Noch lächerlicher ist das Lustspiel die Aufgeregten. Auch in diesem dramati¬ schen Bilde wollte Goethe die Gräuel der französischen Revolution darstellen, um die Deutschen vor Freiheitsschwindel zu bewahren. Nun lese man die Folgen, welche das un¬ glückselige Revolutionsfieber in einem Dörf¬ chen gehabt. Erste Folge. Louise sagt: sie habe vergangenen Winter ein Paar Strüm¬ pfe mehr gestrickt, weil ihr Vater, der Bar¬ bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen der Zeitungen später nach Hause gekommen. Zweite Folge. Das Kind der Gräfin fällt sich ein Loch in den Kopf, weil sein Hofmei¬ ster, der die Zeitungen las, nicht auf das¬ selbe Acht gegeben. Und das ist Alles! Die Berliner freilich werden manches in diesem Drama sehen, was einem kurzsichtigen Süd¬ deutschen entgeht. Sie haben einen Herschel¬ schen Göthoskop -- wir nur unsere Augen.
Noch laͤcherlicher iſt das Luſtſpiel die Aufgeregten. Auch in dieſem dramati¬ ſchen Bilde wollte Goethe die Graͤuel der franzoͤſiſchen Revolution darſtellen, um die Deutſchen vor Freiheitsſchwindel zu bewahren. Nun leſe man die Folgen, welche das un¬ gluͤckſelige Revolutionsfieber in einem Doͤrf¬ chen gehabt. Erſte Folge. Louiſe ſagt: ſie habe vergangenen Winter ein Paar Struͤm¬ pfe mehr geſtrickt, weil ihr Vater, der Bar¬ bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen der Zeitungen ſpaͤter nach Hauſe gekommen. Zweite Folge. Das Kind der Graͤfin faͤllt ſich ein Loch in den Kopf, weil ſein Hofmei¬ ſter, der die Zeitungen las, nicht auf das¬ ſelbe Acht gegeben. Und das iſt Alles! Die Berliner freilich werden manches in dieſem Drama ſehen, was einem kurzſichtigen Suͤd¬ deutſchen entgeht. Sie haben einen Herſchel¬ ſchen Goͤthoſkop — wir nur unſere Augen.
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Noch laͤcherlicher iſt das Luſtſpiel die
Aufgeregten. Auch in dieſem dramati¬
ſchen Bilde wollte Goethe die Graͤuel der
franzoͤſiſchen Revolution darſtellen, um die
Deutſchen vor Freiheitsſchwindel zu bewahren.
Nun leſe man die Folgen, welche das un¬
gluͤckſelige Revolutionsfieber in einem Doͤrf¬
chen gehabt. Erſte Folge. Louiſe ſagt:
ſie habe vergangenen Winter ein Paar Struͤm¬
pfe mehr geſtrickt, weil ihr Vater, der Bar¬
bier, ihr Muße dazu gegeben, da er wegen
der Zeitungen ſpaͤter nach Hauſe gekommen.
Zweite Folge. Das Kind der Graͤfin faͤllt
ſich ein Loch in den Kopf, weil ſein Hofmei¬
ſter, der die Zeitungen las, nicht auf das¬
ſelbe Acht gegeben. Und das iſt Alles! Die
Berliner freilich werden manches in dieſem
Drama ſehen, was einem kurzſichtigen Suͤd¬
deutſchen entgeht. Sie haben einen Herſchel¬
ſchen Goͤthoſkop — wir nur unſere Augen.
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 3. Paris, 1833, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris03_1833/53>, abgerufen am 23.04.2024.
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