Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

prellen lassen; man soll doch nie eine Katz im Sacke
kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬
peare hat ähnliche, er hat noch viel schrecklichere
Schrecken; aber bei ihm ist der Schmerz gesund, das
Ungeheure hat seine Art Wohlgestalt; denn selbst die
Krankheit hat eine Gesundheit die ihr eigen ist, selbst
das Verbrechen hat seine moralische Regel. Bei
Viktor Hugo aber ist das Mißgestaltete misgestaltet.
Ich weiß nicht; es ist darüber nachzudenken. Das
ist die tragische Häßlichkeit von der ich sprach, die
tragische Unsittlichkeit. Die Komische war in den
Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim
noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverschäm¬
teste dargestellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem
Allem einen Roman machen sollen. Erzählen kann
man Alles, auch das Häßlichste; die Vergangenheit,
die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch
kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann
man das Unglaublichste; wer es nicht glauben will,
braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es ist ein
Dichter, und er hat gelogen. Aber dieses in ein
Drama bringen, dieses Alles unter unsern Augen ge¬
schehen lassen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬
den, daß wir nicht daran zweifeln können -- nein,
das dürfen wir nicht dulden.

Aber die Minister! was geht die Minister
Louis Philipps die Aesthetik, die Dramarturgie, die

prellen laſſen; man ſoll doch nie eine Katz im Sacke
kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬
peare hat ähnliche, er hat noch viel ſchrecklichere
Schrecken; aber bei ihm iſt der Schmerz geſund, das
Ungeheure hat ſeine Art Wohlgeſtalt; denn ſelbſt die
Krankheit hat eine Geſundheit die ihr eigen iſt, ſelbſt
das Verbrechen hat ſeine moraliſche Regel. Bei
Viktor Hugo aber iſt das Mißgeſtaltete misgeſtaltet.
Ich weiß nicht; es iſt darüber nachzudenken. Das
iſt die tragiſche Häßlichkeit von der ich ſprach, die
tragiſche Unſittlichkeit. Die Komiſche war in den
Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim
noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverſchäm¬
teſte dargeſtellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem
Allem einen Roman machen ſollen. Erzählen kann
man Alles, auch das Häßlichſte; die Vergangenheit,
die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch
kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann
man das Unglaublichſte; wer es nicht glauben will,
braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es iſt ein
Dichter, und er hat gelogen. Aber dieſes in ein
Drama bringen, dieſes Alles unter unſern Augen ge¬
ſchehen laſſen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬
den, daß wir nicht daran zweifeln können — nein,
das dürfen wir nicht dulden.

Aber die Miniſter! was geht die Miniſter
Louis Philipps die Aeſthetik, die Dramarturgie, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="84"/>
prellen la&#x017F;&#x017F;en; man &#x017F;oll doch nie eine Katz im Sacke<lb/>
kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬<lb/>
peare hat ähnliche, er hat noch viel &#x017F;chrecklichere<lb/>
Schrecken; aber bei ihm i&#x017F;t der Schmerz ge&#x017F;und, das<lb/>
Ungeheure hat &#x017F;eine Art Wohlge&#x017F;talt; denn &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Krankheit hat eine Ge&#x017F;undheit die ihr eigen i&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das Verbrechen hat &#x017F;eine morali&#x017F;che Regel. Bei<lb/><choice><sic>Vikor</sic><corr>Viktor</corr></choice> Hugo aber i&#x017F;t das Mißge&#x017F;taltete misge&#x017F;taltet.<lb/>
Ich weiß nicht; es i&#x017F;t darüber nachzudenken. Das<lb/>
i&#x017F;t die tragi&#x017F;che Häßlichkeit von der ich &#x017F;prach, die<lb/>
tragi&#x017F;che Un&#x017F;ittlichkeit. Die Komi&#x017F;che war in den<lb/>
Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim<lb/>
noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unver&#x017F;chäm¬<lb/>
te&#x017F;te darge&#x017F;tellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem<lb/>
Allem einen Roman machen &#x017F;ollen. Erzählen kann<lb/>
man Alles, auch das Häßlich&#x017F;te; die Vergangenheit,<lb/>
die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch<lb/>
kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann<lb/>
man das Unglaublich&#x017F;te; wer es nicht glauben will,<lb/>
braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es i&#x017F;t ein<lb/>
Dichter, und er hat gelogen. Aber die&#x017F;es in ein<lb/>
Drama bringen, die&#x017F;es Alles unter un&#x017F;ern Augen ge¬<lb/>
&#x017F;chehen la&#x017F;&#x017F;en, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬<lb/>
den, daß wir nicht daran zweifeln können &#x2014; nein,<lb/>
das dürfen wir nicht dulden.</p><lb/>
          <p>Aber die Mini&#x017F;ter! was geht die Mini&#x017F;ter<lb/>
Louis Philipps die Ae&#x017F;thetik, die Dramarturgie, die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0096] prellen laſſen; man ſoll doch nie eine Katz im Sacke kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬ peare hat ähnliche, er hat noch viel ſchrecklichere Schrecken; aber bei ihm iſt der Schmerz geſund, das Ungeheure hat ſeine Art Wohlgeſtalt; denn ſelbſt die Krankheit hat eine Geſundheit die ihr eigen iſt, ſelbſt das Verbrechen hat ſeine moraliſche Regel. Bei Viktor Hugo aber iſt das Mißgeſtaltete misgeſtaltet. Ich weiß nicht; es iſt darüber nachzudenken. Das iſt die tragiſche Häßlichkeit von der ich ſprach, die tragiſche Unſittlichkeit. Die Komiſche war in den Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverſchäm¬ teſte dargeſtellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem Allem einen Roman machen ſollen. Erzählen kann man Alles, auch das Häßlichſte; die Vergangenheit, die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann man das Unglaublichſte; wer es nicht glauben will, braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es iſt ein Dichter, und er hat gelogen. Aber dieſes in ein Drama bringen, dieſes Alles unter unſern Augen ge¬ ſchehen laſſen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬ den, daß wir nicht daran zweifeln können — nein, das dürfen wir nicht dulden. Aber die Miniſter! was geht die Miniſter Louis Philipps die Aeſthetik, die Dramarturgie, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/96
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/96>, abgerufen am 05.12.2024.