Borinski, Karl: Deutsche Poetik. Stuttgart, 1895.pbo_120.001 pbo_120.005 § 80. Gegensatzfiguren. pbo_120.019 pbo_120.001 pbo_120.005 § 80. Gegensatzfiguren. pbo_120.019 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0124" n="120"/><lb n="pbo_120.001"/> sich seiner selbst zu gewissern, hier in der Form, daß es <lb n="pbo_120.002"/> seiner selbst froh wird. Das eben ist das „Erheiternde“, <lb n="pbo_120.003"/> nach Aristoteles das <hi rendition="#g">unschädlich</hi> Lächerliche (<foreign xml:lang="grc">γελοῖον οὐ</foreign> <lb n="pbo_120.004"/> <foreign xml:lang="grc">φθαρτικόν</foreign>) der Komödie.</p> <p><lb n="pbo_120.005"/> Es ist ganz natürlich, daß die Komödie von ihrem Anfange <lb n="pbo_120.006"/> an (in den grotesken politischen Karrikaturen des Aristophanes) <lb n="pbo_120.007"/> darauf verfallen mußte, den <hi rendition="#g">komischen Figuren,</hi> <lb n="pbo_120.008"/> überspannten Narren, eitlen Maulhelden, feigen Prahlhänsen, <lb n="pbo_120.009"/> Windbeuteln, Schuldenmachern, Parasiten, verliebten Greisen, <lb n="pbo_120.010"/> Kupplern, feilen Weibern u. s. f. wahre Menschen als <hi rendition="#g">Gegensätze</hi> <lb n="pbo_120.011"/> gegenüber zu stellen, die dann im vollen Gefühle der <lb n="pbo_120.012"/> Ueberlegenheit die Waffen des Witzes, der Schalkheit und <lb n="pbo_120.013"/> Jronie gegen ihre Umgebung anwenden. So schon der von <lb n="pbo_120.014"/> Gott Dionysos selber geführte tragische Dichter Aeschylos in <lb n="pbo_120.015"/> den die neuere Tragödienweisheit verspottenden „Wolken“ des <lb n="pbo_120.016"/> Aristophanes; so das klassische Muster dieser Art, Prinz Heinz <lb n="pbo_120.017"/> in der Falstaffkomödie Shakespeares.</p> <lb n="pbo_120.018"/> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c">§ 80. Gegensatzfiguren.</hi> </head> <p><lb n="pbo_120.019"/> Die Gegensatzfiguren, in denen die komische Handlung <lb n="pbo_120.020"/> sich von selbst zu größerem Ernst und vollerem Gefühl erhebt, <lb n="pbo_120.021"/> vermögen den unlöslichen Zusammenhang zwischen Tragödie <lb n="pbo_120.022"/> und Komödie auch äußerlich kenntlich zu machen, der den <lb n="pbo_120.023"/> Platonischen Sokrates (im „Gastmahl“) zu der Behauptung <lb n="pbo_120.024"/> veranlaßt, daß ein guter Tragödiendichter auch ein guter <lb n="pbo_120.025"/> Komödiendichter sein müßte. Keiner giebt ihm mehr recht <lb n="pbo_120.026"/> als der größte aller, Shakespeare, dem diese spezifische Form, <lb n="pbo_120.027"/> durch Gegensatzfiguren Tragödie und Komödie einander anzunähern, <lb n="pbo_120.028"/> so eigentümlich ist, daß es dem Schulverstande von <lb n="pbo_120.029"/> jeher schwer fiel, sie auseinander zu halten, und er lange <lb n="pbo_120.030"/> Zeit an dieser Weise des spät ganz gewürdigten englischen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0124]
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sich seiner selbst zu gewissern, hier in der Form, daß es pbo_120.002
seiner selbst froh wird. Das eben ist das „Erheiternde“, pbo_120.003
nach Aristoteles das unschädlich Lächerliche (γελοῖον οὐ pbo_120.004
φθαρτικόν) der Komödie.
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Es ist ganz natürlich, daß die Komödie von ihrem Anfange pbo_120.006
an (in den grotesken politischen Karrikaturen des Aristophanes) pbo_120.007
darauf verfallen mußte, den komischen Figuren, pbo_120.008
überspannten Narren, eitlen Maulhelden, feigen Prahlhänsen, pbo_120.009
Windbeuteln, Schuldenmachern, Parasiten, verliebten Greisen, pbo_120.010
Kupplern, feilen Weibern u. s. f. wahre Menschen als Gegensätze pbo_120.011
gegenüber zu stellen, die dann im vollen Gefühle der pbo_120.012
Ueberlegenheit die Waffen des Witzes, der Schalkheit und pbo_120.013
Jronie gegen ihre Umgebung anwenden. So schon der von pbo_120.014
Gott Dionysos selber geführte tragische Dichter Aeschylos in pbo_120.015
den die neuere Tragödienweisheit verspottenden „Wolken“ des pbo_120.016
Aristophanes; so das klassische Muster dieser Art, Prinz Heinz pbo_120.017
in der Falstaffkomödie Shakespeares.
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§ 80. Gegensatzfiguren. pbo_120.019
Die Gegensatzfiguren, in denen die komische Handlung pbo_120.020
sich von selbst zu größerem Ernst und vollerem Gefühl erhebt, pbo_120.021
vermögen den unlöslichen Zusammenhang zwischen Tragödie pbo_120.022
und Komödie auch äußerlich kenntlich zu machen, der den pbo_120.023
Platonischen Sokrates (im „Gastmahl“) zu der Behauptung pbo_120.024
veranlaßt, daß ein guter Tragödiendichter auch ein guter pbo_120.025
Komödiendichter sein müßte. Keiner giebt ihm mehr recht pbo_120.026
als der größte aller, Shakespeare, dem diese spezifische Form, pbo_120.027
durch Gegensatzfiguren Tragödie und Komödie einander anzunähern, pbo_120.028
so eigentümlich ist, daß es dem Schulverstande von pbo_120.029
jeher schwer fiel, sie auseinander zu halten, und er lange pbo_120.030
Zeit an dieser Weise des spät ganz gewürdigten englischen
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