Cagliostro und die Halsbandgeschichte betrachtete. Er sah sie als revolutionaire Erscheinungen, als die ersten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬ gann. Und sie waren gerade das Gegentheil: das helle Aufflackern einer verlöschenden Zeit. Caglio¬ stro's Treiben war eine Parodie der monarchischen Taschenschauspielerkunst. Ganz wie er, zu gleichen Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬ sten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen, so oft wegen unzureichender Macht die List nöthig geworden. Die Halsbandgeschichte war die Sitten¬ verderbniß aller Höfe, nur daß sie hier zum ersten¬ male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr ist, was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes, die Großherzoglich-Sachsen-Weimar-Eisnach-Mos¬ kowitsche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬ fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen gewesen -- dann war die Halsbandgeschichte wohl eine revolutionaire Erscheinung. Aber an wem die Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬ tragen kann?
Das andere Haus gehörte einst der Ninon de l'Enclos, der schönen Magdalene -- ohne Reue -- die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erschö¬ pfen muß, wenn er ihr so viel vergeben will als sie ge¬ liebt hat. Ihre Zeitgenossen wunderten sich, daß sie
VI. 2
Caglioſtro und die Halsbandgeſchichte betrachtete. Er ſah ſie als revolutionaire Erſcheinungen, als die erſten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬ gann. Und ſie waren gerade das Gegentheil: das helle Aufflackern einer verlöſchenden Zeit. Caglio¬ ſtro's Treiben war eine Parodie der monarchiſchen Taſchenſchauſpielerkunſt. Ganz wie er, zu gleichen Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬ ſten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen, ſo oft wegen unzureichender Macht die Liſt nöthig geworden. Die Halsbandgeſchichte war die Sitten¬ verderbniß aller Höfe, nur daß ſie hier zum erſten¬ male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr iſt, was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes, die Großherzoglich-Sachſen-Weimar-Eisnach-Mos¬ kowitſche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬ fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen geweſen — dann war die Halsbandgeſchichte wohl eine revolutionaire Erſcheinung. Aber an wem die Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬ tragen kann?
Das andere Haus gehörte einſt der Ninon de l'Enclos, der ſchönen Magdalene — ohne Reue — die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erſchö¬ pfen muß, wenn er ihr ſo viel vergeben will als ſie ge¬ liebt hat. Ihre Zeitgenoſſen wunderten ſich, daß ſie
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Caglioſtro und die Halsbandgeſchichte betrachtete.
Er ſah ſie als revolutionaire Erſcheinungen, als die
erſten Blitze an, mit welchen das Weltgewitter be¬
gann. Und ſie waren gerade das Gegentheil: das
helle Aufflackern einer verlöſchenden Zeit. Caglio¬
ſtro's Treiben war eine Parodie der monarchiſchen
Taſchenſchauſpielerkunſt. Ganz wie er, zu gleichen
Zwecken und mit gleichen Mitteln, haben die Für¬
ſten aller Zeiten, die Völker aller Länder betrogen,
ſo oft wegen unzureichender Macht die Liſt nöthig
geworden. Die Halsbandgeſchichte war die Sitten¬
verderbniß aller Höfe, nur daß ſie hier zum erſten¬
male öffentlich geworden. Freilich wenn wahr iſt,
was neulich die Monteskikelchen an der Ilm und der
Saale, die edlen Ritter des Thüringer Waldes,
die Großherzoglich-Sachſen-Weimar-Eisnach-Mos¬
kowitſche Adelskammer behauptet: Daß Oef¬
fentlichkeit der Anfang aller Revolutionen
geweſen — dann war die Halsbandgeſchichte wohl
eine revolutionaire Erſcheinung. Aber an wem die
Schuld, wenn keine Monarchie die Oeffentlichket er¬
tragen kann?
Das andere Haus gehörte einſt der Ninon de
l'Enclos, der ſchönen Magdalene — ohne Reue —
die alle die unendliche Barmherzigkeit Gottes erſchö¬
pfen muß, wenn er ihr ſo viel vergeben will als ſie ge¬
liebt hat. Ihre Zeitgenoſſen wunderten ſich, daß ſie
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/29>, abgerufen am 16.02.2025.
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