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Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.

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bon sens) der Geschmack*), den die Jdee des Künstlers pbo_015.002
nicht ungestraft verletzen darf.

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§ 8. Naturalismus.

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Ein grundsätzlicher, für die Kunst verderblicher Jrrtum pbo_015.005
ist es aber, anzunehmen, es sei die Aufgabe der Kunst, das pbo_015.006
bloße Dasein in einem beliebigen Ausschnitt wiederzugeben pbo_015.007
(falscher Naturalismus). Das Vorgeben, daß man damit pbo_015.008
das Schönheitsprinzip in der Kunst mit dem der Wahrheit pbo_015.009
vertausche, statt der Jdee nun der Natur folge, ist in diesem pbo_015.010
Sinne trügerisch. Denn die vorübergehende Erscheinung des pbo_015.011
Thatsächlichen, die Wirklichkeit, kann, wie die bloße Thatsache pbo_015.012
der Lüge beweist, weder für das allgemeingültige Prinzip pbo_015.013
der Welt, die Wahrheit, in Anspruch genommen werden, pbo_015.014
noch bedeutet die subjektive augenblickliche Wahrnehmung eines pbo_015.015
Einzelnen die Natur, wie sie sich objektiv der reinen Anschauung pbo_015.016
darstellt. Diese reine Anschauung macht aber, wie pbo_015.017
wir sahen, das Wesen des großen Künstlers. Jhm stellt sich pbo_015.018
die Natur nicht in leerer Aeußerlichkeit, sondern im Kerne, pbo_015.019
in ihrer Wahrheit dar. Darum ergreift er uns so tief und pbo_015.020
unmittelbar in seinem Werke, wie es das flüchtige, conventionelle pbo_015.021
Dasein niemals oder nur in jenen seltenen Augenblicken pbo_015.022
vermag, die bereits in diesem Sinne erhöht und verklärt pbo_015.023
erscheinen.

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§ 9. "Jdealismus und Realismus". pbo_015.025
(Schöner und Charakterisierender Stil.)

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Daraus wird man jedoch kaum den Schluß ziehen, als pbo_015.027
sei mit dem einheitlichen Formungsprinzip nun auch die

*) pbo_015.028
Vgl. über Entstehung und Jnhalt dieses Begriffs des Verf. Baltasar pbo_015.029
Gracian und die Hoflitteratur (Halle 1894) Teil I., Kap. 4.

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bon sens) der Geschmack*), den die Jdee des Künstlers pbo_015.002
nicht ungestraft verletzen darf.

pbo_015.003
§ 8. Naturalismus.

pbo_015.004
Ein grundsätzlicher, für die Kunst verderblicher Jrrtum pbo_015.005
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bloße Dasein in einem beliebigen Ausschnitt wiederzugeben pbo_015.007
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Sinne trügerisch. Denn die vorübergehende Erscheinung des pbo_015.011
Thatsächlichen, die Wirklichkeit, kann, wie die bloße Thatsache pbo_015.012
der Lüge beweist, weder für das allgemeingültige Prinzip pbo_015.013
der Welt, die Wahrheit, in Anspruch genommen werden, pbo_015.014
noch bedeutet die subjektive augenblickliche Wahrnehmung eines pbo_015.015
Einzelnen die Natur, wie sie sich objektiv der reinen Anschauung pbo_015.016
darstellt. Diese reine Anschauung macht aber, wie pbo_015.017
wir sahen, das Wesen des großen Künstlers. Jhm stellt sich pbo_015.018
die Natur nicht in leerer Aeußerlichkeit, sondern im Kerne, pbo_015.019
in ihrer Wahrheit dar. Darum ergreift er uns so tief und pbo_015.020
unmittelbar in seinem Werke, wie es das flüchtige, conventionelle pbo_015.021
Dasein niemals oder nur in jenen seltenen Augenblicken pbo_015.022
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§ 9. „Jdealismus und Realismus“. pbo_015.025
(Schöner und Charakterisierender Stil.)

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Daraus wird man jedoch kaum den Schluß ziehen, als pbo_015.027
sei mit dem einheitlichen Formungsprinzip nun auch die

*) pbo_015.028
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Zitationshilfe: Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/borinski_poetik_1895/19>, abgerufen am 19.04.2024.