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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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verreckten Pferd einen ganzen Sack voll Fleisch abge-
hackt, woran sich schon mehrere Tage Hunde und
Vögel satt gefressen. Noch itzt, wenn ich des An-
blicks gedenke, durchfährt Schauer und Entsetzen alle
meine Glieder. -- Bey alledem gieng mir mein eige-
ner Zustand nicht so sehr zu nahe, als die Noth mei-
ner Mutter und Geschwister, welche alle noch ärmer
waren als ich, und denen ich doch so wenig helfen
konnte. Indessen half ich über Vermögen, da ich
stets noch einichen Credit fand, und sie gar keinen.
Im May Ao. 71. verhalf mir ein gutmüthiger Mann
wieder zu einer Kuh und ein Paar Geißen, da er mir
Geld dazu bis auf den Herbst lieh; so daß ich nun-
mehr wenigstens ein Bischen Milch für meine Jun-
gen hatte. Aber verdienen konnt' ich nichts. Was
mir noch etwa von meinem Gewerb eingieng, mußt'
ich auf die Atzung von Menschen und Thieren ver-
wenden. Meine Schuldner bezahlten mich nicht; ich
konnte also hinwieder auch meine Gläubiger nicht be-
friedigen, und mußte durch Geld und Banmwolle auf
Borg nehmen, wo ich's fand. Endlich aber gieng dem
Faß vollends der Boden aus. Zwar kam mir mein
gewöhnliches: "Gott lebt noch! 's wird schon bes-
"ser werden"! noch immer in den Sinn; aber mei-
ne Gläubiger fiengen nichts desto weniger an, mich
zu mahnen, und zu drohen. Von Zeit zu Zeit mußt'
ich hören, wie dieser und jener bankerott machte. Es
gab hartherzige Kerls, die alle Tag mit den Schä-
tzern im Feld waren, ihre Schulden einzutreiben.
Neben andern traf die Reihe auch meinen Schwa-

verreckten Pferd einen ganzen Sack voll Fleiſch abge-
hackt, woran ſich ſchon mehrere Tage Hunde und
Voͤgel ſatt gefreſſen. Noch itzt, wenn ich des An-
blicks gedenke, durchfaͤhrt Schauer und Entſetzen alle
meine Glieder. — Bey alledem gieng mir mein eige-
ner Zuſtand nicht ſo ſehr zu nahe, als die Noth mei-
ner Mutter und Geſchwiſter, welche alle noch aͤrmer
waren als ich, und denen ich doch ſo wenig helfen
konnte. Indeſſen half ich uͤber Vermoͤgen, da ich
ſtets noch einichen Credit fand, und ſie gar keinen.
Im May Ao. 71. verhalf mir ein gutmuͤthiger Mann
wieder zu einer Kuh und ein Paar Geißen, da er mir
Geld dazu bis auf den Herbſt lieh; ſo daß ich nun-
mehr wenigſtens ein Bischen Milch fuͤr meine Jun-
gen hatte. Aber verdienen konnt’ ich nichts. Was
mir noch etwa von meinem Gewerb eingieng, mußt’
ich auf die Atzung von Menſchen und Thieren ver-
wenden. Meine Schuldner bezahlten mich nicht; ich
konnte alſo hinwieder auch meine Glaͤubiger nicht be-
friedigen, und mußte durch Geld und Banmwolle auf
Borg nehmen, wo ich’s fand. Endlich aber gieng dem
Faß vollends der Boden aus. Zwar kam mir mein
gewoͤhnliches: „Gott lebt noch! ’s wird ſchon beſ-
„ſer werden„! noch immer in den Sinn; aber mei-
ne Glaͤubiger fiengen nichts deſto weniger an, mich
zu mahnen, und zu drohen. Von Zeit zu Zeit mußt’
ich hoͤren, wie dieſer und jener bankerott machte. Es
gab hartherzige Kerls, die alle Tag mit den Schaͤ-
tzern im Feld waren, ihre Schulden einzutreiben.
Neben andern traf die Reihe auch meinen Schwa-

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[198/0214] verreckten Pferd einen ganzen Sack voll Fleiſch abge- hackt, woran ſich ſchon mehrere Tage Hunde und Voͤgel ſatt gefreſſen. Noch itzt, wenn ich des An- blicks gedenke, durchfaͤhrt Schauer und Entſetzen alle meine Glieder. — Bey alledem gieng mir mein eige- ner Zuſtand nicht ſo ſehr zu nahe, als die Noth mei- ner Mutter und Geſchwiſter, welche alle noch aͤrmer waren als ich, und denen ich doch ſo wenig helfen konnte. Indeſſen half ich uͤber Vermoͤgen, da ich ſtets noch einichen Credit fand, und ſie gar keinen. Im May Ao. 71. verhalf mir ein gutmuͤthiger Mann wieder zu einer Kuh und ein Paar Geißen, da er mir Geld dazu bis auf den Herbſt lieh; ſo daß ich nun- mehr wenigſtens ein Bischen Milch fuͤr meine Jun- gen hatte. Aber verdienen konnt’ ich nichts. Was mir noch etwa von meinem Gewerb eingieng, mußt’ ich auf die Atzung von Menſchen und Thieren ver- wenden. Meine Schuldner bezahlten mich nicht; ich konnte alſo hinwieder auch meine Glaͤubiger nicht be- friedigen, und mußte durch Geld und Banmwolle auf Borg nehmen, wo ich’s fand. Endlich aber gieng dem Faß vollends der Boden aus. Zwar kam mir mein gewoͤhnliches: „Gott lebt noch! ’s wird ſchon beſ- „ſer werden„! noch immer in den Sinn; aber mei- ne Glaͤubiger fiengen nichts deſto weniger an, mich zu mahnen, und zu drohen. Von Zeit zu Zeit mußt’ ich hoͤren, wie dieſer und jener bankerott machte. Es gab hartherzige Kerls, die alle Tag mit den Schaͤ- tzern im Feld waren, ihre Schulden einzutreiben. Neben andern traf die Reihe auch meinen Schwa-

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/214>, abgerufen am 27.11.2024.