nen; die Schlachtopfer der Fürsten verdienen keine Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es soll mein nächstes Werk sein, die Unschuld der Re¬ publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬ narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde ich als Zeugen um mich herumstellen, vier Welttheile werde ich als Beweisstätte auf den Tisch legen, funf¬ zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬ stand des Verbrechens hinlänglich feststellen, und dann wollen wir doch sehen, was die Advokaten der Für¬ sten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten finden.
Dieser Jarke ist ein merkwürdiger Mensch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Besoldung von Genz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hundersten Theil, oder er ver¬ diente eine hundertmal größere -- es kömmt nur darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Diesen katholisch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬ chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er giebt seit einem Jahre ein politisches Wochenblatt heraus. Das ist eine unterhaltende Camera obscura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬ sche und Verwünschungen, Hoffnungen und Befürch¬ tungen, Freuden und Leiden, Aengste und Tollkühn¬
nen; die Schlachtopfer der Fürſten verdienen keine Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es ſoll mein nächſtes Werk ſein, die Unſchuld der Re¬ publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬ narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde ich als Zeugen um mich herumſtellen, vier Welttheile werde ich als Beweisſtätte auf den Tiſch legen, funf¬ zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬ ſtand des Verbrechens hinlänglich feſtſtellen, und dann wollen wir doch ſehen, was die Advokaten der Für¬ ſten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten finden.
Dieſer Jarke iſt ein merkwürdiger Menſch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Beſoldung von Genz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hunderſten Theil, oder er ver¬ diente eine hundertmal größere — es kömmt nur darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Dieſen katholiſch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬ chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er giebt ſeit einem Jahre ein politiſches Wochenblatt heraus. Das iſt eine unterhaltende Camera obſcura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬ ſche und Verwünſchungen, Hoffnungen und Befürch¬ tungen, Freuden und Leiden, Aengſte und Tollkühn¬
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nen; die Schlachtopfer der Fürſten verdienen keine
Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es
ſoll mein nächſtes Werk ſein, die Unſchuld der Re¬
publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬
narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde
ich als Zeugen um mich herumſtellen, vier Welttheile
werde ich als Beweisſtätte auf den Tiſch legen, funf¬
zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬
ſtand des Verbrechens hinlänglich feſtſtellen, und dann
wollen wir doch ſehen, was die Advokaten der Für¬
ſten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten
finden.
Dieſer Jarke iſt ein merkwürdiger Menſch.
Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er
die halbe Beſoldung von Genz bekömmt. Aber er
verdiente nicht deren hunderſten Theil, oder er ver¬
diente eine hundertmal größere — es kömmt nur
darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das
Gute oder Schlechte an ihm. Dieſen katholiſch und
toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er
dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬
chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er
giebt ſeit einem Jahre ein politiſches Wochenblatt
heraus. Das iſt eine unterhaltende Camera obſcura;
darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬
ſche und Verwünſchungen, Hoffnungen und Befürch¬
tungen, Freuden und Leiden, Aengſte und Tollkühn¬
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/58>, abgerufen am 16.07.2024.
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