelber zu meinen Sachen; ſtellte mich gegen jeder- mann nichts weniger als muthlos, ſondern that im- mer luſtig und guter Dingen. Meinen Glaͤubigern gab ich die beßten Worte, zahlte die aͤltern, und borgte wieder bey andern. In der benachbarten Ge- meinde Ganterſchweil ſah ich mich nach neuen Spinnern um, ſo viel ich derſelben aufzutreiben wuß- te. Das Jahr 1778. gab mir ganz beſondern Muth und Zuverſicht; mein Haͤndelchen gieng damals vor- trefflich von ſtatten, und bald konnt’ ich glauben, daß ich mit Zeit und Weile mich vollkommen wieder erholen und von meinem ganzen Schuldenlaſt entle- digen wuͤrde. Aber die Angſt will ich doch mein Ta- ge nicht vergeſſen, die mich auch itzt noch zum oͤf- tern quaͤlte, wenn ich ſo den Geſchaͤften nach trau- rig meine Straſſe gieng, und mich dem Comptor ei- nes uͤberlegenen Handelsmanns oder der Thuͤr’ eines harten Glaͤubigers nahte, wie es mir da zu Muthe P

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/241
Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/241>, abgerufen am 06.05.2024.