Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_130.001 § 90. Komisches Epos. pbo_130.010 pbo_130.001 § 90. Komisches Epos. pbo_130.010 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0134" n="130"/><lb n="pbo_130.001"/> der Menschennatur in Götterbildern) und damit eine <hi rendition="#g">Parodie</hi> <lb n="pbo_130.002"/> des an die Gottheit geknüpften Heroischen herausfinden. Das <lb n="pbo_130.003"/> Tierepos wird also in seiner Jdee zu einer <hi rendition="#g">Parodie</hi> des <lb n="pbo_130.004"/> Heldenepos. Wie dort das Hohe und Ungemeine der Menschennatur, <lb n="pbo_130.005"/> so findet hier das Niedrige und ganz Gemeine des <lb n="pbo_130.006"/> großen Weltverkehrs seinen Sittenspiegel, in dem „das <lb n="pbo_130.007"/> Menschengeschlecht sich in seiner ungeheuchelten Tierheit ganz <lb n="pbo_130.008"/> natürlich vorträgt.“ (Goethe.)</p> <lb n="pbo_130.009"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 90. Komisches Epos.</hi> </head> <p><lb n="pbo_130.010"/> Wir stehen somit im Tierepos bereits ganz auf dem <lb n="pbo_130.011"/> Boden eines <hi rendition="#g">komischen Epos,</hi> das dem heroischen, wie <lb n="pbo_130.012"/> auf dramatischem Gebiete die Komödie der Tragödie, gegenübertreten <lb n="pbo_130.013"/> müßte. Doch scheint der breite Rahmen des <lb n="pbo_130.014"/> Epos, der unbefangener als die Tragödie sogar bei den Alten <lb n="pbo_130.015"/> (Thersites in der „Jlias“ und die ganze „Odyssee“) das <lb n="pbo_130.016"/> Komische selbst oder eine leichte komische Beleuchtung (das <lb n="pbo_130.017"/> Abenteuer des Odysseus mit Polyphem) zuläßt, ein derartiges <lb n="pbo_130.018"/> Komplement nicht so entschieden zu fordern, wie die Komödie <lb n="pbo_130.019"/> es für die Tragödie bildet. Alles was daher als komisches <lb n="pbo_130.020"/> Epos oder unter dem Namen der <hi rendition="#g">Epopöe</hi> dafür auftritt <lb n="pbo_130.021"/> (Boileaus „Chorpult“, Popes „Lockenraub“ und die an ihn <lb n="pbo_130.022"/> anschließenden deutschen Versuche: Zachariäs „Renommist“), <lb n="pbo_130.023"/> behält im Gegensatze zur poetischen Naturnotwendigkeit der <lb n="pbo_130.024"/> großen Komödie immer etwas Kleinliches, Gemachtes, <lb n="pbo_130.025"/> Spielerisches. Das Vornehmen, einen möglichst geringfügigen <lb n="pbo_130.026"/> Gegenstand, also den Streit zanksüchtiger Pfaffen um ein <lb n="pbo_130.027"/> Chorpult, den Raub einer Locke, die Contrahage zwischen <lb n="pbo_130.028"/> einem Jenenser Burschenschafter und einem Leipziger Korpsstudenten <lb n="pbo_130.029"/> im Tone und mit allen Mitteln des Heldengedichts <lb n="pbo_130.030"/> zu besingen, macht eigentlich mehr die epische Dichtung überhaupt, </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0134]
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der Menschennatur in Götterbildern) und damit eine Parodie pbo_130.002
des an die Gottheit geknüpften Heroischen herausfinden. Das pbo_130.003
Tierepos wird also in seiner Jdee zu einer Parodie des pbo_130.004
Heldenepos. Wie dort das Hohe und Ungemeine der Menschennatur, pbo_130.005
so findet hier das Niedrige und ganz Gemeine des pbo_130.006
großen Weltverkehrs seinen Sittenspiegel, in dem „das pbo_130.007
Menschengeschlecht sich in seiner ungeheuchelten Tierheit ganz pbo_130.008
natürlich vorträgt.“ (Goethe.)
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§ 90. Komisches Epos. pbo_130.010
Wir stehen somit im Tierepos bereits ganz auf dem pbo_130.011
Boden eines komischen Epos, das dem heroischen, wie pbo_130.012
auf dramatischem Gebiete die Komödie der Tragödie, gegenübertreten pbo_130.013
müßte. Doch scheint der breite Rahmen des pbo_130.014
Epos, der unbefangener als die Tragödie sogar bei den Alten pbo_130.015
(Thersites in der „Jlias“ und die ganze „Odyssee“) das pbo_130.016
Komische selbst oder eine leichte komische Beleuchtung (das pbo_130.017
Abenteuer des Odysseus mit Polyphem) zuläßt, ein derartiges pbo_130.018
Komplement nicht so entschieden zu fordern, wie die Komödie pbo_130.019
es für die Tragödie bildet. Alles was daher als komisches pbo_130.020
Epos oder unter dem Namen der Epopöe dafür auftritt pbo_130.021
(Boileaus „Chorpult“, Popes „Lockenraub“ und die an ihn pbo_130.022
anschließenden deutschen Versuche: Zachariäs „Renommist“), pbo_130.023
behält im Gegensatze zur poetischen Naturnotwendigkeit der pbo_130.024
großen Komödie immer etwas Kleinliches, Gemachtes, pbo_130.025
Spielerisches. Das Vornehmen, einen möglichst geringfügigen pbo_130.026
Gegenstand, also den Streit zanksüchtiger Pfaffen um ein pbo_130.027
Chorpult, den Raub einer Locke, die Contrahage zwischen pbo_130.028
einem Jenenser Burschenschafter und einem Leipziger Korpsstudenten pbo_130.029
im Tone und mit allen Mitteln des Heldengedichts pbo_130.030
zu besingen, macht eigentlich mehr die epische Dichtung überhaupt,
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