streben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu theilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum liebe ich die Freiheit mehr als Ihr. Ja, weil ich die Sclaverei gelernt, darum verstehe ich die Freiheit besser als Ihr. Ja, weil ich keinem Vaterlande ge¬ boren, darum wünsche ich ein Vaterland heißer als Ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war, als die Judengasse, und hinter dem verschlossenen Thore das Ausland für mich begann, genügt mir auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; nur das ganze große Vaterland genügt mir, so weit seine Sprache reicht. Und hätte ich die Macht, ich dul¬ dete nicht, daß Landgebiet von Landgebiet, daß deut¬ scher Stamm von deutschem Stamm auch nur eine Gosse trennte, nicht breiter als meine Hand; und hätte ich die Macht, ich duldete nicht, daß nur ein einziges deutsches Wort aus deutschem Munde jen¬ seits der Grenzen zu mir herüberschallte. Und weil ich einmal aufgehört, ein Knecht von Bürgern zu seyn, will ich auch nicht länger der Knecht eines Fürsten bleiben; ganz frei will ich werden. Ich habe mir das Haus meiner Freiheit von Grunde auf gebaut; macht es wie ich und begnügt Euch nicht, das Dach eines baufälligen Staatsgebäudes mit neuen Ziegeln zu decken. Ich bitte Euch, verachtet mir meinen Juden nicht. Wäret Ihr nur wie sie, dann
ſtreben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu theilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum liebe ich die Freiheit mehr als Ihr. Ja, weil ich die Sclaverei gelernt, darum verſtehe ich die Freiheit beſſer als Ihr. Ja, weil ich keinem Vaterlande ge¬ boren, darum wünſche ich ein Vaterland heißer als Ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war, als die Judengaſſe, und hinter dem verſchloſſenen Thore das Ausland für mich begann, genügt mir auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; nur das ganze große Vaterland genügt mir, ſo weit ſeine Sprache reicht. Und hätte ich die Macht, ich dul¬ dete nicht, daß Landgebiet von Landgebiet, daß deut¬ ſcher Stamm von deutſchem Stamm auch nur eine Goſſe trennte, nicht breiter als meine Hand; und hätte ich die Macht, ich duldete nicht, daß nur ein einziges deutſches Wort aus deutſchem Munde jen¬ ſeits der Grenzen zu mir herüberſchallte. Und weil ich einmal aufgehört, ein Knecht von Bürgern zu ſeyn, will ich auch nicht länger der Knecht eines Fürſten bleiben; ganz frei will ich werden. Ich habe mir das Haus meiner Freiheit von Grunde auf gebaut; macht es wie ich und begnügt Euch nicht, das Dach eines baufälligen Staatsgebäudes mit neuen Ziegeln zu decken. Ich bitte Euch, verachtet mir meinen Juden nicht. Wäret Ihr nur wie ſie, dann
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0154"n="140"/>ſtreben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu<lb/>
theilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum<lb/>
liebe ich die Freiheit mehr als Ihr. Ja, weil ich<lb/>
die Sclaverei gelernt, darum verſtehe ich die Freiheit<lb/>
beſſer als Ihr. Ja, weil ich keinem Vaterlande ge¬<lb/>
boren, darum wünſche ich ein Vaterland heißer als<lb/>
Ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war,<lb/>
als die Judengaſſe, und hinter dem verſchloſſenen<lb/>
Thore das Ausland für mich begann, genügt mir<lb/>
auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht<lb/>
mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; <choice><sic>uur</sic><corr>nur</corr></choice><lb/>
das ganze große Vaterland genügt mir, ſo weit ſeine<lb/>
Sprache reicht. Und hätte ich die Macht, ich dul¬<lb/>
dete nicht, daß Landgebiet von Landgebiet, daß deut¬<lb/>ſcher Stamm von deutſchem Stamm auch nur eine<lb/>
Goſſe trennte, nicht breiter als meine Hand; und<lb/>
hätte ich die Macht, ich duldete nicht, daß nur ein<lb/>
einziges deutſches Wort aus deutſchem Munde jen¬<lb/>ſeits der Grenzen zu mir herüberſchallte. Und weil<lb/>
ich einmal aufgehört, ein Knecht von Bürgern zu<lb/>ſeyn, will ich auch nicht länger der Knecht eines<lb/>
Fürſten bleiben; ganz frei will ich werden. Ich<lb/>
habe mir das Haus meiner Freiheit von Grunde auf<lb/>
gebaut; macht es wie ich und begnügt Euch nicht,<lb/>
das Dach eines baufälligen Staatsgebäudes mit neuen<lb/>
Ziegeln zu decken. Ich bitte Euch, verachtet mir<lb/>
meinen Juden nicht. Wäret Ihr nur wie ſie, dann<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[140/0154]
ſtreben zu können, und doch keinen ihrer Fehler zu
theilen. Ja, weil ich als Knecht geboren, darum
liebe ich die Freiheit mehr als Ihr. Ja, weil ich
die Sclaverei gelernt, darum verſtehe ich die Freiheit
beſſer als Ihr. Ja, weil ich keinem Vaterlande ge¬
boren, darum wünſche ich ein Vaterland heißer als
Ihr, und weil mein Geburtsort nicht größer war,
als die Judengaſſe, und hinter dem verſchloſſenen
Thore das Ausland für mich begann, genügt mir
auch die Stadt nicht mehr zum Vaterlande, nicht
mehr ein Landgebiet, nicht mehr eine Provinz; nur
das ganze große Vaterland genügt mir, ſo weit ſeine
Sprache reicht. Und hätte ich die Macht, ich dul¬
dete nicht, daß Landgebiet von Landgebiet, daß deut¬
ſcher Stamm von deutſchem Stamm auch nur eine
Goſſe trennte, nicht breiter als meine Hand; und
hätte ich die Macht, ich duldete nicht, daß nur ein
einziges deutſches Wort aus deutſchem Munde jen¬
ſeits der Grenzen zu mir herüberſchallte. Und weil
ich einmal aufgehört, ein Knecht von Bürgern zu
ſeyn, will ich auch nicht länger der Knecht eines
Fürſten bleiben; ganz frei will ich werden. Ich
habe mir das Haus meiner Freiheit von Grunde auf
gebaut; macht es wie ich und begnügt Euch nicht,
das Dach eines baufälligen Staatsgebäudes mit neuen
Ziegeln zu decken. Ich bitte Euch, verachtet mir
meinen Juden nicht. Wäret Ihr nur wie ſie, dann
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/154>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.