Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

[Gleich. 17] § 3. Variabeln vor dem Stosse.
der Ausdruck dafür, dass eine Vertheilung molar-ungeordnet
ist. Wenn die Anordnung der Moleküle auch keine Regel-
mässigkeiten aufweist, die von einem endlichen Raume zu
einem anderen endlichen wechseln, wenn dieselbe also molar-
ungeordnet ist, so können trotzdem bestimmte Gruppen von je
zwei Nachbarmolekülen, (oder Gruppen, die, ohne endlich aus-
gedehnt zu sein, etwas mehr Moleküle umfassen), bestimmte
Regelmässigkeiten zeigen. Eine Vertheilung, welche Regel-
mässigkeiten dieser Art zeigt, wollen wir eine molekular-
geordnete nennen. Wir hätten (um aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit der möglichen Fälle nur zwei Beispiele her-
auszugreifen) eine molekular-geordnete Vertheilung, wenn jedes
Molekül auf das von ihm am wenigsten entfernte central
zuflöge, oder wenn jedes Molekül, dessen Geschwindigkeit unter
einer gewissen Grenze liegt, noch 10 auffallend langsame Mole-
küle zu unmittelbaren Nachbarn hätte. Wenn diese speciellen
Gruppirungen nicht auf gewisse Stellen im Gefässe beschränkt
wären, sondern sich durchschnittlich überall im ganzen Gefässe
gleich häufig vorfänden, so wäre die Vertheilung trotzdem molar-
ungeordnet. Es gälten dann die Formel 14 und 14 a noch immer
für einzelne Moleküle, nicht aber die Formel 17, da die Nach-
barschaft des Moleküls m von Einfluss auf die Wahrscheinlich-
keit wäre, dass das Molekül m1 im Raume Ph liegt. Die An-
wesenheit des Moleküls m1 im Raume Ph kann dann bei der
Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht als ein von der Nach-
barschaft des Moleküls m unabhängiges Ereigniss betrachtet
werden. Die Gültigkeit der Formel 17 und der beiden analogen
für die Zusammenstösse der Moleküle m untereinander, sowie
der Moleküle m1 untereinander kann daher als Definition des
Ausdruckes betrachtet werden: die Zustandsvertheilung ist
molekular-ungeordnet.

Sobald in einem Gase die mittlere Weglänge gross im
Vergleiche mit der mittleren Distanz zweier nächster Moleküle
ist, werden in kurzer Zeit ganz andere Moleküle als früher
einander nahe sein. Es wird daher eine molekular-geordnete,
aber molar-ungeordnete Vertheilung höchst wahrscheinlich in
kurzer Zeit auch in eine molekular-ungeordnete übergehen.
Jedes Molekül fliegt von einem Zusammenstosse bis zum nächsten
so weit, dass an der Stelle, wo es wiederum zusammenstösst,

[Gleich. 17] § 3. Variabeln vor dem Stosse.
der Ausdruck dafür, dass eine Vertheilung molar-ungeordnet
ist. Wenn die Anordnung der Moleküle auch keine Regel-
mässigkeiten aufweist, die von einem endlichen Raume zu
einem anderen endlichen wechseln, wenn dieselbe also molar-
ungeordnet ist, so können trotzdem bestimmte Gruppen von je
zwei Nachbarmolekülen, (oder Gruppen, die, ohne endlich aus-
gedehnt zu sein, etwas mehr Moleküle umfassen), bestimmte
Regelmässigkeiten zeigen. Eine Vertheilung, welche Regel-
mässigkeiten dieser Art zeigt, wollen wir eine molekular-
geordnete nennen. Wir hätten (um aus der unendlichen
Mannigfaltigkeit der möglichen Fälle nur zwei Beispiele her-
auszugreifen) eine molekular-geordnete Vertheilung, wenn jedes
Molekül auf das von ihm am wenigsten entfernte central
zuflöge, oder wenn jedes Molekül, dessen Geschwindigkeit unter
einer gewissen Grenze liegt, noch 10 auffallend langsame Mole-
küle zu unmittelbaren Nachbarn hätte. Wenn diese speciellen
Gruppirungen nicht auf gewisse Stellen im Gefässe beschränkt
wären, sondern sich durchschnittlich überall im ganzen Gefässe
gleich häufig vorfänden, so wäre die Vertheilung trotzdem molar-
ungeordnet. Es gälten dann die Formel 14 und 14 a noch immer
für einzelne Moleküle, nicht aber die Formel 17, da die Nach-
barschaft des Moleküls m von Einfluss auf die Wahrscheinlich-
keit wäre, dass das Molekül m1 im Raume Φ liegt. Die An-
wesenheit des Moleküls m1 im Raume Φ kann dann bei der
Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht als ein von der Nach-
barschaft des Moleküls m unabhängiges Ereigniss betrachtet
werden. Die Gültigkeit der Formel 17 und der beiden analogen
für die Zusammenstösse der Moleküle m untereinander, sowie
der Moleküle m1 untereinander kann daher als Definition des
Ausdruckes betrachtet werden: die Zustandsvertheilung ist
molekular-ungeordnet.

