erblaßten Leichnam. Unser Geheul ertönte durch den ganzen Wald. Man zog ihn auf seinem Schlitten nach Haus, wo noch die Mutter samt den Kleinen ihr Wehklagen mit dem unsrigen vereinten. Ein ar- mer Bube aß die Suppe, die auf den guten Herzens- vater gewartet hatte. Zehn Tage vorher hatt' ich das letztemal (o hätt' ich's gewußt, daß es das letz- temal wäre!) mit ihm gesprochen, und sagte er mir unter anderm: Er möchte sich die Augen ausweinen, wenn er bedenke, wie oft er den lieben Gott erzörnt. O welch einen guten Vater hatten wir, welch einen zärtlichen Ehemann unsre Mutter, welch eine redliche Seele und braven Biedermann alle die ihn kannten, an ihm verloren. Gott tröste seine Seele in alle Ewigkeit! Er hatte eine mühsame Pilgrimmschaft. Kummer und Sorgen aller Art, Krankheiten, drü- ckende Schuldenlast u. s. f. folgten ihm kehrum stets auf der Ferse nach. Sonntags den 28. Merz, wur- de er unter einem zahlreichen Gefolge zu seiner Ru- hestatt begleitet, und in unser aller Mutter Schooß hingelegt. Herr Pfarrherr Bösch ab dem Ebnet hielt ihm die Leichenrede, die für seine betrübten Hinter- laßnen ungemein tröstlich ausfiel, und von den ver- borgnen Absichten Gottes handelte. Der Selige mag sein Alter auf 54-55. Jahre gebracht haben. O wie oft besucht' ich seither das Plätzgen, wo er den letz- ten Athem ausgehaucht. Die sicherste Vermuthung über seine eigentliche Todesart, gab mir der Ort selbst an die Hand. Es war gähe hinab, wo er mit sei- nem Füderchen Holz hinunterfuhr. Der Schnee trug
erblaßten Leichnam. Unſer Geheul ertoͤnte durch den ganzen Wald. Man zog ihn auf ſeinem Schlitten nach Haus, wo noch die Mutter ſamt den Kleinen ihr Wehklagen mit dem unſrigen vereinten. Ein ar- mer Bube aß die Suppe, die auf den guten Herzens- vater gewartet hatte. Zehn Tage vorher hatt’ ich das letztemal (o haͤtt’ ich’s gewußt, daß es das letz- temal waͤre!) mit ihm geſprochen, und ſagte er mir unter anderm: Er moͤchte ſich die Augen ausweinen, wenn er bedenke, wie oft er den lieben Gott erzoͤrnt. O welch einen guten Vater hatten wir, welch einen zaͤrtlichen Ehemann unſre Mutter, welch eine redliche Seele und braven Biedermann alle die ihn kannten, an ihm verloren. Gott troͤſte ſeine Seele in alle Ewigkeit! Er hatte eine muͤhſame Pilgrimmſchaft. Kummer und Sorgen aller Art, Krankheiten, druͤ- ckende Schuldenlaſt u. ſ. f. folgten ihm kehrum ſtets auf der Ferſe nach. Sonntags den 28. Merz, wur- de er unter einem zahlreichen Gefolge zu ſeiner Ru- heſtatt begleitet, und in unſer aller Mutter Schooß hingelegt. Herr Pfarrherr Boͤſch ab dem Ebnet hielt ihm die Leichenrede, die fuͤr ſeine betruͤbten Hinter- laßnen ungemein troͤſtlich ausfiel, und von den ver- borgnen Abſichten Gottes handelte. Der Selige mag ſein Alter auf 54-55. Jahre gebracht haben. O wie oft beſucht’ ich ſeither das Plaͤtzgen, wo er den letz- ten Athem ausgehaucht. Die ſicherſte Vermuthung uͤber ſeine eigentliche Todesart, gab mir der Ort ſelbſt an die Hand. Es war gaͤhe hinab, wo er mit ſei- nem Fuͤderchen Holz hinunterfuhr. Der Schnee trug
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0201"n="185"/>
erblaßten Leichnam. Unſer Geheul ertoͤnte durch den<lb/>
ganzen Wald. Man zog ihn auf ſeinem Schlitten<lb/>
nach Haus, wo noch die Mutter ſamt den Kleinen<lb/>
