so dumm, wie Ihr aussehet. Aber, liebe Kinder, Ihr müßt noch etwas bedenken. Unser gnädigster Landes¬ vater braucht nicht blos seine Soldaten gegen Euch, seine Kinder, sondern er braucht sie auch gegen Fremde, gegen den äußern Feind. Fragt Ihr nun: wer ist sein Feind, wer will ihm etwas zu Leide thun? muß ich Euch aufrichtig antworten: es denkt keiner daran. Aber unser gnädigster Landesherr hat eine große Fa¬ milie, für die er auch sorgen muß. Alle Kaiser, Kö¬ nige, Großherzoge, Herzoge und Fürsten sind seine nahen Verwandte, denen er in der Noth beisteht; das ist Christenpflicht. Macht Ihr es nicht auch so? Der Kaiser von Rußland ist sein Bruder, der Kai¬ ser von Oesterreich ist auch sein Bruder, der König von Preußen ist sein Schwager. Nun sehet: der Kaiser Nikolas will Polen haben, der Kaiser Franz will Italien haben, der König Friedrich Wilhelm weiß selbst nicht, was er haben will; denn er will Alles haben. Nun ist aber das mächtige Frankreich drü¬ ben; dort ist der König nicht Herr über Alles, er ist nicht mehr als jeder Andere, er ist nur der erste Bauer im Lande. Das Volk ist dort Alles, und für das Volk geschieht Alles. Nun sagen die Fran¬ zosen: alle Völker sind mit uns verwandt, wir sind Alle von einer Familie. Die Polen sind unsere Brüder, die Italiener sind unsere Vettern, die Deut¬ schen sind unsere guten Nachbarn. Und wir wollen
ſo dumm, wie Ihr ausſehet. Aber, liebe Kinder, Ihr müßt noch etwas bedenken. Unſer gnädigſter Landes¬ vater braucht nicht blos ſeine Soldaten gegen Euch, ſeine Kinder, ſondern er braucht ſie auch gegen Fremde, gegen den äußern Feind. Fragt Ihr nun: wer iſt ſein Feind, wer will ihm etwas zu Leide thun? muß ich Euch aufrichtig antworten: es denkt keiner daran. Aber unſer gnädigſter Landesherr hat eine große Fa¬ milie, für die er auch ſorgen muß. Alle Kaiſer, Kö¬ nige, Großherzoge, Herzoge und Fürſten ſind ſeine nahen Verwandte, denen er in der Noth beiſteht; das iſt Chriſtenpflicht. Macht Ihr es nicht auch ſo? Der Kaiſer von Rußland iſt ſein Bruder, der Kai¬ ſer von Oeſterreich iſt auch ſein Bruder, der König von Preußen iſt ſein Schwager. Nun ſehet: der Kaiſer Nikolas will Polen haben, der Kaiſer Franz will Italien haben, der König Friedrich Wilhelm weiß ſelbſt nicht, was er haben will; denn er will Alles haben. Nun iſt aber das mächtige Frankreich drü¬ ben; dort iſt der König nicht Herr über Alles, er iſt nicht mehr als jeder Andere, er iſt nur der erſte Bauer im Lande. Das Volk iſt dort Alles, und für das Volk geſchieht Alles. Nun ſagen die Fran¬ zoſen: alle Völker ſind mit uns verwandt, wir ſind Alle von einer Familie. Die Polen ſind unſere Brüder, die Italiener ſind unſere Vettern, die Deut¬ ſchen ſind unſere guten Nachbarn. Und wir wollen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0103"n="89"/>ſo dumm, wie Ihr ausſehet. Aber, liebe Kinder, Ihr<lb/>
müßt noch etwas bedenken. Unſer gnädigſter Landes¬<lb/>
vater braucht nicht blos ſeine Soldaten gegen Euch,<lb/>ſeine Kinder, ſondern er braucht ſie auch gegen Fremde,<lb/>
gegen den äußern Feind. Fragt Ihr nun: wer iſt<lb/>ſein Feind, wer will ihm etwas zu Leide thun? muß<lb/>
ich Euch aufrichtig antworten: es denkt keiner daran.<lb/>
Aber unſer gnädigſter <choice><sic>Laudesherr</sic><corr>Landesherr</corr></choice> hat eine große Fa¬<lb/>
milie, für die er auch ſorgen muß. Alle Kaiſer, Kö¬<lb/>
nige, Großherzoge, Herzoge und Fürſten ſind ſeine<lb/>
nahen Verwandte, denen er in der Noth beiſteht;<lb/>
das iſt Chriſtenpflicht. Macht Ihr es nicht auch ſo?<lb/>
Der Kaiſer von Rußland iſt ſein Bruder, der Kai¬<lb/>ſer von Oeſterreich iſt auch ſein Bruder, der König<lb/>
von Preußen iſt ſein Schwager. Nun ſehet: der<lb/>
Kaiſer Nikolas will Polen haben, der Kaiſer Franz<lb/>
will Italien haben, der König Friedrich Wilhelm weiß<lb/>ſelbſt nicht, was er haben will; denn er will Alles<lb/>
haben. Nun iſt aber das mächtige Frankreich drü¬<lb/>
ben; dort iſt der König nicht Herr über Alles, er<lb/>
iſt nicht mehr als jeder Andere, er iſt nur der erſte<lb/>
Bauer im Lande. Das Volk iſt dort Alles, und<lb/>
für das Volk geſchieht Alles. Nun ſagen die Fran¬<lb/>
zoſen: alle Völker ſind mit uns verwandt, wir ſind<lb/>
Alle von einer Familie. Die Polen ſind unſere<lb/>
Brüder, die Italiener ſind unſere Vettern, die Deut¬<lb/>ſchen ſind unſere guten Nachbarn. Und wir wollen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[89/0103]
ſo dumm, wie Ihr ausſehet. Aber, liebe Kinder, Ihr
müßt noch etwas bedenken. Unſer gnädigſter Landes¬
vater braucht nicht blos ſeine Soldaten gegen Euch,
ſeine Kinder, ſondern er braucht ſie auch gegen Fremde,
gegen den äußern Feind. Fragt Ihr nun: wer iſt
ſein Feind, wer will ihm etwas zu Leide thun? muß
ich Euch aufrichtig antworten: es denkt keiner daran.
Aber unſer gnädigſter Landesherr hat eine große Fa¬
milie, für die er auch ſorgen muß. Alle Kaiſer, Kö¬
nige, Großherzoge, Herzoge und Fürſten ſind ſeine
nahen Verwandte, denen er in der Noth beiſteht;
das iſt Chriſtenpflicht. Macht Ihr es nicht auch ſo?
Der Kaiſer von Rußland iſt ſein Bruder, der Kai¬
ſer von Oeſterreich iſt auch ſein Bruder, der König
von Preußen iſt ſein Schwager. Nun ſehet: der
Kaiſer Nikolas will Polen haben, der Kaiſer Franz
will Italien haben, der König Friedrich Wilhelm weiß
ſelbſt nicht, was er haben will; denn er will Alles
haben. Nun iſt aber das mächtige Frankreich drü¬
ben; dort iſt der König nicht Herr über Alles, er
iſt nicht mehr als jeder Andere, er iſt nur der erſte
Bauer im Lande. Das Volk iſt dort Alles, und
für das Volk geſchieht Alles. Nun ſagen die Fran¬
zoſen: alle Völker ſind mit uns verwandt, wir ſind
Alle von einer Familie. Die Polen ſind unſere
Brüder, die Italiener ſind unſere Vettern, die Deut¬
ſchen ſind unſere guten Nachbarn. Und wir wollen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/103>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.