Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_133.001 § 93. Jdee des Lebensromans. pbo_133.015 pbo_133.001 § 93. Jdee des Lebensromans. pbo_133.015 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0137" n="133"/><lb n="pbo_133.001"/> Mißverhältnisses zur Welt nötig macht, im innersten Grunde <lb n="pbo_133.002"/> aber auf ihrer Seite (ja sozusagen <hi rendition="#g">sie selber</hi>) sind und <lb n="pbo_133.003"/> ihren Anteil an ihrem Geschick in jenem besonderen <hi rendition="#g">Humor</hi> <lb n="pbo_133.004"/> entladen, der die „lachende <hi rendition="#g">Thräne</hi> im Wappen führt.“ <lb n="pbo_133.005"/> Wir sehen also, daß die Gegensatzfigur der Komödie gerade <lb n="pbo_133.006"/> hier erst auf epischem Gebiete sich recht ausleben kann, zu <lb n="pbo_133.007"/> ihrem poetischen Rechte kommt und so den Kreis der Poesie <lb n="pbo_133.008"/> in seinem Berührungspunkte mit der Prosa gleichsam abschließt. <lb n="pbo_133.009"/> Das Epos drohte im Roman der Prosa zu verfallen. Dadurch <lb n="pbo_133.010"/> aber, daß die Prosa komisch wird, wird sie wieder im Jnnersten <lb n="pbo_133.011"/> <hi rendition="#g">negiert,</hi> gerade dadurch wieder zur Poesie. Der komische <lb n="pbo_133.012"/> Roman ist der Botschafter der Poesie mitten im Gebiete der <lb n="pbo_133.013"/> Prosa.</p> <lb n="pbo_133.014"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 93. Jdee des Lebensromans.</hi> </head> <p><lb n="pbo_133.015"/> Wahre Meisterwerke im <hi rendition="#g">Roman</hi> überhaupt sind daher <lb n="pbo_133.016"/> durchwegs im Zeichen des komischen Romans geschaffen und <lb n="pbo_133.017"/> nur in ihm möglich. Besonders deutlich wird dies an dem <lb n="pbo_133.018"/> klassischen Produkte dieser Gattung, Goethes <hi rendition="#g">Wilhelm Meister,</hi> <lb n="pbo_133.019"/> der nach dieser Richtung als Kanon dienen kann, da er gar <lb n="pbo_133.020"/> nicht als komischer Roman auftritt und dennoch die beschriebenen <lb n="pbo_133.021"/> inneren Kennzeichen desselben in verblüffendem <lb n="pbo_133.022"/> Maße aufweist. Wilhelm Meisters <hi rendition="#g">Belehrung</hi> über die <lb n="pbo_133.023"/> Unzukömmlichkeiten der Welt, denen er sein reines Streben <lb n="pbo_133.024"/> in den wunderlichsten Formen anzupassen sucht, endet mit der <lb n="pbo_133.025"/> <hi rendition="#g">Entsagung,</hi> d. h. mit der Einsicht von der Notwendigkeit <lb n="pbo_133.026"/> ihrer inneren Ueberwindung, durchaus nicht mit der Anerkennung <lb n="pbo_133.027"/> ihres wirklichen Treibens. Dies würde in sich zusammenfallen, <lb n="pbo_133.028"/> in allseitiger Empörung und Zerrüttung enden <lb n="pbo_133.029"/> ohne jenes in ihm verlachte reine Streben des unbelehrt und <lb n="pbo_133.030"/> in diesem letzten Grunde erfreulicherweise <hi rendition="#g">unbelehrbar</hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [133/0137]
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Mißverhältnisses zur Welt nötig macht, im innersten Grunde pbo_133.002
aber auf ihrer Seite (ja sozusagen sie selber) sind und pbo_133.003
ihren Anteil an ihrem Geschick in jenem besonderen Humor pbo_133.004
entladen, der die „lachende Thräne im Wappen führt.“ pbo_133.005
Wir sehen also, daß die Gegensatzfigur der Komödie gerade pbo_133.006
hier erst auf epischem Gebiete sich recht ausleben kann, zu pbo_133.007
ihrem poetischen Rechte kommt und so den Kreis der Poesie pbo_133.008
in seinem Berührungspunkte mit der Prosa gleichsam abschließt. pbo_133.009
Das Epos drohte im Roman der Prosa zu verfallen. Dadurch pbo_133.010
aber, daß die Prosa komisch wird, wird sie wieder im Jnnersten pbo_133.011
negiert, gerade dadurch wieder zur Poesie. Der komische pbo_133.012
Roman ist der Botschafter der Poesie mitten im Gebiete der pbo_133.013
Prosa.
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§ 93. Jdee des Lebensromans. pbo_133.015
Wahre Meisterwerke im Roman überhaupt sind daher pbo_133.016
durchwegs im Zeichen des komischen Romans geschaffen und pbo_133.017
nur in ihm möglich. Besonders deutlich wird dies an dem pbo_133.018
klassischen Produkte dieser Gattung, Goethes Wilhelm Meister, pbo_133.019
der nach dieser Richtung als Kanon dienen kann, da er gar pbo_133.020
nicht als komischer Roman auftritt und dennoch die beschriebenen pbo_133.021
inneren Kennzeichen desselben in verblüffendem pbo_133.022
Maße aufweist. Wilhelm Meisters Belehrung über die pbo_133.023
Unzukömmlichkeiten der Welt, denen er sein reines Streben pbo_133.024
in den wunderlichsten Formen anzupassen sucht, endet mit der pbo_133.025
Entsagung, d. h. mit der Einsicht von der Notwendigkeit pbo_133.026
ihrer inneren Ueberwindung, durchaus nicht mit der Anerkennung pbo_133.027
ihres wirklichen Treibens. Dies würde in sich zusammenfallen, pbo_133.028
in allseitiger Empörung und Zerrüttung enden pbo_133.029
ohne jenes in ihm verlachte reine Streben des unbelehrt und pbo_133.030
in diesem letzten Grunde erfreulicherweise unbelehrbar
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