ihr Wehklagen mit dem unſrigen vereinten. Ein ar-<lb/>
mer Bube aß die Suppe, die auf den guten Herzens-<lb/>
vater gewartet hatte. Zehn Tage vorher hatt’ ich<lb/>
das letztemal (o haͤtt’ ich’s gewußt, daß es das letz-<lb/>
temal waͤre!) mit ihm geſprochen, und ſagte er mir<lb/>
unter anderm: Er moͤchte ſich die Augen ausweinen,<lb/>
wenn er bedenke, wie oft er den lieben Gott erzoͤrnt.<lb/>
O welch einen guten Vater hatten wir, welch einen<lb/>
zaͤrtlichen Ehemann unſre Mutter, welch eine redliche<lb/>
Seele und braven Biedermann alle die ihn kannten,<lb/>
an ihm verloren. Gott troͤſte ſeine Seele in alle<lb/>
Ewigkeit! Er hatte eine muͤhſame Pilgrimmſchaft.<lb/>
Kummer und Sorgen aller Art, Krankheiten, druͤ-<lb/>
ckende Schuldenlaſt u. ſ. f. folgten ihm kehrum ſtets<lb/>
auf der Ferſe nach. Sonntags den 28. Merz, wur-<lb/>
de er unter einem zahlreichen Gefolge zu ſeiner Ru-<lb/>
heſtatt begleitet, und in unſer aller Mutter Schooß<lb/>
hingelegt. Herr Pfarrherr <hirendition="#fr">Boͤſch ab dem Ebnet</hi> hielt<lb/>
ihm die Leichenrede, die fuͤr ſeine betruͤbten Hinter-<lb/>
laßnen ungemein troͤſtlich ausfiel, und von den ver-<lb/>
borgnen Abſichten Gottes handelte. Der Selige mag<lb/>ſein Alter auf 54-55. Jahre gebracht haben. O wie<lb/>
oft beſucht’ ich ſeither das Plaͤtzgen, wo er den letz-<lb/>
ten Athem ausgehaucht. Die ſicherſte Vermuthung<lb/>
uͤber ſeine eigentliche Todesart, gab mir der Ort ſelbſt<lb/>
an die Hand. Es war gaͤhe hinab, wo er mit ſei-<lb/>
nem Fuͤderchen Holz hinunterfuhr. Der Schnee trug<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0201]
erblaßten Leichnam. Unſer Geheul ertoͤnte durch den
ganzen Wald. Man zog ihn auf ſeinem Schlitten
nach Haus, wo noch die Mutter ſamt den Kleinen
ihr Wehklagen mit dem unſrigen vereinten. Ein ar-
mer Bube aß die Suppe, die auf den guten Herzens-
vater gewartet hatte. Zehn Tage vorher hatt’ ich
das letztemal (o haͤtt’ ich’s gewußt, daß es das letz-
temal waͤre!) mit ihm geſprochen, und ſagte er mir
unter anderm: Er moͤchte ſich die Augen ausweinen,
wenn er bedenke, wie oft er den lieben Gott erzoͤrnt.
O welch einen guten Vater hatten wir, welch einen
zaͤrtlichen Ehemann unſre Mutter, welch eine redliche
Seele und braven Biedermann alle die ihn kannten,
an ihm verloren. Gott troͤſte ſeine Seele in alle
Ewigkeit! Er hatte eine muͤhſame Pilgrimmſchaft.
Kummer und Sorgen aller Art, Krankheiten, druͤ-
ckende Schuldenlaſt u. ſ. f. folgten ihm kehrum ſtets
auf der Ferſe nach. Sonntags den 28. Merz, wur-
de er unter einem zahlreichen Gefolge zu ſeiner Ru-
heſtatt begleitet, und in unſer aller Mutter Schooß
hingelegt. Herr Pfarrherr Boͤſch ab dem Ebnet hielt
ihm die Leichenrede, die fuͤr ſeine betruͤbten Hinter-
laßnen ungemein troͤſtlich ausfiel, und von den ver-
borgnen Abſichten Gottes handelte. Der Selige mag
ſein Alter auf 54-55. Jahre gebracht haben. O wie
oft beſucht’ ich ſeither das Plaͤtzgen, wo er den letz-
ten Athem ausgehaucht. Die ſicherſte Vermuthung
uͤber ſeine eigentliche Todesart, gab mir der Ort ſelbſt
an die Hand. Es war gaͤhe hinab, wo er mit ſei-
nem Fuͤderchen Holz hinunterfuhr. Der Schnee trug
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/201>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.