Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Am Neujahrstage -- o! Man könnte den
Verstand darüber verlieren. Die Juli-Revolution,
ein Zorn-Vulkan von dem Himmel selbst geladen, da¬
mit die Könige zu schrecken und zu strafen, ist ein
wasserspeiender Berg geworden, den Völkern zum
Verdruße und den Fürsten zum Gespötte! Ich
fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter
werde und mich blamire. Am Neujahrstage, diesem
monarchischen Erndtefeste überall wo Land und Gut
des Volks, das Landgut des Fürsten bilden, haben
Philipps Knechte, die schweren Garben Frankreichs,
sein Glück und seinen Ruhm, seine Tugend und
seine Ehre, seine Rosen und seine Lorbeeren -- ha¬
ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm
auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld
und Wiese, alles dem König; wer nicht sein Kind
ist, ist sein Knecht. Man schämt sich ein Mensch
zu sein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem
Zorne seinem Reuter flucht; nur verstehen wir sein
Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menschenvolk
küßt die Sporen seines Reiters. Sie haben den
König Vater des Vaterlands genannt: dies
Findelkind vom Greve-Platze! Das französische


Am Neujahrstage — o! Man könnte den
Verſtand darüber verlieren. Die Juli-Revolution,
ein Zorn-Vulkan von dem Himmel ſelbſt geladen, da¬
mit die Könige zu ſchrecken und zu ſtrafen, iſt ein
waſſerſpeiender Berg geworden, den Völkern zum
Verdruße und den Fürſten zum Geſpötte! Ich
fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter
werde und mich blamire. Am Neujahrstage, dieſem
monarchiſchen Erndtefeſte überall wo Land und Gut
des Volks, das Landgut des Fürſten bilden, haben
Philipps Knechte, die ſchweren Garben Frankreichs,
ſein Glück und ſeinen Ruhm, ſeine Tugend und
ſeine Ehre, ſeine Roſen und ſeine Lorbeeren — ha¬
ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm
auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld
und Wieſe, alles dem König; wer nicht ſein Kind
iſt, iſt ſein Knecht. Man ſchämt ſich ein Menſch
zu ſein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem
Zorne ſeinem Reuter flucht; nur verſtehen wir ſein
Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menſchenvolk
küßt die Sporen ſeines Reiters. Sie haben den
König Vater des Vaterlands genannt: dies
Findelkind vom Greve-Platze! Das franzöſiſche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0184" n="172"/>
        <div>
          <dateline rendition="#right">Sam&#x017F;tag, den 5. Januar.</dateline><lb/>
          <p>Am Neujahrstage &#x2014; o! Man könnte den<lb/>
Ver&#x017F;tand darüber verlieren. Die Juli-Revolution,<lb/>
ein Zorn-Vulkan von dem Himmel &#x017F;elb&#x017F;t geladen, da¬<lb/>
mit die Könige zu &#x017F;chrecken und zu &#x017F;trafen, i&#x017F;t ein<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;peiender Berg geworden, den Völkern zum<lb/>
Verdruße und den Für&#x017F;ten zum Ge&#x017F;pötte! Ich<lb/>
fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter<lb/>
werde und mich blamire. Am Neujahrstage, die&#x017F;em<lb/>
monarchi&#x017F;chen Erndtefe&#x017F;te überall wo Land und Gut<lb/>
des Volks, das Landgut des Für&#x017F;ten bilden, haben<lb/>
Philipps Knechte, die &#x017F;chweren Garben Frankreichs,<lb/>
&#x017F;ein Glück und &#x017F;einen Ruhm, &#x017F;eine Tugend und<lb/>
&#x017F;eine Ehre, &#x017F;eine Ro&#x017F;en und &#x017F;eine Lorbeeren &#x2014; ha¬<lb/>
ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm<lb/>
auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld<lb/>
und Wie&#x017F;e, alles dem König; wer nicht &#x017F;ein Kind<lb/>
i&#x017F;t, i&#x017F;t &#x017F;ein Knecht. Man &#x017F;chämt &#x017F;ich ein Men&#x017F;ch<lb/>
zu &#x017F;ein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem<lb/>
Zorne &#x017F;einem Reuter flucht; nur ver&#x017F;tehen wir &#x017F;ein<lb/>
Wiehern nicht. Aber das gezäumte Men&#x017F;chenvolk<lb/>
küßt die Sporen &#x017F;eines Reiters. Sie haben den<lb/>
König <hi rendition="#g">Vater des Vaterlands</hi> genannt: dies<lb/>
Findelkind vom Greve-Platze! Das franzö&#x017F;i&#x017F;che<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0184] Samſtag, den 5. Januar. Am Neujahrstage — o! Man könnte den Verſtand darüber verlieren. Die Juli-Revolution, ein Zorn-Vulkan von dem Himmel ſelbſt geladen, da¬ mit die Könige zu ſchrecken und zu ſtrafen, iſt ein waſſerſpeiender Berg geworden, den Völkern zum Verdruße und den Fürſten zum Geſpötte! Ich fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter werde und mich blamire. Am Neujahrstage, dieſem monarchiſchen Erndtefeſte überall wo Land und Gut des Volks, das Landgut des Fürſten bilden, haben Philipps Knechte, die ſchweren Garben Frankreichs, ſein Glück und ſeinen Ruhm, ſeine Tugend und ſeine Ehre, ſeine Roſen und ſeine Lorbeeren — ha¬ ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld und Wieſe, alles dem König; wer nicht ſein Kind iſt, iſt ſein Knecht. Man ſchämt ſich ein Menſch zu ſein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem Zorne ſeinem Reuter flucht; nur verſtehen wir ſein Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menſchenvolk küßt die Sporen ſeines Reiters. Sie haben den König Vater des Vaterlands genannt: dies Findelkind vom Greve-Platze! Das franzöſiſche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/184
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/184>, abgerufen am 25.11.2024.