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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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Mann." Er geht. Herr von Gagern stirbt vor
Ungeduld, bis der Mann vom Manne zurückkömmt,
was hat er gesagt? "... j'ai trouve la fibre
un peu molle
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"ich mit der Pflicht des wirklichen Staats¬
"mannes explicirte," bemerkt Herr von Gagern.
Er aber dürfe seinen Mundfluß haben, weil er nur
"in der Rolle des Dilettanten erschien."
Aber in meinem Leben hätte ich nicht errathen, daß
eine lockere Fiber das Wesen eines wahren
Staatsmannes bilde, und daher der vierwöchentliche
Gebrauch des Schwalbacher Brunnens, da die Fiber
spannt, einen Talleyrand zum Esel machen würde!
Kurz, die einzige Sorge des Herrn von Stein, des
Grafen Capodistrias und des Herrn von Gagern
war: einen Prinzen mit Griechenland zu apanagiren,
Rothschild zu einem neuen Anleihen zu verhelfen, und
den Prinzen und die Curse der griechischen Papiere
durch deutsche Leibwachen zu schützen. Kürzer und
kräftiger hat noch keiner das seelenlose, mechanische,
selbstsüchtige, schacherhafte Treiben der neuern euro¬
päischen Staatskunst, des Monarchenthums und der
Hofschwänzelei dargethan, als dieser Herr von Ga¬
gern in Hornau, wo wir vor zwei Jahren Eier¬
kuchen gegessen.


Mann.“ Er geht. Herr von Gagern ſtirbt vor
Ungeduld, bis der Mann vom Manne zurückkömmt,
was hat er geſagt? „... j'ai trouvé la fibre
un peu molle
,“ erwiederte Capodiſtrias ... „was
ich mit der Pflicht des wirklichen Staats¬
mannes explicirte,“ bemerkt Herr von Gagern.
Er aber dürfe ſeinen Mundfluß haben, weil er nur
in der Rolle des Dilettanten erſchien.“
Aber in meinem Leben hätte ich nicht errathen, daß
eine lockere Fiber das Weſen eines wahren
Staatsmannes bilde, und daher der vierwöchentliche
Gebrauch des Schwalbacher Brunnens, da die Fiber
ſpannt, einen Talleyrand zum Eſel machen würde!
Kurz, die einzige Sorge des Herrn von Stein, des
Grafen Capodiſtrias und des Herrn von Gagern
war: einen Prinzen mit Griechenland zu apanagiren,
Rothſchild zu einem neuen Anleihen zu verhelfen, und
den Prinzen und die Curſe der griechiſchen Papiere
durch deutſche Leibwachen zu ſchützen. Kürzer und
kräftiger hat noch keiner das ſeelenloſe, mechaniſche,
ſelbſtſüchtige, ſchacherhafte Treiben der neuern euro¬
päiſchen Staatskunſt, des Monarchenthums und der
Hofſchwänzelei dargethan, als dieſer Herr von Ga¬
gern in Hornau, wo wir vor zwei Jahren Eier¬
kuchen gegeſſen.


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[109/0123] Mann.“ Er geht. Herr von Gagern ſtirbt vor Ungeduld, bis der Mann vom Manne zurückkömmt, was hat er geſagt? „... j'ai trouvé la fibre un peu molle,“ erwiederte Capodiſtrias ... „was „ich mit der Pflicht des wirklichen Staats¬ „mannes explicirte,“ bemerkt Herr von Gagern. Er aber dürfe ſeinen Mundfluß haben, weil er nur „in der Rolle des Dilettanten erſchien.“ Aber in meinem Leben hätte ich nicht errathen, daß eine lockere Fiber das Weſen eines wahren Staatsmannes bilde, und daher der vierwöchentliche Gebrauch des Schwalbacher Brunnens, da die Fiber ſpannt, einen Talleyrand zum Eſel machen würde! Kurz, die einzige Sorge des Herrn von Stein, des Grafen Capodiſtrias und des Herrn von Gagern war: einen Prinzen mit Griechenland zu apanagiren, Rothſchild zu einem neuen Anleihen zu verhelfen, und den Prinzen und die Curſe der griechiſchen Papiere durch deutſche Leibwachen zu ſchützen. Kürzer und kräftiger hat noch keiner das ſeelenloſe, mechaniſche, ſelbſtſüchtige, ſchacherhafte Treiben der neuern euro¬ päiſchen Staatskunſt, des Monarchenthums und der Hofſchwänzelei dargethan, als dieſer Herr von Ga¬ gern in Hornau, wo wir vor zwei Jahren Eier¬ kuchen gegeſſen.

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/123>, abgerufen am 24.11.2024.