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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833.

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-- So eben verläßt mich Einer, der im Na¬
men des Verlegers der angekündigten Uebersetzung
meiner Briefe zu mir kam, und mich um biographi¬
sche Notizen bat, die man dem Buche vordrucken
wolle. Ich musterte in Gedanken alle Merkwürdig¬
keiten und Erinnerungen meines Lebens, um einige
davon hinauszuschicken. Aber da erging es mir, wie
der Viertelsmeisterin Wolf in den Hussiten vor Naum¬
burg. Ich fand, daß es alle meine lieben Kinder
sind und ich konnte nicht wählen. Ich ließ den
Mann wieder gehen, und sagte ihm, daß ich gar
nichts von meinem Leben wisse, und er solle sich an
Andere wenden, die besser unterrichtet wären, als ich
in dieser Sache. Im Ernste, ich begreife gar nicht,
wie Einer so unverschämt seyn kann, von sich selbst
zu reden, außer er müßte sich über sich lustig machen.
Das wollte ich aber auch nicht. Darin sind meine
Franzosen ganz andere Leute. Dr. **** hat vom
Buchhändler Brockhaus den Auftrag, für ein biogra¬
phisches Lexicon das Leben der hier wohnenden be¬
rühmten Männer zu schreiben. *** wendete sich
schriftlich an diese selbst, und gleich den andern Tag
hatte er von Allen die vollständigsten Selbstbiogra¬
phien, worin sie ohne alle Satyre sich auf das
Schönste lobten. Mancher besuchte außerdem ***,
und firnißte noch mündlich sein schriftliches Lebensge¬
mälde. In dem Namens-Verzeichnisse der Personen,

— So eben verläßt mich Einer, der im Na¬
men des Verlegers der angekündigten Ueberſetzung
meiner Briefe zu mir kam, und mich um biographi¬
ſche Notizen bat, die man dem Buche vordrucken
wolle. Ich muſterte in Gedanken alle Merkwürdig¬
keiten und Erinnerungen meines Lebens, um einige
davon hinauszuſchicken. Aber da erging es mir, wie
der Viertelsmeiſterin Wolf in den Huſſiten vor Naum¬
burg. Ich fand, daß es alle meine lieben Kinder
ſind und ich konnte nicht wählen. Ich ließ den
Mann wieder gehen, und ſagte ihm, daß ich gar
nichts von meinem Leben wiſſe, und er ſolle ſich an
Andere wenden, die beſſer unterrichtet wären, als ich
in dieſer Sache. Im Ernſte, ich begreife gar nicht,
wie Einer ſo unverſchämt ſeyn kann, von ſich ſelbſt
zu reden, außer er müßte ſich über ſich luſtig machen.
Das wollte ich aber auch nicht. Darin ſind meine
Franzoſen ganz andere Leute. Dr. **** hat vom
Buchhändler Brockhaus den Auftrag, für ein biogra¬
phiſches Lexicon das Leben der hier wohnenden be¬
rühmten Männer zu ſchreiben. *** wendete ſich
ſchriftlich an dieſe ſelbſt, und gleich den andern Tag
hatte er von Allen die vollſtändigſten Selbſtbiogra¬
phien, worin ſie ohne alle Satyre ſich auf das
Schönſte lobten. Mancher beſuchte außerdem ***,
und firnißte noch mündlich ſein ſchriftliches Lebensge¬
mälde. In dem Namens-Verzeichniſſe der Perſonen,

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[220/0234] — So eben verläßt mich Einer, der im Na¬ men des Verlegers der angekündigten Ueberſetzung meiner Briefe zu mir kam, und mich um biographi¬ ſche Notizen bat, die man dem Buche vordrucken wolle. Ich muſterte in Gedanken alle Merkwürdig¬ keiten und Erinnerungen meines Lebens, um einige davon hinauszuſchicken. Aber da erging es mir, wie der Viertelsmeiſterin Wolf in den Huſſiten vor Naum¬ burg. Ich fand, daß es alle meine lieben Kinder ſind und ich konnte nicht wählen. Ich ließ den Mann wieder gehen, und ſagte ihm, daß ich gar nichts von meinem Leben wiſſe, und er ſolle ſich an Andere wenden, die beſſer unterrichtet wären, als ich in dieſer Sache. Im Ernſte, ich begreife gar nicht, wie Einer ſo unverſchämt ſeyn kann, von ſich ſelbſt zu reden, außer er müßte ſich über ſich luſtig machen. Das wollte ich aber auch nicht. Darin ſind meine Franzoſen ganz andere Leute. Dr. **** hat vom Buchhändler Brockhaus den Auftrag, für ein biogra¬ phiſches Lexicon das Leben der hier wohnenden be¬ rühmten Männer zu ſchreiben. *** wendete ſich ſchriftlich an dieſe ſelbſt, und gleich den andern Tag hatte er von Allen die vollſtändigſten Selbſtbiogra¬ phien, worin ſie ohne alle Satyre ſich auf das Schönſte lobten. Mancher beſuchte außerdem ***, und firnißte noch mündlich ſein ſchriftliches Lebensge¬ mälde. In dem Namens-Verzeichniſſe der Perſonen,

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 4. Offenbach, 1833, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris04_1833/234>, abgerufen am 30.11.2024.