Sobald in einem Gase die mittlere Weglänge gross im
Vergleiche mit der mittleren Distanz zweier nächster Moleküle
ist, werden in kurzer Zeit ganz andere Moleküle als früher
einander nahe sein. Es wird daher eine molekular-geordnete,
aber molar-ungeordnete Vertheilung höchst wahrscheinlich in
kurzer Zeit auch in eine molekular-ungeordnete übergehen.
Jedes Molekül fliegt von einem Zusammenstosse bis zum nächsten
so weit, dass an der Stelle, wo es wiederum zusammenstösst,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0035" n="21"/><fw place="top" type="header">[Gleich. 17] § 3. Variabeln vor dem Stosse.</fw><lb/>
der Ausdruck dafür, dass eine Vertheilung molar-ungeordnet<lb/>
ist. Wenn die Anordnung der Moleküle auch keine Regel-<lb/>
mässigkeiten aufweist, die von einem endlichen Raume zu<lb/>
einem anderen endlichen wechseln, wenn dieselbe also molar-<lb/>
ungeordnet ist, so können trotzdem bestimmte Gruppen von je<lb/>
zwei Nachbarmolekülen, (oder Gruppen, die, ohne endlich aus-<lb/>
gedehnt zu sein, etwas mehr Moleküle umfassen), bestimmte<lb/>
Regelmässigkeiten zeigen. Eine Vertheilung, welche Regel-<lb/>
mässigkeiten dieser Art zeigt, wollen wir eine molekular-<lb/>
geordnete nennen. Wir hätten (um aus der unendlichen<lb/>
Mannigfaltigkeit der möglichen Fälle nur zwei Beispiele her-<lb/>
auszugreifen) eine molekular-geordnete Vertheilung, wenn jedes<lb/>
Molekül auf das von ihm am wenigsten entfernte central<lb/>
zuflöge, oder wenn jedes Molekül, dessen Geschwindigkeit unter<lb/>
einer gewissen Grenze liegt, noch 10 auffallend langsame Mole-<lb/>
küle zu unmittelbaren Nachbarn hätte. Wenn diese speciellen<lb/>
Gruppirungen nicht auf gewisse Stellen im Gefässe beschränkt<lb/>
wären, sondern sich durchschnittlich überall im ganzen Gefässe<lb/>
gleich häufig vorfänden, so wäre die Vertheilung trotzdem molar-<lb/>
ungeordnet. Es gälten dann die Formel 14 und 14 a noch immer<lb/>
für einzelne Moleküle, nicht aber die Formel 17, da die Nach-<lb/>
barschaft des Moleküls <hi rendition="#i">m</hi> von Einfluss auf die Wahrscheinlich-<lb/>
keit wäre, dass das Molekül <hi rendition="#i">m</hi><hi rendition="#sub">1</hi> im Raume <hi rendition="#i">&#x03A6;</hi> liegt. Die An-<lb/>
wesenheit des Moleküls <hi rendition="#i">m</hi><hi rendition="#sub">1</hi> im Raume <hi rendition="#i">&#x03A6;</hi> kann dann bei der<lb/>
Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht als ein von der Nach-<lb/>
barschaft des Moleküls <hi rendition="#i">m</hi> unabhängiges Ereigniss betrachtet<lb/>
werden. Die Gültigkeit der Formel 17 und der beiden analogen<lb/>
für die Zusammenstösse der Moleküle <hi rendition="#i">m</hi> untereinander, sowie<lb/>
der Moleküle <hi rendition="#i">m</hi><hi rendition="#sub">1</hi> untereinander kann daher als Definition des<lb/>
Ausdruckes betrachtet werden: die Zustandsvertheilung ist<lb/>
molekular-ungeordnet.</p><lb/>
          <p>Sobald in einem Gase die mittlere Weglänge gross im<lb/>
Vergleiche mit der mittleren Distanz zweier nächster Moleküle<lb/>
