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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei
Tage und bei Nacht darin reisen können. Ein frei¬
sinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬
stechung oder andere Verführung. Das traurigste
hierbei ist nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬
über frohlocken, sondern daß deren Freunde sich dar¬
über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬
macht werden. Das ist nun auch eine Thorheit und
zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬
stören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als
der sterbende Cato sprach; es giebt keine Tu¬
gend
! -- von dem Augenblicke an gab es keine
mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf
die, welche verführen, nicht auf die welche sich ver¬
führen lassen. Der gesündeste, der stärkste, der blü¬
hendste Mann -- ist er, darum, weil er so ist, der
Wirkung des Giftes weniger ausgesetzt? Er un¬
terliegt ihm wie der schwächste. Wie mit der Ge¬
sundheit des Körpers ist es auch mit der Gesund¬
heit der Seele. Auch der edelste Mensch hat Au¬
genblicke in seinem Leben, in welchen er sich dem
Teufel verschreiben möchte. Es sind Augenblicke der
Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der
Liebe, des Hasses oder was es sonst ist, was einen
guten Menschen aus seiner Bahn werfen kann. In
solchen Augenblicken ruft er den Teufel an; aber

rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei
Tage und bei Nacht darin reiſen können. Ein frei¬
ſinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬
ſtechung oder andere Verführung. Das traurigſte
hierbei iſt nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬
über frohlocken, ſondern daß deren Freunde ſich dar¬
über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬
macht werden. Das iſt nun auch eine Thorheit und
zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬
ſtören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als
der ſterbende Cato ſprach; es giebt keine Tu¬
gend
! — von dem Augenblicke an gab es keine
mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf
die, welche verführen, nicht auf die welche ſich ver¬
führen laſſen. Der geſündeſte, der ſtärkſte, der blü¬
hendſte Mann — iſt er, darum, weil er ſo iſt, der
Wirkung des Giftes weniger ausgeſetzt? Er un¬
terliegt ihm wie der ſchwächſte. Wie mit der Ge¬
ſundheit des Körpers iſt es auch mit der Geſund¬
heit der Seele. Auch der edelſte Menſch hat Au¬
genblicke in ſeinem Leben, in welchen er ſich dem
Teufel verſchreiben möchte. Es ſind Augenblicke der
Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der
Liebe, des Haſſes oder was es ſonſt iſt, was einen
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[111/0123] rer und man wird bald mit der größten Ruhe bei Tage und bei Nacht darin reiſen können. Ein frei¬ ſinniger Mann nach dem andern fällt ab, durch Be¬ ſtechung oder andere Verführung. Das traurigſte hierbei iſt nun, nicht daß die Feinde der Freiheit dar¬ über frohlocken, ſondern daß deren Freunde ſich dar¬ über betrüben und in ihrem Glauben wankend ge¬ macht werden. Das iſt nun auch eine Thorheit und zugleich eine Ungerechtigkeit. Wer die Tugend zer¬ ſtören will, braucht nur an ihr zu verzweifeln. Als der ſterbende Cato ſprach; es giebt keine Tu¬ gend! — von dem Augenblicke an gab es keine mehr. Die Schande und das Verbrechen fallen auf die, welche verführen, nicht auf die welche ſich ver¬ führen laſſen. Der geſündeſte, der ſtärkſte, der blü¬ hendſte Mann — iſt er, darum, weil er ſo iſt, der Wirkung des Giftes weniger ausgeſetzt? Er un¬ terliegt ihm wie der ſchwächſte. Wie mit der Ge¬ ſundheit des Körpers iſt es auch mit der Geſund¬ heit der Seele. Auch der edelſte Menſch hat Au¬ genblicke in ſeinem Leben, in welchen er ſich dem Teufel verſchreiben möchte. Es ſind Augenblicke der Noth, des Mangels, des Zorns, der Scham, der Liebe, des Haſſes oder was es ſonſt iſt, was einen guten Menſchen aus ſeiner Bahn werfen kann. In ſolchen Augenblicken ruft er den Teufel an; aber

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/123>, abgerufen am 28.11.2024.