Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

kahl ist, daß die Bäume abgestorben, die Lüfte ver¬
stummt sind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬
rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel
liegt -- nicht eher, bis man sie nach Sibirien schickt,
und sie dort für den kaiserlichen Leib Fuchspelze er¬
jagen müssen und jeder Wunsch der warm aus dem
Herzen kam, zwischen den Lippen gefriert, und als
Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht
besser, ehe es ärger wird.

Da war wieder einmal ein freisinniger deutscher
Mann edel gewesen, und hat durch seinen Edelmuth
der guten Sache mehr geschadet, als ihr hundert
Schurkenstreiche hätten schaden können. Ich meine
Rotteck. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck,
nachdem die Regierung die erste Wahl verworfen,
zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum
drittenmal zu ihrem Bürgermeister wählen wollen.
Aber da stellte sich der edle Mann auf einen Sche¬
mel der Tugend und rief seinen Mitbürgern zu:
sie möchten doch wegen seiner, die väterliche Rache
des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬
ber nachgeben und die Bürgermeisterwahl einem an¬
dern zuwenden. Das liberale deutsche Philisterthum
wurde von solcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬
rührt, und ist heimlich schadenfroh, daß die hohe
deutsche Bundesversammlung erröthen müsse, von

kahl iſt, daß die Bäume abgeſtorben, die Lüfte ver¬
ſtummt ſind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬
rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel
liegt — nicht eher, bis man ſie nach Sibirien ſchickt,
und ſie dort für den kaiſerlichen Leib Fuchspelze er¬
jagen müſſen und jeder Wunſch der warm aus dem
Herzen kam, zwiſchen den Lippen gefriert, und als
Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht
beſſer, ehe es ärger wird.

Da war wieder einmal ein freiſinniger deutſcher
Mann edel geweſen, und hat durch ſeinen Edelmuth
der guten Sache mehr geſchadet, als ihr hundert
Schurkenſtreiche hätten ſchaden können. Ich meine
Rotteck. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck,
nachdem die Regierung die erſte Wahl verworfen,
zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum
drittenmal zu ihrem Bürgermeiſter wählen wollen.
Aber da ſtellte ſich der edle Mann auf einen Sche¬
mel der Tugend und rief ſeinen Mitbürgern zu:
ſie möchten doch wegen ſeiner, die väterliche Rache
des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬
ber nachgeben und die Bürgermeiſterwahl einem an¬
dern zuwenden. Das liberale deutſche Philiſterthum
wurde von ſolcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬
rührt, und iſt heimlich ſchadenfroh, daß die hohe
deutſche Bundesverſammlung erröthen müſſe, von

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div>
          <p><pb facs="#f0110" n="98"/>
kahl i&#x017F;t, daß die Bäume abge&#x017F;torben, die Lüfte ver¬<lb/>
&#x017F;tummt &#x017F;ind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬<lb/>
rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel<lb/>
liegt &#x2014; nicht eher, bis man &#x017F;ie nach Sibirien &#x017F;chickt,<lb/>
und &#x017F;ie dort für den kai&#x017F;erlichen Leib Fuchspelze er¬<lb/>
jagen mü&#x017F;&#x017F;en und jeder Wun&#x017F;ch der warm aus dem<lb/>
Herzen kam, zwi&#x017F;chen den Lippen gefriert, und als<lb/>
Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, ehe es ärger wird.</p><lb/>
          <p>Da war wieder einmal ein frei&#x017F;inniger deut&#x017F;cher<lb/>
Mann edel gewe&#x017F;en, und hat durch &#x017F;einen Edelmuth<lb/>
der guten Sache mehr ge&#x017F;chadet, als ihr hundert<lb/>
Schurken&#x017F;treiche hätten &#x017F;chaden können. Ich meine<lb/><hi rendition="#g">Rotteck</hi>. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck,<lb/>
nachdem die Regierung die er&#x017F;te Wahl verworfen,<lb/>
zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum<lb/>
drittenmal zu ihrem Bürgermei&#x017F;ter wählen wollen.<lb/>
Aber da &#x017F;tellte &#x017F;ich der edle Mann auf einen Sche¬<lb/>
mel der Tugend und rief &#x017F;einen Mitbürgern zu:<lb/>
&#x017F;ie möchten doch wegen &#x017F;einer, die väterliche Rache<lb/>
des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬<lb/>
ber nachgeben und die Bürgermei&#x017F;terwahl einem an¬<lb/>
dern zuwenden. Das liberale deut&#x017F;che Phili&#x017F;terthum<lb/>
wurde von &#x017F;olcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬<lb/>
rührt, und i&#x017F;t heimlich &#x017F;chadenfroh, daß die hohe<lb/>
deut&#x017F;che Bundesver&#x017F;ammlung erröthen mü&#x017F;&#x017F;e, von<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0110] kahl iſt, daß die Bäume abgeſtorben, die Lüfte ver¬ ſtummt ſind und die Leiche des Vaterlandes in ih¬ rem Schneehemde unbegraben unter freiem Himmel liegt — nicht eher, bis man ſie nach Sibirien ſchickt, und ſie dort für den kaiſerlichen Leib Fuchspelze er¬ jagen müſſen und jeder Wunſch der warm aus dem Herzen kam, zwiſchen den Lippen gefriert, und als Eiszapfen aus dem Munde hängt. Es wird nicht beſſer, ehe es ärger wird. Da war wieder einmal ein freiſinniger deutſcher Mann edel geweſen, und hat durch ſeinen Edelmuth der guten Sache mehr geſchadet, als ihr hundert Schurkenſtreiche hätten ſchaden können. Ich meine Rotteck. Die Bürger von Freiburg haben Rotteck, nachdem die Regierung die erſte Wahl verworfen, zum zweitenmal, und wenn wieder gehindert zum drittenmal zu ihrem Bürgermeiſter wählen wollen. Aber da ſtellte ſich der edle Mann auf einen Sche¬ mel der Tugend und rief ſeinen Mitbürgern zu: ſie möchten doch wegen ſeiner, die väterliche Rache des Landesvater nicht ihrer Stadt zuziehen, und lie¬ ber nachgeben und die Bürgermeiſterwahl einem an¬ dern zuwenden. Das liberale deutſche Philiſterthum wurde von ſolcher Hochherzigkeit bis zu Thränen ge¬ rührt, und iſt heimlich ſchadenfroh, daß die hohe deutſche Bundesverſammlung erröthen müſſe, von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/110
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/110>, abgerufen am 25.11.2024.