ist, werden in kurzer Zeit ganz andere Moleküle als früher<lb/>
einander nahe sein. Es wird daher eine molekular-geordnete,<lb/>
aber molar-ungeordnete Vertheilung höchst wahrscheinlich in<lb/>
kurzer Zeit auch in eine molekular-ungeordnete übergehen.<lb/>
Jedes Molekül fliegt von einem Zusammenstosse bis zum nächsten<lb/>
so weit, dass an der Stelle, wo es wiederum zusammenstösst,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0035] [Gleich. 17] § 3. Variabeln vor dem Stosse. der Ausdruck dafür, dass eine Vertheilung molar-ungeordnet ist. Wenn die Anordnung der Moleküle auch keine Regel- mässigkeiten aufweist, die von einem endlichen Raume zu einem anderen endlichen wechseln, wenn dieselbe also molar- ungeordnet ist, so können trotzdem bestimmte Gruppen von je zwei Nachbarmolekülen, (oder Gruppen, die, ohne endlich aus- gedehnt zu sein, etwas mehr Moleküle umfassen), bestimmte Regelmässigkeiten zeigen. Eine Vertheilung, welche Regel- mässigkeiten dieser Art zeigt, wollen wir eine molekular- geordnete nennen. Wir hätten (um aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der möglichen Fälle nur zwei Beispiele her- auszugreifen) eine molekular-geordnete Vertheilung, wenn jedes Molekül auf das von ihm am wenigsten entfernte central zuflöge, oder wenn jedes Molekül, dessen Geschwindigkeit unter einer gewissen Grenze liegt, noch 10 auffallend langsame Mole- küle zu unmittelbaren Nachbarn hätte. Wenn diese speciellen Gruppirungen nicht auf gewisse Stellen im Gefässe beschränkt wären, sondern sich durchschnittlich überall im ganzen Gefässe gleich häufig vorfänden, so wäre die Vertheilung trotzdem molar- ungeordnet. Es gälten dann die Formel 14 und 14 a noch immer für einzelne Moleküle, nicht aber die Formel 17, da die Nach- barschaft des Moleküls m von Einfluss auf die Wahrscheinlich- keit wäre, dass das Molekül m1 im Raume Φ liegt. Die An- wesenheit des Moleküls m1 im Raume Φ kann dann bei der Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht als ein von der Nach- barschaft des Moleküls m unabhängiges Ereigniss betrachtet werden. Die Gültigkeit der Formel 17 und der beiden analogen für die Zusammenstösse der Moleküle m untereinander, sowie der Moleküle m1 untereinander kann daher als Definition des Ausdruckes betrachtet werden: die Zustandsvertheilung ist molekular-ungeordnet. Sobald in einem Gase die mittlere Weglänge gross im Vergleiche mit der mittleren Distanz zweier nächster Moleküle ist, werden in kurzer Zeit ganz andere Moleküle als früher einander nahe sein. Es wird daher eine molekular-geordnete, aber molar-ungeordnete Vertheilung höchst wahrscheinlich in kurzer Zeit auch in eine molekular-ungeordnete übergehen. Jedes Molekül fliegt von einem Zusammenstosse bis zum nächsten so weit, dass an der Stelle, wo es wiederum zusammenstösst,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/35
Zitationshilfe: Boltzmann, Ludwig: Vorlesungen über Gastheorie. Bd. 1. Leipzig, 1896, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boltzmann_gastheorie01_1896/35>, abgerufen am 02.05.2024.