Jedes Molekül soll als mechanisches System betrachtet werden, wie wir dieselben in § 25 definirt haben. In der Gas- theorie wird in der Regel angenommen, dass die Schwerpunkte je zweier Moleküle durchschnittlich so weit entfernt sind, dass die Zeit, während welcher ein Molekül mit einem anderen in Wechselwirkung begriffen ist, klein ist gegenüber der Zeit, während welcher es einer solchen Wechselwirkung nicht unter- liegt. Wir wollen jedoch hier den Fall nicht ausschliessen, dass zwei oder noch mehr Moleküle durch längere Zeit in Wechselwirkung begriffen sind, wie er bei theilweise dissociirten Gasen vorkommt; nur soll immer die Zahl der an einer Stelle des Raumes gleichzeitig mit einander in Wechselwirkung be- griffenen Moleküle ausserordentlich klein gegenüber der Ge- sammtzahl der im Gefässe vorhandenen Moleküle sein. Es sollen im Gase immer nur einzelne kleine Gruppen von Mole- külen in Wechselwirkung begriffen sein, deren Abstand von allen anderen Molekülen sehr gross ist, gegenüber ihrer Wirkungssphäre. In Folge dessen wird jedes Molekül von dem Momente an, wo es mit allen anderen ausser Wechsel- wirkung tritt, bis zu dem Momente, wo es wieder in Wechsel- wirkung mit anderen tritt, einen sehr weiten Weg zurücklegen, so dass die Häufigkeit der verschiedenen Arten von Zusammen- stössen nach den Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet werden kann.
Die Lage eines Moleküles einer bestimmten Gattung, welche wir die erste nennen wollen, sowie die relative Lage seiner Bestandtheile soll durch m generalisirte Coordinaten p1, p2 ... pm bestimmt sein. Diese Coordinaten und die dazu gehörigen Momente q1, q2 ... qm nennen wir die Variabeln 112).
Die dazu gehörigen Momentoide seien r1, r2 ... rm.
Drei der Coordinaten werden die absolute Lage eines Punktes des Moleküles, z. B. seines Schwerpunktes im Gefässe, bestimmen. Es sollen dies die drei Coordinaten p1, p2 und p3 sein, von denen wir, um eine bestimmte Vorstellung zu haben, voraussetzen, dass es die rechtwinkeligen Coordinaten des
IV. Abschnitt. [Gleich. 112]
Jedes Molekül soll als mechanisches System betrachtet werden, wie wir dieselben in § 25 definirt haben. In der Gas- theorie wird in der Regel angenommen, dass die Schwerpunkte je zweier Moleküle durchschnittlich so weit entfernt sind, dass die Zeit, während welcher ein Molekül mit einem anderen in Wechselwirkung begriffen ist, klein ist gegenüber der Zeit, während welcher es einer solchen Wechselwirkung nicht unter- liegt. Wir wollen jedoch hier den Fall nicht ausschliessen, dass zwei oder noch mehr Moleküle durch längere Zeit in Wechselwirkung begriffen sind, wie er bei theilweise dissociirten Gasen vorkommt; nur soll immer die Zahl der an einer Stelle des Raumes gleichzeitig mit einander in Wechselwirkung be- griffenen Moleküle ausserordentlich klein gegenüber der Ge- sammtzahl der im Gefässe vorhandenen Moleküle sein. Es sollen im Gase immer nur einzelne kleine Gruppen von Mole- külen in Wechselwirkung begriffen sein, deren Abstand von allen anderen Molekülen sehr gross ist, gegenüber ihrer Wirkungssphäre. In Folge dessen wird jedes Molekül von dem Momente an, wo es mit allen anderen ausser Wechsel- wirkung tritt, bis zu dem Momente, wo es wieder in Wechsel- wirkung mit anderen tritt, einen sehr weiten Weg zurücklegen, so dass die Häufigkeit der verschiedenen Arten von Zusammen- stössen nach den Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet werden kann.
Die Lage eines Moleküles einer bestimmten Gattung, welche wir die erste nennen wollen, sowie die relative Lage seiner Bestandtheile soll durch μ generalisirte Coordinaten p1, p2 … pμ bestimmt sein. Diese Coordinaten und die dazu gehörigen Momente q1, q2 … qμ nennen wir die Variabeln 112).
Die dazu gehörigen Momentoide seien r1, r2 … rμ.
Drei der Coordinaten werden die absolute Lage eines Punktes des Moleküles, z. B. seines Schwerpunktes im Gefässe, bestimmen. Es sollen dies die drei Coordinaten p1, p2 und p3 sein, von denen wir, um eine bestimmte Vorstellung zu haben, voraussetzen, dass es die rechtwinkeligen Coordinaten des
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IV. Abschnitt. [Gleich. 112]
Jedes Molekül soll als mechanisches System betrachtet
werden, wie wir dieselben in § 25 definirt haben. In der Gas-
theorie wird in der Regel angenommen, dass die Schwerpunkte
je zweier Moleküle durchschnittlich so weit entfernt sind, dass
die Zeit, während welcher ein Molekül mit einem anderen in
Wechselwirkung begriffen ist, klein ist gegenüber der Zeit,
während welcher es einer solchen Wechselwirkung nicht unter-
liegt. Wir wollen jedoch hier den Fall nicht ausschliessen,
dass zwei oder noch mehr Moleküle durch längere Zeit in
Wechselwirkung begriffen sind, wie er bei theilweise dissociirten
Gasen vorkommt; nur soll immer die Zahl der an einer Stelle
des Raumes gleichzeitig mit einander in Wechselwirkung be-
griffenen Moleküle ausserordentlich klein gegenüber der Ge-
sammtzahl der im Gefässe vorhandenen Moleküle sein. Es
sollen im Gase immer nur einzelne kleine Gruppen von Mole-
külen in Wechselwirkung begriffen sein, deren Abstand von
allen anderen Molekülen sehr gross ist, gegenüber ihrer
Wirkungssphäre. In Folge dessen wird jedes Molekül von
dem Momente an, wo es mit allen anderen ausser Wechsel-
wirkung tritt, bis zu dem Momente, wo es wieder in Wechsel-
wirkung mit anderen tritt, einen sehr weiten Weg zurücklegen,
so dass die Häufigkeit der verschiedenen Arten von Zusammen-
stössen nach den Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung
berechnet werden kann.
Die Lage eines Moleküles einer bestimmten Gattung,
welche wir die erste nennen wollen, sowie die relative Lage
seiner Bestandtheile soll durch μ generalisirte Coordinaten
p1, p2 … pμ
bestimmt sein. Diese Coordinaten und die dazu gehörigen
Momente q1, q2 … qμ nennen wir
die Variabeln 112).
Die dazu gehörigen Momentoide seien r1, r2 … rμ.
Drei der Coordinaten werden die absolute Lage eines
Punktes des Moleküles, z. B. seines Schwerpunktes im Gefässe,
bestimmen. Es sollen dies die drei Coordinaten p1, p2 und p3
sein, von denen wir, um eine bestimmte Vorstellung zu haben,
voraussetzen, dass es die rechtwinkeligen Coordinaten des
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Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 2. Leipzig, 1898, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie02_1898/124>, abgerufen am 13.04.2021.
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