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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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"auch noch meinem Geburtsland schaden, seinen
"Brodkorb verschleicken? Nein, nein! in deinem
"Schooß will ich leben und sterben, da alles erwar-
"ten, thun was ich kann, und für das übrige wei-
"ter den Himmel walten lassen. Stell' ich mir
"nicht meine Sachen vielleicht gar zu schrecklich vor?
"Gott! wenn mich meine Sünden so quälten wie
"meine Schulden! Aber, ich weiß daß du nicht so
"streng' bist wie die Menschen. Doch, laß sie ma-
"chen, ich hab's verdient. Nur bitt' ich, ewige
"Güte! von jenem argen Feind laß mich nicht län-
"ger quälen, nicht über mein Vermögen versucht
"werden"! So bekam ich von Zeit zu Zeit wieder
guten und festen Muth. Aber das währte dann nicht
länger, bis sich ein neuer Fall ereignete, wo ich mich
abermals des Gedankens nicht erwehren konnte: Itzt
ist's aus! Da ist kein Kraut mehr für ein unheilba-
res Uebel gewachsen. Aber auch dann bestuhnd's
mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit.

Eines Tags da ich eben auch etliche Gulden zu
borgen vergebens herumgelaufen, einer meiner Gläu-
biger mich mit entsetzlicher Rohheit anfuhr, und mir
sonst alles fatal und überzwerch gieng -- und ich dann
ganz melancholisch nach Haus kam -- meiner Frau
nach Gewohnheit nichts sagen noch klagen durfte,
wenn ich nicht hundert bittere Vorwürf' in mich schlü-
ken wollte -- gedacht' ich, wie sonst schon oft, meine
Zuflucht zum Schreiben zu nehmen -- konnt' aber
nichts hervorbringen, als verworrene Klaglieder, wel-
che beynahe an Lästerungen gränzten. Dann wollt'

„auch noch meinem Geburtsland ſchaden, ſeinen
„Brodkorb verſchleicken? Nein, nein! in deinem
„Schooß will ich leben und ſterben, da alles erwar-
„ten, thun was ich kann, und fuͤr das uͤbrige wei-
„ter den Himmel walten laſſen. Stell’ ich mir
„nicht meine Sachen vielleicht gar zu ſchrecklich vor?
„Gott! wenn mich meine Suͤnden ſo quaͤlten wie
„meine Schulden! Aber, ich weiß daß du nicht ſo
„ſtreng’ biſt wie die Menſchen. Doch, laß ſie ma-
„chen, ich hab’s verdient. Nur bitt’ ich, ewige
„Guͤte! von jenem argen Feind laß mich nicht laͤn-
„ger quaͤlen, nicht uͤber mein Vermoͤgen verſucht
„werden„! So bekam ich von Zeit zu Zeit wieder
guten und feſten Muth. Aber das waͤhrte dann nicht
laͤnger, bis ſich ein neuer Fall ereignete, wo ich mich
abermals des Gedankens nicht erwehren konnte: Itzt
iſt’s aus! Da iſt kein Kraut mehr fuͤr ein unheilba-
res Uebel gewachſen. Aber auch dann beſtuhnd’s
mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit.

Eines Tags da ich eben auch etliche Gulden zu
borgen vergebens herumgelaufen, einer meiner Glaͤu-
biger mich mit entſetzlicher Rohheit anfuhr, und mir
ſonſt alles fatal und uͤberzwerch gieng — und ich dann
ganz melancholiſch nach Haus kam — meiner Frau
nach Gewohnheit nichts ſagen noch klagen durfte,
wenn ich nicht hundert bittere Vorwuͤrf’ in mich ſchluͤ-
ken wollte — gedacht’ ich, wie ſonſt ſchon oft, meine
Zuflucht zum Schreiben zu nehmen — konnt’ aber
nichts hervorbringen, als verworrene Klaglieder, wel-
che beynahe an Laͤſterungen graͤnzten. Dann wollt’

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[217/0233] „auch noch meinem Geburtsland ſchaden, ſeinen „Brodkorb verſchleicken? Nein, nein! in deinem „Schooß will ich leben und ſterben, da alles erwar- „ten, thun was ich kann, und fuͤr das uͤbrige wei- „ter den Himmel walten laſſen. Stell’ ich mir „nicht meine Sachen vielleicht gar zu ſchrecklich vor? „Gott! wenn mich meine Suͤnden ſo quaͤlten wie „meine Schulden! Aber, ich weiß daß du nicht ſo „ſtreng’ biſt wie die Menſchen. Doch, laß ſie ma- „chen, ich hab’s verdient. Nur bitt’ ich, ewige „Guͤte! von jenem argen Feind laß mich nicht laͤn- „ger quaͤlen, nicht uͤber mein Vermoͤgen verſucht „werden„! So bekam ich von Zeit zu Zeit wieder guten und feſten Muth. Aber das waͤhrte dann nicht laͤnger, bis ſich ein neuer Fall ereignete, wo ich mich abermals des Gedankens nicht erwehren konnte: Itzt iſt’s aus! Da iſt kein Kraut mehr fuͤr ein unheilba- res Uebel gewachſen. Aber auch dann beſtuhnd’s mehr in der Einbildung als in der Wirklichkeit. Eines Tags da ich eben auch etliche Gulden zu borgen vergebens herumgelaufen, einer meiner Glaͤu- biger mich mit entſetzlicher Rohheit anfuhr, und mir ſonſt alles fatal und uͤberzwerch gieng — und ich dann ganz melancholiſch nach Haus kam — meiner Frau nach Gewohnheit nichts ſagen noch klagen durfte, wenn ich nicht hundert bittere Vorwuͤrf’ in mich ſchluͤ- ken wollte — gedacht’ ich, wie ſonſt ſchon oft, meine Zuflucht zum Schreiben zu nehmen — konnt’ aber nichts hervorbringen, als verworrene Klaglieder, wel- che beynahe an Laͤſterungen graͤnzten. Dann wollt’

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/233>, abgerufen am 24.11.2024.