und den Blatternarben der Freiheit und ein hübsches, weibliches, polizeiglattes Gesicht behalte; sondern ge¬ gen die Baiern, die ruhig und breit dastehen, wie die Bocksbierfäßer, und ohne sich zu rühren, sich anzapfen lassen von dem unersättlichen Gewalts-Durste ihres Königs. Nicht gegen die hessische Maitressen-Re¬ gierung, welche alle freisinnigen Deputirten mit Fä¬ cherschlägen aus der Kammer jagt; sondern gegen diese selbst, die sich wie Spatzen durch ein Husch! Husch! vertreiben lassen. Die in Cassel begreife ich nicht. Die Cholera ist dort und wie ich gelesen ha¬ ben sie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß und Geldstrafen fürchten? Aber der Deutsche hat ein großes Herz! Als einst Napoleon einen Offi¬ zier ausschmähete, antwortete dieser: Ihr Zorn ist nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel -- und dar¬ auf schwieg der Kaiser und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutscher Wachtparadenfürst gewesen, er hätte den Offizier kassirt und ihn auf die Festung geschickt. Es ist doch etwas sehr ge¬ heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift man viel leichter. Hunderte von freisinnigen Bürgern in Frankfurt lassen sich dort von der Polizei schul¬ bübisch examiniren und abstrafen und denken gar nicht daran, daß wenn sie hunderte wie ihrer sind, sich
und den Blatternarben der Freiheit und ein hübſches, weibliches, polizeiglattes Geſicht behalte; ſondern ge¬ gen die Baiern, die ruhig und breit daſtehen, wie die Bocksbierfäßer, und ohne ſich zu rühren, ſich anzapfen laſſen von dem unerſättlichen Gewalts-Durſte ihres Königs. Nicht gegen die heſſiſche Maitreſſen-Re¬ gierung, welche alle freiſinnigen Deputirten mit Fä¬ cherſchlägen aus der Kammer jagt; ſondern gegen dieſe ſelbſt, die ſich wie Spatzen durch ein Huſch! Huſch! vertreiben laſſen. Die in Caſſel begreife ich nicht. Die Cholera iſt dort und wie ich geleſen ha¬ ben ſie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß und Geldſtrafen fürchten? Aber der Deutſche hat ein großes Herz! Als einſt Napoleon einen Offi¬ zier ausſchmähete, antwortete dieſer: Ihr Zorn iſt nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel — und dar¬ auf ſchwieg der Kaiſer und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutſcher Wachtparadenfürſt geweſen, er hätte den Offizier kaſſirt und ihn auf die Feſtung geſchickt. Es iſt doch etwas ſehr ge¬ heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift man viel leichter. Hunderte von freiſinnigen Bürgern in Frankfurt laſſen ſich dort von der Polizei ſchul¬ bübiſch examiniren und abſtrafen und denken gar nicht daran, daß wenn ſie hunderte wie ihrer ſind, ſich
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und den Blatternarben der Freiheit und ein hübſches,
weibliches, polizeiglattes Geſicht behalte; ſondern ge¬
gen die Baiern, die ruhig und breit daſtehen, wie die
Bocksbierfäßer, und ohne ſich zu rühren, ſich anzapfen
laſſen von dem unerſättlichen Gewalts-Durſte ihres
Königs. Nicht gegen die heſſiſche Maitreſſen-Re¬
gierung, welche alle freiſinnigen Deputirten mit Fä¬
cherſchlägen aus der Kammer jagt; ſondern gegen
dieſe ſelbſt, die ſich wie Spatzen durch ein Huſch!
Huſch! vertreiben laſſen. Die in Caſſel begreife ich
nicht. Die Cholera iſt dort und wie ich geleſen ha¬
ben ſie große Furcht davor. Wenn man aber die
Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß
und Geldſtrafen fürchten? Aber der Deutſche hat
ein großes Herz! Als einſt Napoleon einen Offi¬
zier ausſchmähete, antwortete dieſer: Ihr Zorn iſt
nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel — und dar¬
auf ſchwieg der Kaiſer und lächelte. Es war freilich
Napoleon; wäre es ein deutſcher Wachtparadenfürſt
geweſen, er hätte den Offizier kaſſirt und ihn auf
die Feſtung geſchickt. Es iſt doch etwas ſehr ge¬
heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift
man viel leichter. Hunderte von freiſinnigen Bürgern
in Frankfurt laſſen ſich dort von der Polizei ſchul¬
bübiſch examiniren und abſtrafen und denken gar nicht
daran, daß wenn ſie hunderte wie ihrer ſind, ſich
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 5. Paris, 1834, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris05_1834/16>, abgerufen am 16.07.2024.
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